Tradition gelebt und neu gestaltet: ‚Stallgeflüster‘ zu Besuch auf Hofgut Geisberg
Knapp zehn Jahre ist es her, da stellte Ihnen ‚Stallgeflüster‘ eine ‚Wohlfühl-Oase‘ für Mensch und Pferd in der Wetterau vor. Genau genommen sind mittlerweile neun Jahre vergangen und im Jahr 2015 war es damals die Juli/August-Ausgabe mit der wir Ihnen den Reiterhof Beck in Hammersbach vorstellten.
Nach neun Jahren sind wir bei der Anfahrt ein wenig unsicher, denn Hof und Stallungen liegen blickgeschützt von den Zufahrtswegen. So landen wir denn vor der großen Reithalle, die damals noch recht neu erbaut war und staunen nicht schlecht: Hier hat sich einiges gravierend verändert. Da, wo früher ausschließlich Wiesen waren, gibt es mittlerweile ein Gebäude, große, jetzt befestigte Offenställe mit überdachten Liegehallen. Doch den Pfad, den die Pferde über den kleinen Bach nehmen, um auf die Koppeln zu gelangen erkennen wir sofort wieder und nutzen ihn, um auf den Hof zu gelangen.
Ebenso friedlich wie früher ist die Atmosphäre, freundlich entspannt die erste Begrüßung durch eine Einstellerin, die uns den Weg zu Frau Uslu weist. Denn: Hannah Beck, die damals den Hof mit ihrer Mutter Irmgard bewirtschaftete ist inzwischen verheiratet und hat vor noch nicht allzu langer Zeit den Hof gemeinsam mit ihrem Mann Orhan Uslu übernommen und, um ihn unabhängiger vom Familien-Namen zu machen, umbenannt in Hofgut Geisberg. Denn schließlich lautet die Postadresse ‚Am Geisberg‘. Irmgard Beck hat sich aus der Alltagsarbeit zurückgezogen und widmet sich inzwischen den Dingen, für die sie früher wenig Zeit hatte. Freundlich begrüßt werden wir auch dieses Mal wieder von einem großen Hund – gleich dahinter erscheint Hannah Uslu. An der freundlichen Atmosphäre auf dem Hof hat sich nichts geändert – auch wenn wir ein paar Mal heftig um uns schauen müssen, um uns zu orientieren. Auch hier hat sich vieles verändert – die alten Paddock-Boxen sind zum größten Teil verschwunden und haben einem befestigten Offenstall mit Liegehalle Platz gemacht. Die Außenboxen an der kleinen Halle im Hof sind neu. Geblieben ist ein lauschiger Platz in der Hof-Mitte. Hier kann man, gut beschirmt durch einen riesigen Sonnenschirm, entspannt sitzen und das Treiben der Pferde im Offenstall, in den Boxen und auf den angrenzenden kleineren Koppeln beobachten.
Kaum sitzen wir gemächlich mit einer Tasse Kaffee am Tisch gesellt sich auch schon ein Rhodesian Ridgeback freundlich dazu, hinter ihm erscheint neugierig Tochter Enna und erzählt mit wichtiger Miene, dass sie jetzt in die Schule kommt. Kurz darauf taucht auch Papa Orhan auf. Er hat Kekse mitgebracht, die offenbar auch den vierjährigen Sohn Elyas angelockt haben, denn der war kurz zuvor noch mit seinem Onkel bei der Arbeit.
