Pferde-Trainerin Lucia Ebert:
Vertrauensvoller Umstieg vom wild lebenden Tier zum Partner des Menschen – ermöglicht durch sensible körpersprachliche Kommunikation.
Pferde, die in freier Wildbahn leben, keinen oder fast keinen Kontakt zum Menschen haben, das gibt es nur noch in Amerika oder im Dülmener Wildpark. So denken viele. Doch, falsch gedacht. Ein nahezu einzigartiges Projekt, bei dem hochwertige Sportpferde praktisch wild leben und aufwachsen findet sich gar nicht so weit von der hessischen Landesgrenze im thüringischen Crawinkel.
Nur zehn Kilometer von dem Wintersportort Oberhof entfernt liegt die Thüringeti. Ein Gelände von rund 2700 Hektar mit Steppenrasen, Keuper-, Muschelkalk- und Zechsteingebiete wie sie als Vorposten der Steppen Osteuropas und Westasiens in Mittel- und Nordost-Thüringen vorkamen.
Gestaltet und erhalten wird diese einmalige Landschaft durch die Beweidung mit Pferden und Rindern, hier ganzjährig unterwegs sind und Herdenstrukturen entwickelt haben, die den ursprünglichen Wildtierherden gleichen.
Die sorgfältig geplante Weidewirtschaft bewahrt die Flächen vor Verbrachung und Verbuschung und sichert damit neben dem bemerkenswerten Landschaftsbild die Existenz vieler charakteristischer, hoch spezialisierter Tier- und Pflanzenarten. „Die Weide-Tiere sind Landschaftsgestalter“, erklärt Heinz Bley, Geschäftsführer der Agrar GmbH und Bürgermeister von Crawinkel.
Unter Pferde-Kennern und -Freunden ist das Thüringeti-Projekt mittlerweile nicht mehr ganz unbekannt. Regelmäßig am 3. Oktober jedes Jahres werden hier eine Reihe junger Pferde erstklassiger Abstammung zur Auktion gebracht. Denn auch riesige Flächen sind endlich und ernähren nur eine bestimmte Anzahl von Tieren. In diesem Jahr sind es rund 80 Jung-Pferde, die später im Sport oder als Freizeit-Pferde leben sollen. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie sind im Herdenverband auf den riesigen Flächen des Geländes aufgewachsen, waren täglich mit ihren Müttern rund zehn Kilometer weit unterwegs und hatten so gut wie nie Kontakt zu Menschen.
Vorbereitungen für die Auktion
Die junge Frau, die in diesem Jahr die Vorbereitung der Youngsters übernimmt, ist für ‚Stallgeflüster‘ keine Unbekannte. Im Herbst 2017 besuchten wir sie in der Nähe von Marburg. Dort kümmerte sie sich um die Ausbildung junger Pferde und die Korrektur von Problem-Tieren – eine Tätigkeit, die sie auch heute noch ausübt. In die Thüringeti führte die Monty Roberts Instruktorin vor einiger Zeit der Zufall. Später stellte sie während der Auktionen immer wieder ihre Arbeit vor und übernahm in diesem Jahr erstmals die Auktionsvorbereitungen von rund 30 Tieren, darunter neunzehn Junghengsten.
Ihr Credo: „Die Mitarbeit und das Vertrauen der Pferde kann nur durch die Kommunikation in einer gemeinsamen Sprache gewonnen werden. Diese Sprache ist nonverbal und sie ist erlernbar. Sie beinhaltet die gesamte Körperhaltung von Mensch und Pferd und wird deutlich durch feinste Bewegungen von z. B. Augen, Ohren, Nüstern, Schweif und Händen“, gilt nach wie vor.
Klar, dass ‚Stallgeflüster‘ wissen will, wie sich die Youngsters bei erstem, direkten Kontakt mit Menschen so verhalten, was an ihnen besonders auffällt. Und da hat sie so einiges zu berichten. „Alle diese Tiere sind im Umgang und in der Kommunikation außerordentlich fein und sprechen sehr gut ‚pferdisch‘ – auch mit dem Menschen, der in ihre Nähe kommt. Einige von ihnen sind auch neugierig auf die Zweibeiner, kommen heran und lassen sich auch schon mal gerne streicheln.“
„Bei den ersten Kontakten ist es wichtig, dass alles langsam vor sich geht – schließlich sind Pferde Fluchttiere und man muss sehr auf die eigene Körpersprache achten, um nicht das Falsche mitzuteilen. Diese Tiere sind sehr ursprünglich, hervorragend sozialisiert und haben auch nicht ganz so viel natürliche Schiefe, die ein junges Pferd aufweist, das im Stall groß geworden ist. Schließlich sind sie im Herdenverband täglich kilometerweit geradeaus gelaufen, da hat sich das bereits ein wenig ausgeglichen.“
Für Lucia ist die Arbeit in der Thüringeti etwas Besonderes. „Ich arbeite zu Hause oder unterwegs generell mit den Besitzern zusammen – schließlich nutzt es ja nichts, wenn ein Pferd mich versteht, seinen Eigentümer aber nicht. In den letzten Jahren habe ich mit rund hundert Pferden bei mir im Stall gearbeitet und weitere zweihundert mobil betreut – aber alle nacheinander. Hier in Crawinkel arbeite ich mit den Junghengsten und Stuten am Stück. Da kann man sich ganz anders einlassen und man lernt bei jedem Pferd dazu.“
Ihre Aufgabe: Halfterführig sollen die Junioren bis zur Auktion werden, lernen die Hufe zu geben und sich auch putzen zu lassen. Der Plan, wie sie vorgehen wird? „Den gibt es nicht“, sagt sie. „Schließlich ist jedes Tier anders, hat einen eigenen Charakter Danach wird sich die Ausbildung richten.“
Aber ein gutes Gefühl hat sie schon: „Ich habe im Laufstall neunzehn Freundschaftsanfragen an die Hengste gestellt und nicht eine Absage bekommen“, grinst sie. So viele junge Pferde und das alles gemeinsam im Laufstall? Ist das nicht ein wenig gefährlich?
„Nein“, meint Lucia, „Pferde sind schließlich keine Raubtiere, die den Menschen fressen wollen. Sie sind eher neugierig, fragen sich selbst, ob sie sich da wirklich ran trauen sollen. Und einige Mutige tun das auch.“
Zwei Tage in der Woche wird die EWU-Trainerin B in der Woche in Crawinkel verbringen, um mit den ‚Jungs’ und ‚Mädels‘ zu arbeiten. Diese Zeit verbringen sie im Laufstall – danach geht es wieder hinaus in die Weiten der Thüringeti.
Hauptziel der Arbeit mit den jungen Pferden für Lucia Ebert ist es „den jungen Pferden einen guten Start in ihre Reitpferde-Karriere zu geben und jeden einzelnen so abzuholen, so wie er es braucht.“
Um dies besser zu vermitteln, wird sie für Interessierte einige Wochen vor der Auktion ein öffentliches Training mit zwei Pferden zeigen, das einen Einblick in ihre Arbeit ermöglicht.
Da kann man den jungen Reitpferden nur wünschen, dass ihre Zukunft auch später mit so einfühlsamen Trainern verläuft, wie zu Beginn.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm