Schwalbacher Fahrturnier führt „Stallgeflüster“ nach Sachsen
„Was macht ein gutes Fahrpferd aus?“ Das war die Frage, die Stallgeflüster u.a. Uwe Koch, dem Veranstaltungsleiter und gleichzeitig aktivem Fahrer während des Turniers in Schwalbach stellte. „Kraft, Ausdauer, Wendigkeit und vor allem ein gutmütiger, unerschrockener und ausgeglichener Charakter“, lautet die Antwort. Uwe Koch und Frau Iris Kammel-Koch fahren schwere Warmblüter, gezogen in Sachsen.
Als Uwe Koch dann noch erzählt, dass die Züchter-Familie neben der Pferdezucht auch noch Stutenmilch produziert, hält Stallgeflüster dies für einen guten Grund die Nase einmal über die hessischen Grenzen hinaus zu strecken und sich für seine Leser auf den Weg nach Glauchau Sachsen zu begeben. Die Kreisstadt Glauchau liegt an der Zwickauer Mulde, am Rand des Erzgebirgsbeckens, etwa dreizehn Kilometer von Zwickau entfernt und sechsundzwanzig von Chemnitz. Der kleine Ort Reinholdshain, in dem wir Familie Pohlers und ihre schweren Warmblüter besuchen wollen, ist ein Ortsteil der Kreisstadt.
Der Hof liegt am Ortsrand, direkt gegenüber ein Teil riesiger Koppeln mit Stuten und Fohlen. Pferde gibt’s hier sehr viel. Und die Hausherrin, Petra Pohlers, steht auch schon vor der Tür als wir das Auto parken. Herzlich und freundlich ist die Begrüßung. Kaum haben wir uns in dem großen Gemeinschaftsraum zusammengesetzt, öffnet sich schon wieder die Tür – ein Ehepaar aus der Schweiz kommt, begleitet von Gerd Pohlers, herein, um „seine Traumpferde zu besuchen“. „So ist das hier bei uns jeden Tag“, meint Petra Pohlers und erzählt dann von den Anfängen der Zucht. Pferde gab es auf dem Hof, auf dem ihr Mann geboren wurde, schon immer – auch zu DDR-Zeiten, als Zucht und Haltung dieser Tiere nicht so recht ins politisch gewünschte Bild passten.
Gerd Pohlers hatte auf dem heimischen Hof angefangen zu reiten, dann aber seine Liebe zum Fahren entdeckt. Direkt nach der Wende wurde der Hof zunächst als Milchviehbetrieb geführt – obwohl Pohlers bereits damals sein Prüfung zum Pferdewirtschaftsmeister absolvierte. Die Zucht der Moritzburger entstand bei der Familie eher durch Zufall. „Wir hatten Gabi, eine schwere Warmblutstute von Ventus. Die Stute zog den Kremser, fuhr Turniere und trug die Kinder. Und in jeder dieser Aufgaben, so unterschiedlich sie auch waren, ging sie vollständig auf, so als hätte sie nie etwas anderes getan. Da meinte mein Mann, es wäre lohnend bei diesem Charakter mit ihr Fohlen zu ziehen und so wurde sie zur Urmutter unserer heutigen Nachzucht.“
Im Jahr 2002 stellte die Familie den Hof mit rund 80 ha. Flächen vollständig auf die Pferdezucht um, denn diese hatte sich rasch als überaus erfolgreich erwiesen: Die Nachkommen der Pohlerschen Anfangs-Zucht mit Deckhengst Valerius und den Stuten Gila (von Capitän) und Oktave (von Gletscher) erwiesen sich als erfolgreiche, zuverlässige Sport- und Fahrpferde. Auch die gekörten Hengste Elbling, Euro-Star, Ellington, Excellent P und Valenzio wurden hier auf dem Hof groß. Sie alle sind bewegungsstarke Pferde mit viel Schwung, Gelassenheit und tollem Charakter. – Eigenschaften, von denen sich Stallgeflüster bei einem Besuch in der Box des aktuellen Deckhengstes Veit überzeugen kann. Nur selten haben wir einen solch ausgeglichenen, ruhigen Vertreter der Gattung Deckhengst kennen gelernt!
Die Ausbildung der jungen Pferde übernimmt die Familie selbst. Vater Gerd fährt nach der Arbeit an Longe und Doppellonge die jungen Pferde ein und bildet sie, assistiert von Ehefrau Petra und Sohn Kai, sorgfältig und vorsichtig im Gelände und auf dem Viereck aus. Die Ergebnisse der überaus einfühlsamen Arbeit mit den Youngsters können sich durchaus sehen lassen: Im vergangenen Jahr siegte die hessische Fahrerin Jovanca Marie Kessler mit ihrem Moritzburger Wallach Enfado P aus der Pohlersschen Zucht bei der ersten Weltmeisterschaft für junge Fahrpferde mit überragenden Wertnoten – in diesem Jahr holte sich Hengst Valenzio den FEI Weltmeister-Titel für junge Fahrpferde im ungarischen Mezöhegyes –Enfado P wurde Vize-Weltmeister. Dafür punktete die Hessin dann in Moritzburg und holte mit ihrem Enfado P den Bundeschampionatstitel 2016. Wen wundert es da noch, dass ein sächsisches, hier ausgebildetes Fahrpferd heute für die Teilnahme an den Paralympics in den USA lebt?
Stutenmilch –
ein Nebenprodukt der Zucht
„Sie züchten zwar Pferde, aber das Melken von Stuten ist doch in Deutschland eher ungewöhnlich?“ Das ist die erste Frage, die Stallgeflüster zu diesem Thema einfällt. Petra Pohlers lächelt ein wenig und erzählt dann, wie sie dazu kam. Tochter Tina wurde 1995 geboren. Im Alter von drei Jahren bekam sie Neurodermitis. „Im Fernsehen gab es damals einen Bericht über Russland und dass dort sehr viel mit Stutenmilch gearbeitet wird. Nun, Stuten hatten wir. Wir haben uns noch ein wenig sachkundig gemacht und dann angefangen, zu melken. Bereits drei Wochen, nachdem Tina die erste Milch getrunken hatte, begann die Therapie zu wirken. Und nicht nur zu unserem, sondern auch zum Erstaunen der Eltern befreundeter Kinder und Erzieherinnen im Kindergarten, war die Neurodermitis verschwunden. Das hat sich natürlich herumgesprochen und wir wurden immer öfter nach Stutenmilch gefragt. So begann dann der Verkauf.“ Noch immer können wir von Stallgeflüster uns das nicht recht vorstellen. „Wie geht das mit dem Melken und den Fohlen den vor sich?“ Das ist unsere nächste große Frage angesichts der Herde von elf Stuten mit Fohlen gegenüber dem Haus. „Nun“, erklärt uns Petra Pohlers, „wir haben einen so genannten Pferdekindergarten. Dort hinein kommen die Fohlen und ich hole dann die Stuten zum Melken ab. Sicherlich kann man das nicht mit jeder Stute machen, aber unsere schweren Warmblüter sind von Hause aus gutmütig und machen das mit.“
OK, soweit haben wir das verstanden. Aber natürlich haben wir noch eine Menge weiterer Fragen. Da ist zum Beispiel der Punkt: „Wie viel Milch gibt so eine Stute überhaupt am Tag?“ Und bei diesem Thema lernen wir etwas Neues, über das sich bei Stallgeflüster noch niemand so wirklich Gedanken gemacht hat. „Eine Stute gibt, je nach Gewöhnung, zwei bis zweieinhalb Liter Milch pro Tag. Bei Stuten funktioniert der Milcheinschuss nämlich anders als bei Kühen. Diese lagern ihre Milch im Euter ein, wie in einem Vorratsbehälter. Bei Stuten ist das genau anders, es ist ‚Kopfsache’. Da schießt die Milch genau dann ein, wenn das Fohlen am Euter ist. Deshalb schadet es auch dem Fohlen nicht, wenn die Mutterstute gemolken wird – sobald die beiden wieder zusammen stehen, und das Kleine trinken will, ist auch wieder ausreichend Milch vorhanden.“
„Natürlich kann ich nicht regelmäßig täglich melken, den wir haben ja sehr viel Kunden auf dem Hof, die Pferde suchen“, berichtet die Züchter-Frau, die sich bedingt durch die hohe Nachfrage schließlich eine Melkmaschine für Ziegen und Pferde anschaffte. Die sieht aus und arbeitet wie eine ‚ganz normale’ Melkmaschine für Kühe. Einziger wirklicher Unterschied: Sie hat nur zwei Melkbecher anstelle von vier.
So, damit sind die technischen und praktischen Fragen geklärt, doch nun zu den inhaltlichen. Da wäre zunächst einmal das Thema Geschmack, das wir uns leider nur erklären lassen können, denn derzeit werden die Stuten nicht mehr gemolken. „Zu Beginn der Milchproduktion, wenn noch das Cholostrum vorhanden ist, schmeckt Stutenmilch sehr süß – aber gemolken wird in den ersten drei Wochen nicht. Im Juli und August geht der Zuckergehalt der Milch zurück, sie enthält dann mehr Vitamine. Ab September schmeckt sie dann nicht mehr so gut, weil dann aller Zucker verschwunden ist. Generell kann man sie gar nicht mit Kuh-Milch vergleichen. Sie enthält deutlich weniger Fett, weniger als ein Prozent, dafür aber um so mehr Enzyme und Laktose.“
Nun interessieren uns natürlich auch der Kundenkreis und die Anwendung bzw. die Therapiegebiete dieser Milch. „Viele unserer Kunden kommen aus der näheren Umgebung und holen sich die Milch, die in Flaschen abgefüllt ist, direkt frisch. Allerdings frieren wir auch ein, denn wir haben Kunden die von weiter her kommen, und sich Milch für eine komplette Kur über acht bis zehn Wochen holen. D.h. in den ersten zehn Tagen jeweils einen halben Liter pro Tag, danach einen Viertel Liter. Das ist schon eine ganze Menge, die da zusammen kommt.“
„Wir verkaufen unsere Milch nahezu ausschließlich an Menschen, die ein Leiden haben, bei dem die Schulmedizin Medikamente mit Nebenwirkungen einsetzt, die unerwünscht sind. Sie wird zum Beispiel bei Magen- und Darmerkrankungen getrunken, bei Hautkrankheiten, ernährungsbedingten Stoffwechselstörungen in der Lebertherapie, Immunschwächen, nach Gaben von Chemopharmaka und Antibiotika oder bei Neurodermitis, um nur einige zu nennen. Vor allem dient sie durch den hohen Anteil an Milchzucker, der sofort ins Blut übergeht, aber auch der Unterstützung des körperlichen Wohlbefindens und der Stärkung der körpereigenen Abwehrkräfte.
Die erste Stutenmilch, die wir hier in jedem Jahr melken, trinkt unsere Familie selbst. Und man fühlt sich nach dieser Kur deutlich kräftiger und wohler“, berichtet Petra Pohlers aus eigener Erfahrung.
Und Kraft benötigt diese Familie, das wird uns klar, als wir erfahren, dass sie in Eigenarbeit neben der Pferdezucht und Ausbildung auch das Futter, Heu und Stroh selbst produzieren.
Auf dem langen Heimweg nach Hessen lassen wir diesen Tag noch einmal vor unseren Augen Revue passieren: Die sanften, grünen Hügel des südlichen sächsischen Burgen- und Heidelandes, die riesigen Koppeln des historischen Grünfelder Parks von Waldenburg, auf denen zwei Herden von jeweils rund 20 bis 40 Pferden der Familie Pohlers zu Hause sind, und da fällt uns nur noch ein: Hut ab vor einem solchen Familienbetrieb.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm