Aus Liebe zum Leben: Die Johanniter-Reiterstaffel
Einen Rettungseinsatz am Unfallort – das wünscht sich niemand.Und doch, ‚Stallgeflüster‘ ließ es sich nicht nehmen einen solchen Einsatz zu begleiten – allerdings keinen echten, sondern eine detailgetreue Einsatzübung der Johanniter-Reiterstaffel in Wiesbaden. Treffpunkt an einem – dem Himmel sei Dank – schönen, strahlenden Sonntagvormittag ist das frühere Jagdschloss Platte in Wiesbaden, ein beliebter Ausflugsort.
Gleich bei unserer Ankunft, ein wenig früher als vorgesehen, steht bereits das Johanniter Fahrzeug mit Pferdeanhänger auf dem großen Parkplatz vor dem Schlösschen. Noch während wir uns über die Aufgabenverteilung während der Einsätze sachkundig machen, treffen die neun berittenen, ehrenamtlichen Teilnehmer an der Übung mit ihren Pferden unterschiedlichster Rassen ein. Bei dem schönen Wetter hatten sie ihre Tiere auf dem Weg hierher gut aufgewärmt – jetzt freuen sich alle auf eine kleine Pause.
Von einem etwas älteren Haflinger über ein rheinisch deutsches Kaltblut, bis hin zu einem Tinker-Mix oder einem Anglo-Araber sind hier viele verschiedene Pferde-Typen und Rassen vertreten. Eines ist ihnen allerdings gemeinsam: Ihre absolute Gelassenheit gegenüber allem, was um sie herum passiert. Und da passiert jede Menge, Kinder und Erwachsene mit und ohne Fahrräder, Autos in allen Variationen, kurz, hier herrscht buntes Treiben. „Alle unsere Pferde müssen, bevor sie zum Einsatz kommen, die Gelassenheitsprüfung nach FN-Richtlinien bestanden haben, und nicht nur bestanden, sondern mit einer Note von eins oder zwei nach Schulnotensystem.“
Noch während der Pause trifft einer der Hauptakteure ein. Es handelte sich um Fachbereichsleiter für realistische Unfalldarstellung der Johanniter, Benedikt Weiler. „Wir üben hier regelmäßig den Einsatz am Unfallort und dazu gehört unbedingt ein wirklichkeitsnah dargestelltes Unfallopfer“, erklärt Martina Wildenhain, die diese Übung gemeinsam mit Weiler leitet. „Schließlich müssen wir darauf vorbereitet sein, Dinge zu sehen und zu erleben, die uns richtig fordern. Das muss möglichst realistisch geschult werden.“
Benedikt Weiler und seine Kollegin Lena Loßbrand, die das Opfer darstellen wird, begrüßen die Teilnehmer und besprechen noch kurz die Übung. Vor dem Hintergrund, dass hier sehr viel Fahrradverkehr herrscht, das Gelände steil und uneben ist, liegt die Idee nahe, einen Fahrradunfall zu simulieren. Fröhlich lächelnd setzt sich Lena auf den Kofferraum von Weilers Fahrzeug und der beginnt sein Werk. Zunächst sieht das ganze noch relativ unspektakulär aus – doch das ändert sich binnen weniger Minuten. Fast künstlerisch entsteht ein übel aussehender, offener Bruch am Arm. Gleich darauf folgt eine hässliche Kopfwunde, denn die Radfahrerin soll beim Sturz den Helm verloren haben. Die Flasche mit dem künstlichen Blut unter dem Arm machen sich Weiler und die inzwischen schlimm zugerichtete ‚Verletzte‘ auf den Weg zum Unfallort, während drei der berittenen Sanitätshelfer schon auf dem Weg durch den Wald sind.