„Wir haben fast die gesamte Pferdehaltung auf Offenstall-Haltung umgestellt“, erzählt uns Hannah Uslu, „denn die Nachfrage nach dieser Haltungsform ist deutlich höher geworden als die nach Boxenhaltung. Vierundzwanzig Einzelboxen haben wir noch – jedoch wie früher, nach dem Konzept, dass auch diesen Pferden der soziale Kontakt nicht fehlt. Alle Tiere haben die Möglichkeit über die Boxenwände hinweg, ihre Nachbarn zu sehen.“
Der befestigte Offenstall auf dem Hof mit großer überdachter Ruhehalle ist schon beeindruckend. „Das Meiste habe ich selbst gebaut“, erklärt uns Orhan Uslu. Er ist gelernter Maurer- und Betonbaumeister und arbeitet eigentlich als Ausbilder an der Handwerkskammer Koblenz. „Meine berufliche Tätigkeit dort habe ich inzwischen zeitlich begrenzt – schließlich fordert der Betrieb einen großen Teil unserer Arbeitszeit“, berichtet er und zeigt stolz auf die Kanaldeckel der selbst gebauten Kläranlage, die biologisch funktioniert und deren Wasser regelmäßig geprüft wird. „Das ist immer super sauber – die biologische Klärung funktioniert einwandfrei“, freut er sich.
Rund hundert Pferde leben hier inzwischen in nach Geschlechtern getrennten Herden. Der Aktivstall für Wallache und Stuten haben jeweils eine Fläche von rund 0,5 ha. Hinzu kommt der neue Offenstall für Wallache mit etwa 1.800 qm. Eine Menge Arbeit – vor allem wenn alles so ordentlich und sauber sein soll, wie wir es jetzt sehen. „Ja“, erklärt Hannah Uslu, „das verdanken wir vor allem unseren Mitarbeitern. Sechs von ihnen stammen aus Rumänien und sind schon einige Jahre bei uns. Sie wechseln sich regelmäßig ab – drei sind zu Hause bei ihren Familien, drei sind hier. Und einer unserer Mitarbeiter, Marcel, kommt aus einer sozialpädagogischen Lebensgemeinschaft. Auch er ist schon seit mehr als sechs Jahren hier.“
Im vergangenen Jahr hat Familie Uslu in den Ferien einen ‚Roadtrip‘ nach Rumänien unternommen und die Mitarbeiter bzw. deren Familien zu Hause besucht. „24 Stunden Fahrt – das war ein tolles Erlebnis zumal wir auch bei den Familien wohnen durften“, erinnert sie sich.
Bei einem anschließenden Rundgang über den Hof zeigt sie uns den Aktivstall und den Roundpen gegenüber der großen Halle und natürlich das Reiterstübchen. Ein Gebäude direkt an der großen Reithalle mit Solarien, Sattelkammer und last but not least einem Reiterstübchen das sich sehen lassen kann: Neben großen Fenstern, die den Blick auf den nebenan gelegenen Offenstall ebenso frei geben wie auf die Reithalle in der anderen Richtung, verfügt dieses Reiterstübchen über zwei Terrassen, auf denen man, je nach Richtung, im Freien den Blick auf Reithalle oder Offenstall und Wiesen genießen kann.
Weiträumig ist der Hof – dennoch sind alle benötigten Räumlichkeiten zentral gelegen und gut zu erreichen von der neu erbauten Schmiedehalle bis hin zu den beiden Roundpens. Neu und alt vereinen sich hier auf gute Weise. „Wir wollen den Hof weiterführen“, sagt die studierte Argrarwissenschaftlerin. „Deshalb tritt mein Mann beruflich kürzer und bringt sich hier mit seiner Arbeit und seinen Kenntnissen ein. Ein Glücksfall, den ich zu schätzen weiß.“
Apropos Tradition und Fortführen: Nach unserem Hofrundgang dürfen wir noch den Nachwuchs besichtigen. Schon Hannah Uslus Urgroßvater züchtete Trakehner, später Mutter Irmgard und heute freut sich Hannah über ihr Trakehner-Fohlen aus einer Stute aus eigener Zucht. Und ihr Mann? Auch der hat eine Mutterstute mit Fohlen – allerdings passend zu der Rassenvielfalt auf dem Hof keine Trakehner sondern ein Quarter Horse.
Eine Familie also, die die Fortführung der Landwirtschaft nicht nur als ‚Job‘ zum Geld verdienen versteht, sondern die auch privat hinter dem steht, was sie tut. Schön, hier zu Gast sein zu dürfen.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm