Pferdekommunikation nach Monty Roberts
„Die Mitarbeit und das Vertrauen der Pferde kann nur durch die Kommunikation in einer gemeinsamen Sprache gewonnen werden. Diese Sprache ist nonverbal und sie ist erlernbar. Sie beinhaltet die gesamte Körperhaltung von Mensch und Pferd und wird deutlich durch feinste Bewegungen von z. B. Augen, Ohren, Nüstern, Schweif und Händen.“
Das ist die Philosophie bzw. das Credo von Lucia Ebert. Die junge Frau beschäftigt sich seit zwölf Jahren beruflich mit der Kommunikation und Interaktion zwischen Mensch und Pferd und hat 2014 in Kalifornien bei Monty Roberts ihr Zertifikat zur Monty Roberts Instruktorin erhalten.
‚Stallgeflüster’ besuchte die 30jährige an einem trüben November-Tag in ihrem Stall in Marburg-Wehrda. Zunächst treffen wir sie noch im Gespräch mit einem Tierarzt, doch dann dürfen wir sie ein Stück weit bei ihrer Arbeit begleiten. Derzeit steht eine hübsche Schimmelstute, Cassandra, auf der Stallgasse und harrt der Dinge, die da gleich passieren sollen. Ruhig ist es hier – trotz des trüben Wetters draußen ein angenehmes Klima. Cassandra ist erst sechs Jahre alt, war aber, als sie vor zwei Wochen hier ankam bereits ein so genanntes ‚Problempferd’. „Sie ließ sich nicht einfangen, ließ nicht aufsteigen, ließ sich schlecht halftern oder trensen“, erzählt Lucia, die das ‚Du’ dem ‚Sie’ vorzieht. So, wie die Stute da im Augenblick steht und die tägliche Körperpflege zwar zurückhaltend, aber dennoch nicht unangenehm zu empfinden scheint, ist davon – für einen ungeübten Beobachter – nichts zu bemerken.
Lucia hat derzeit eine Reihe von ‚Problempferden’ im Stall. „Im Frühjahr kommen mehr Jung-Pferde zum ersten Einreiten, aber jetzt im Herbst haben wir hauptsächlich mit Korrekturen zu tun.“ Doch, wer glaubt, dass er sein Pferd hier abstellen kann und ‚repariert’ zurückbekommt, der irrt gewaltig. Das ist das Erste, was uns Lucia gleich erklärt: „Menschen und Pferde müssen gemeinsam lernen. Was nutzt es, wenn das Pferd mich versteht, seinen Besitzer aber nicht?“ Deshalb erwartet die Trainerin, dass die Eigentümer drei- bis vier Mal im Monat hier im Stall sind und mit ihr und dem Pferd gemeinsam arbeiten. „Da steht an erster Stelle z.B. das richtige Führen und die Bodenarbeit. Natürlich gehört dann auch das Reiten dazu“, berichtet sie. Ausnahmen macht Lucia nur dann, wenn sie ein Jung-Pferd vom Züchter zum Anreiten bekommt.