Am Unfallort legt Weiler noch einmal letzte Hand an – das Szenario ist beeindruckend echt und schaurig. „Kein Wunder“, meint Martina Widenhain, „Benedikt schminkt nicht nur für uns, sondern auch für Katastrophenschutz-Großübungen, für Notärzte oder die Polizei.“ Das Opfer liegt bereit, sorgsam beobachtet von Weiler und Wildenhain. „Wir müssen bei solchen Übungen immer ein Auge darauf haben, dass es dem ‚Opfer‘ auch wirklich gut geht, nicht dass es plötzlich Probleme bekommt und wir sie nicht bemerken.“
Dann kommt das erste Übungsteam mit seinen Pferden heran. Zu einem unserer Teams gehören immer drei Reiter – einer, der die Pferde hält und zwei, die sich um den Verletzten kümmern. Die Reiter steigen ab, entnehmen ihren speziell dafür angefertigten Packtaschen die Notfallsets und gehen zu der Verletzten. Die liegt jedoch nicht nur starr da im Wald. Hier gehört ‚klappern zum Handwerk‘: Ein wenig stöhnen, eine matte Stimme, mit der sie die Fragen der Helferin beantwortet, ein wenig Schwindel, der sie am Aufstehen hindert.
Schnell, aber ohne jede Hektik werden die Verletzungen in Augenschein genommen, kurz untersucht, ob man sie bewegen darf, Blutdruck gemessen etc. Dann schreiten die beiden Helferinnen zur Versorgung. Zunächst platziert man sie auf einer Isolierdecke, danach werden die offenen Wunden versorgt – den Rettungswagen hat bereits eine der beiden Helferinnen gerufen, als die andere noch die Verletzungen in Augenschein nahm. Und hier ist die Arbeit für die Reiterstaffel getan – ab jetzt übernimmt der Rettungswagen.
Für das Rettungsteam ist die Übung allerdings noch nicht beendet. Es folgt eine Nachbesprechung, bei der alle getroffenen Maßnahmen noch einmal angesprochen und begründet werden. Auch das Handling der Pferde und deren – an diesem Sonntagmorgen – vorbildliches Verhalten während des Einsatzes gehören hier dazu. Während wir uns langsam verabschieden stehen bereits die beiden anderen Reiterteams für die nächste und übernächste Übung bereit.
„Solche Übungen sind eine Menge Arbeit“, stellt ‚Stallgeflüster‘ auf dem Rückweg zum Parkplatz gegenüber Martina Wildenhain, die die Reiterstaffel leitet, fest. „Ja, das ist aber noch längst nicht alles. Jeder, der hier zur Reiterstaffel kommt, muss eine Sanitätshelfer-Ausbildung durchlaufen, bevor er eingesetzt werden kann. Das sind Lehrgänge, die an den Wochenenden stattfinden und sich über mehrere Wochen hinweg erstrecken.“ Da staunen wir nicht schlecht, das ist schon ein erhebliches Engagement, das da ehrenamtlich erbracht wird.
Zwar stellen die Johanniter des Regionalverbandes Hessen West die Ausrüstung und ermöglichen diesen engagierten Reitern Übungen und Einsätze, auch Reitsport Busse unterstützt die Reiterstaffel – doch letzten Endes kostet es die Freizeit jedes einzelnen Teilnehmers dieser Gruppe. Sie ist übrigens eine von insgesamt zwei Johanniter-Reiterstaffeln bundesweit und kommt vor allem bei Reitveranstaltungen, Volkswanderungen etc. zum Einsatz. Für den Herbst dieses Jahres planen die Ehrenamtlichen eine Ausweitung ihres Tätigkeitsfeldes gemeinsam mit weiteren Ehrenamtlichen, zum Beispiel der bei Gießen stationierten Rettungshundestaffel der Johanniter.
„Vom Pferd aus können wir die Wege zwischen den Flächen der Suchhunde-Teams absuchen. Die erhöhte Position auf dem Pferd ist hierbei ein Vorteil“, meint Wildenhain zur Planung der näheren Zukunft. Da wünschen wir viel Glück und möglichst noch viele engagierte Reiter, die dieses Projekt mit unterstützen.
Kontakt:
www.johanniter.de/wiesbaden
„Stallgeflüster“ / E. Stamm