Jakute-Pferde gegen die globale Erwärmung
Noch lange vor den Auftritten von Greta Thunberg hat der russische Permafrost-Forscher Sergej Zimov ein spektakuläres Pleistozän-Parkprojekt gegen die globale Erwärmung gestartet.
Er will die Wiesensteppe wiederherstellen, wie sie zum Ende des Eiszeitalters (des Pleistozäns) in dieser Gegend war. Der Umweltwissenschaftler ist davon überzeugt, dass man mit der Hilfe
Der ewige Frostboden schmilzt in den Steppen langsamer als in Wäldern oder in Seen. Wenn eine Vielzahl von den Pflanzenfressern das Tundra-Moss grasen und mit Hufen und Klauen zertreten, helfen sie, die Böden trockenzulegen und mit Stickstoff anzureichern. „Das gibt dem Gräserwachstum den nötigen Impuls“, erklärt der Russe.
Um den Beweis zu erbringen, rief Sergej Zimov 1989 das Projekt „Pleistozän-Park“ ins Leben. Die wichtigsten Helfer bei diesem Experiment sind Pferde – zähe Jakuten, die Kälte bis zu minus 70 Grad ertragen.
An einem frühen Herbstmorgen 1989 landeten drei Hubschrauber direkt mitten in der eisigen Wüste, 150 km südlich vom nördlichen Eismeer. Aus abgesetzten Containern traten widerstandsfähige, genügsame halbwilde Jakuten-Pferde – erste Einwohner des sibirischen Pleistozän-Parks.
Zimov entschied sich für Jakuten-Pferde, weil sie – laut den Forschungsergebnissen – bereits vor der letzten Eiszeit im nordöstlichen Sibirien lebten und ans Überleben in der Kälte perfekt angepasst sind.
Die Jakuten trotzen der extremen Kälte und halten Temperaturschwankungen von -75°C bis + 45°C aus. Ihre Haut ist sehr stark, ihr dichtes Fell mit der darunter liegenden dicken Fettschicht sorgt für eine gute Warmisolierung. Große Hufe verdichten die Schneedecke und verhindern das Einsinken der Tiere in Moor, in Matsch sowie in Schnee. Mit kurzen Beinen und kleinen Ohren sorgt der Organismus dafür, dass Beine und Ohren nicht abfrieren, wenn das Blut aus den Ohren, den Hufen und den Beinen vermehrt in den Rumpf geleitet wird, um die inneren Organe vor der Kälte zu schützen. Unter diesen Pferden gibt es viele Schimmel und Falben. Die Jakuten leben ganzjährig halbwild und suchen auch im Winter nach Futter, selbst beim kältesten Frost und tiefsten Schnee in der Taiga.
Heute leben etwa 200.000 Pferde in Jakutien, der östlichen Teilrepublik Sibiriens. Mit einem Stockmaß von 1,35 bis 1,40 Meter werden sie nicht nur als Reit- und Packpferde genutzt, sondern sind auch als Fleisch- und Stutenmilchlieferanten für die Ureinwohner unentbehrlich.
Um von der jakutischen Regierung die Erlaubnis zu bekommen, ein paar Pferde in den Norden umzusiedeln, präsentierte Sergej Zimov dem Ersten Parteisekretär des Srednekolymskij Rayon seine Idee als einfache Formel: „Mehr Tiere – mehr Mist, mehr Mist – mehr Gras, mehr Gras – mehr Tiere“. Seine Idee gefiel dem Genossen so gut, dass 20 Jakuten-Pferde schon eine Woche später auf dem Territorium (20 ha) des Parks weideten.
Viele russische Wissenschaftler betrachteten Zimovs Pferde-Experiment anfangs mit Skepsis. Sie behaupteten damals, dass Jakuten-Pferde lieber in einer Steppe leben und auf dem Permafrostboden zugrunde gehen werden. „Nichts da!“, lacht Sergej Zimov. „Die Pferde verzogen sich gerade in die Moorschichten, weil das Gras dort besser schmeckt. Sie wuchsen rasch und pflanzten sich fort.“
Trotzdem gab es anfangs Probleme, mit denen niemand gerechnet hatte: Als die Pferde nach einigen Wochen der Akklimatisierung in die Wildnis entlassen wurden, wanderten sie schnurstracks in Richtung alte Heimat – mehr als 500 Kilometer. Direktor des Pleistozän-Parks Nikita Zimov wundert sich: „Viele von ihnen fanden ihr altes Zuhause! Das war unglaublich!“ Damit die Pferde, die später eingeflogenen Rentiere und die anderen Arten nicht mehr fortzogen, zäumte man 20 Hektar mit einem drei Meter hohen Gitter ein. Mit der Vergrößerung der Tierherden muss das Gelände dann entsprechend ausgedehnt werden.
Mitte im Park steht ein 45 Meter Wachturm mit Instrumenten, unter anderem zur Überwachung der Permafrostböden, der Temperaturen, der Energiebilanz und der Pflanzendecke. Von hier aus beobachten die Forscher auch die Tiere. Im Winter, wenn dichter Nebel die Sicht raubt, weiß niemand genau, wo die Jakuten stecken. Sie streifen durch den Park und graben auf der Suche nach Futter im Schnee. Dabei verlassen sie sich auf ihren Geruchsinn. Um Energieverlust bei starker Kälte zu minimieren, wühlen sie nur an den Stellen, wo sie größere Mengen fressbarer Pflanzen wittern. Am Ende des Winters sehen die Pferde wie große Wollkugeln aus – mit einem Fell, dessen Grannenhaare über der dichten Unterwolle 15 Zentimeter lang sind.
„In dieser entferntesten Ecke der Welt gibt es nur zwei Jahreszeiten: Winter und Mückenzeit“, sagt Parkmitarbeiter Vladimir Konjew. „Im Sommer kommen hier Mücken in Scharen. Die Tiere können nicht mehr in Ruhe grasen und nehmen rasch ab.“ Wegen der ständigen Stiche, unter anderem in die empfindlichen Nüstern, stehen die Pferde bis zur Mähnenspitze in Seen und weiden unter Wasser. Oder sie dösen den ganzen Tag im dichten Rauch der Feuer, welche die Mitarbeiter anzünden, um sich selbst vor Mücken und Bremsen zu schützen. Eine sibirische Sage erzählt, dass die wilden Jakuten-Ponys schon immer zu den Menschen kamen, um im Rauch der brennenden Kuhfladen den Insekten zu entfliehen.
Nur wenige Wochen im September ist es im Park und in seiner Umgebung traumhaft ruhig und wunderschön. Die Mücken sind weg; der Winter ist noch nicht da. Die Tundra sieht wie ein bildschönes Märchenland aus: Dunkelrote Preiselbeeren glänzen im türkisblauen Moos; wie himbeerrote Decken flammen die Heidelbeer-Sträucher. Die Birken färben sich langsam gelb und schimmern in der Sonne, als seien sie aus purem Gold. Jetzt weiden die Jakuten-Pferde ununterbrochen, um sich Fett für den Winter anzufressen. Das Territorium des Parks ist bereits fruchtbares Grasland, in 30 Jahren geschaffen durch die Tiere.
Den Pleistozän-Park zeigte Sergej Zimov der breiten Öffentlichkeit erst im Jahr 2008. „Im Park gedeiht nahrhaftes proteinhaltiges Gras“, teilte der Direktor des Mammutsmuseums Födor Schidlowskij seine Eindrücke mit. Die Wissenschaftler, die den Pleistozän-Park besuchten, betonten, dass „die Versumpfung des Bodens zurückgegangen ist, ein trockenes, fruchtbares Gelände entsteht.“ Viele von ihnen sind der Meinung, dass das Ökosystem einen nicht unwesentlichen Teil des Kohlenstoffs, der derzeit im Permafrost gespeichert ist, binden würde, wenn Zimovs Experiment in großem Rahmen ausdehnt werden könnte. Professor Thomas Grenfell (Universität Washington) betont: „Sergej Zimov weißt ohne Zweifel, was er tut.“
„Also es ist für jeden leicht nachvollziehbar, warum wir den hohen Norden Jakutiens mit Tieren besiedeln müssen“, sagte Sergej Zimov, wobei seine Augen lachen und Freude über die Anerkennung der wissenschaftlichen Kollegen ausdrücken.
Somit gewinnen wir auch die Überzeugung, dass die auf Grasfutter aufgewachsen „wilden“ Jakuten-Pferde im Pleistozän-Park am rechten Platz sind.
Andere sieben Arten der großen Pflanzenfresser – Rentier, Elch, Bison, Schaf, Yak, kalmükische Kuh, Moschusochse – fühlen sich hier auch wohl.
Text: Natalia Toker
Fotos: Sergej Zimov, Oleg Semjonow