Das Altwürttembergische Pferd, eine vom Aussterben bedrohte Haustierrasse
„Herr und Bauer“ – so nannte man die genügsamen, kerngesunden Tiere,
die unter der Woche auf dem Feld arbeiteten und sich am Wochenende schmuck und schick mit tollen Grundgangarten vor der Kutsche oder im Turnierviereck präsentierten.
Eine Pferderase, gezogen für die landwirtschaftliche Arbeit ebenso wie als nervenstarkes und ausdauerndes Stangenpferd für den Artillerieeinsatz. Also eigentlich ein hundertprozentiger Kumpel für Freizeit und Gelände, der sich auch durchaus sehen lassen kann.
„Logisch sind die schweren Warmblüter so leicht und elegant wie die modernen Sportpferde. Trotzdem haben sie Esprit, Temperament und Gangvermögen“, kommentiert Hans Vollmer, Vorsitzender des Vereins zur „Erhaltung des Altwürttemberger Pferdes e.V. diese Pferderasse, für die sein Züchterherz schlägt.
Das Interieur dieser Rasse ist kein Wunder. Wurde sie doch ursprünglich gezüchtet aus Landstuten mit viel Araberblut und solchen aus Ostpreußen. Die Hengste kamen aus der Normandie und formten die Rasse. Stammvater dieser Allrounder war der 1888 geborene ‚Faust‘, ein Anglo-Normanne, dessen Typ die spätere Population prägte. Bis in die 60er Jahre des 20. Jahrhunderts formten die Faust-Nachkommen die Landeszucht im Württembergischen Oberland und Hohenzollern, aber auch in den Gegenden um Ludwigsburg, Leonberg, Herrenberg, Esslingen und Göppingen.
„Doch dann kamen die 60er Jahre und mit ihnen, wie überall, zunehmend die Maschinen in der Landwirtschaft. Das schwere kaltblut war nicht mehr gefragt – stattdessen nahm der Reitsport zu und man begann eine Umzüchtung des Württemberger Warmblutpferdes zum Reitmodell.“
„Ich selbst habe mit diesen Pferden noch in der Landwirtschaft gearbeitet“, erzählt uns Vollmer. „Das Warmblut ist beispielsweise beim Pflügen deutlich wendiger und schneller als ein Kaltblut. Dagegen ist das Kaltblut dem Warmblut bei der Arbeit im Wald überlegen, weil es mehr Gewicht und Kraft zum Ziehen mitbringt.“ Vollmer weiß, wovon er spricht: „Ich habe lange Zeit ein Warm- und ein Kaltblut nebeneinander eingespannt. Auf der Seite, auf der das Warmblut lief, waren Wendungen deutlich schneller und exakter als auf der anderen.“
Doch zurück zur weiteren Entwicklung dieser alten Pferderasse. Die alten württembergischen Pferde waren schon längst fast vergessene Auslaufmodelle als sich1988 schließlich Züchter zum Erhalt der Rasse zusammenschlossen. „Damals schon gab es keine reinrasigen Hengste mehr, lediglich einen alten Hengst im Landgestüt Marbach, der allerdings kein einsatzfähiges Sperma mehr lieferte. Deshalb gibt es heute keine 100 Prozent reinrassigen Altwürttembergischen Pferde mehr. Wir züchten derzeit mit einem Blutanteil von 12,5 Prozent aufwärts und haben ein geschlossenes Zuchtbuch. Die einzige Ausnahme ist ein Cob Normand-Hengst, der dreijährig in Frankreich gekauft wurde, von den Züchtern zum Decken allerdings nicht so gut angenommen wird.“
„Derzeit gibt es fünf Deckhengste im Landgestüt Marbach sowie vier weitere in Privat-Besitz. Dazu kommen rund 50 eingetragene Zuchtstuten. Das sind Zahlen, denen auch ein Laie entnehmen kann, wie stark gefährdet diese alte Haustierrasse ist. Ein wesentliches Problem in der Zucht: Es gibt nur noch wenig Landwirte, die züchten. Schließlich kostet ein Fohlen aufzuziehen Geld und Zeit, auch dann noch, wenn es auf eigenen Wiesen aufwächst. Da sind die Deckgebühren, Tierarztkosten etc. Vor einigen Jahren waren die Bedeckungszahlen erheblich gesunken. Deshalb gab es vor vier Jahren ein Zuchtprogramm in Kooperation mit dem Land. In diesem Rahmen wurde das Landgestüt verpflichtet, jährlich drei Hengst- und zwei Stutfohlen aufzukaufen. Danach erhöhten sich die Bedeckungszahlen wieder erfreulich. Doch mittlerweile ist das Zuchtprogramm ausgelaufen und wir hoffen sehr, dass die Bedeckungszahlen nicht wieder sinken.“
Der Verein zur Erhaltung des Altwürttembergischen Pferdes hat derzeit 60 Mitglieder. Nur zehn bis fünfzehn von ihnen sind aktive Züchter. Derzeit unterstützt der Verein aktiv die beiden Deckhengste Edwin und Umberto. Hoffen wir und wünschen wir dem Verein, dass es in Zukunft noch möglichst viele Fohlen dieser tollen, fast schon ausgestorbenen Pferderasse geben wird.
Steckbrief Altwürttemberger Pferd:
Charakter:
- gutmütig, umgänglich, nervenstark bei dennoch lebhaftem Temperament
Größe:
- 155 – 165 cm
Farben:
- Überwiegend Braune, Rappen und Füchse, selten auch Schimmel
Kopf:
- Trocken, mittelschwer, ausdrucksvolles Auge
Gebäude:
- Mittelschwer, genügend Kaliber (Cobtyp), lange Schulter, Kruppe leicht abfallend
Fundament:
- Trocken, korrekt, harte Hufe
Bewegungsablauf:
- Raumgreifender Schritt, schwungvoller Trab
Einsatzbereiche:
- Ideales Freizeit-, Familien-, Kutsch- und Arbeitspferd, ein Kamerad für die Arbeit und die Erholung, auch für therapeutisches Reiten und Voltigieren geeignet
Besondere Merkmale:
- Gutmütiger Charakter trotz lebhaftem Temperament, nicht schreckhaft, anspruchslos und robust, willig im Geschirr und unter dem Sattel, lange Lebensdauer,
leistungsbereit, zugfest und zugwillig.
Bestand:
- Die Altwürttemberger Stutenpopulation umfasst derzeit 45 Tiere im zuchtfähigen Alter, es stehen 11 Zuchthengste zur Verfügung, um das Erbpotential zu sichern. Der Altwürttemberger steht auf der Roten Liste der bedrohten Nutztierrassen der Gesellschaft zur Erhaltung alter und gefährdeter Haustierrassen (GEH) unter extrem gefährdet
(Quelle: Verband zur Erhaltung des Altwürttemberger Pferdes e.V.)
„Stallgeflüster“ / E. Stamm