Doch zurück zu Casandra. Die ist mittlerweile fertig geputzt, jetzt müssen nur noch die Hufe gesäubert werden. Ruhig nimmt Lucia Bein für Bein auf – Cassandra gibt brav einen Huf nach dem anderen, das ist für sie kein Problem. Nun stehen satteln und trensen auf dem Programm – schließlich soll die Stute noch arbeiten. Der Sattel ist gar kein Problem. Es handelt sich um einen kalifornischen Rennsattel, ganz leicht, ohne Baum mit nur wenig Leder. „Darauf spürt man die Bewegung des Rückens besser als auf einem ‚normalen’ Sattel. Außerdem zwängt er das Pferd nirgendwo ein“, erklärt Lucia. Da Cassandra heute u.a. an der Doppellonge gearbeitet und erst anschließend geritten werden soll, kommt zunächst das so genannte Dually-Halfter (ein von Monty Roberts entwickeltes Halfter, das auch zum gebisslosen Anreiten genutzt werden kann) zum Einsatz. Angenehm ist es der Stute zwar nicht, als Lucia das Stallhalfter langsam und ruhig über den Kopf streift, aber Cassandra kann das ganz gut ertragen. Auch das Überziehen des neuen Halfters geht ohne größere Probleme von statten. Dann gehen wir gemeinsam in Richtung Reithalle. Dort übt Lucia noch einmal das Berühren des Kopfes und der Ohren aus einer anderen Position, von einem Hocker aus. „Da stehe ich höher als das Pferd und kann ihm eine andere, neue Erfahrung vermitteln. Cassandra nimmt das alles relativ lässig hin, reagiert lediglich einmal kurz unwirsch, als Lucia ihr ein Trensen-Gebiss überstreifen will – das scheint aber eher an der ungewohnten Zuschauerin zu liegen als am Pferd. Ruhig und mit leiser Stimme gibt Lucia der Stute an der Doppel-Longe die Kommandos und das Pferd arbeitet exakt. Kleinere Korrekturen erfolgen ruhig, ohne Tadel oder Druck. Denn „Es ist für das Lernen des Pferdes von großer Bedeutung, dass die komplette Interaktion zwischen Mensch und Pferd mit Wahlmöglichkeiten erfolgt“, erläutert Lucia ihre Arbeit. Dann kommt auch schon ihr Mitarbeiter John. Er bringt, sehr zu unserem Erstaunen eine Reiter-Puppe mit. Die wird jetzt auf dem Sattel befestigt, so dass sich Cassandra schon mal an den Anblick eines ‚Menschen’ im Sattel gewöhnen kann. „Falls sie jetzt bockt, fällt die Puppe nicht herunter und die Stute hat kein Erfolgserlebnis“, erklärt die Trainerin. Nachdem auch diese Arbeit erfolgreich und ohne Bocksprünge erledigt ist, nehmen John und Lucia die Puppe ab. Jetzt muss sich Cassandra neben den Hocker stellen – zu vor stand sie davor. Ihr das zu erklären, dauert etwa fünf Minuten – dann hat die Stute verstanden. Noch zwei Wiederholungen, dann legt sich John vorsichtig über den Rücken des Pferdes.
Auch diese Übung wird einige Male wiederholt, erst dann setzt sich John auf das Pferd und Lucia führt die Beiden an der Longe. „Safety first“, meint Lucia und fragt John, wie er sich fühlt. „Gut meint der“, darf aber trotzdem noch nicht frei reiten, sondern muss nach kurzer Zeit wieder absteigen. Cassandra hat ihre Sache gut gemacht und ist jetzt fertig bis zur nächsten Übungseinheit morgen. Kaum zu glauben, dass dieses Pferd bereits beim Aufsteigen wild losgebockt haben soll.
Nachdem die Schimmel-Stute wieder wohlbehalten in ihrer Box steht, zeigt uns Lucia noch ihre derzeitigen ‚Starter’. Drei Koniks hat sie aus der Thürengeti vor rund vier Wochen mitgebracht. Hübsche Pferdchen, die bislang keine Menschen kannten. Ein wenig schüchtern sind sie noch – aber die Neugier siegt dann doch immer wieder. „Sie haben noch keine schlechten Erfahrungen mit Menschen gemacht, deshalb ist die Arbeit mit ihnen oft einfacher als mit Pferden, die bereits Menschen kennen und Probleme entwickelt haben.“ Hoffen wir doch für die drei ‚Kleinen’, dass das auch so bleibt, selbst wenn sie Lucia irgendwann verlassen müssen. Denn schließlich müssen sie verkauft werden. Auch ‚Stallgeflüster’ verabschiedet sich jetzt vom Hof – nach einem beeindruckenden Morgen, an dem wir wieder einmal feststellen durften, dass das Verhältnis zwischen Mensch und Pferd auch ohne heftigen Druck, Zwang oder Strafen gut funktionieren kann.
„Stallgeflüster“ / E. Appenrodt
© Fotos: Stallgeflüster Appenrodt