Oh du schöner Westerwald…
…ist der Titel eines Volksliedes in dem dessen Schönheit besungen wird. Was ‚Stallgeflüster‘ in den Westerwald führt?
Ein namhafter Pferde-Aufzuchthof, über den wir bereits vor vielen Jahren (Ausg. 7/8, 2012) anlässlich des Koppelauftriebes berichteten. Jetzt wollten wir einmal schauen, wie sich dieser bemerkenswerte Familien-Betrieb, den wir schon damals bewunderten, bis heute weiterentwickelt hat.
‚…Ja da pfeift der Wind so kalt,‘ heißt es in dem deutschen Volkslied über den Westerwald aus dem 19. Jh. Dabei handelt es sich um das Bergland im Dreiländereck von Hessen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz, eingegrenzt durch die Flüsse Dill im Osten, Lahn im Süden, Rhein im Westen Sieg im Norden und Heller im Nordosten. Und nein, nicht überall im Westerwald ‚pfeift der Wind so kalt‘. In Wirklichkeit „ist das Klima durch seine Lage in der Westwindzone bestimmt und subozeanisch geprägt. Die Winter sind mäßig kalt, ausgedehnt und teilweise schneereich; die Sommermonate überwiegend feucht und kühl“, kann man im Lexikon nachlesen.
Und tatsächlich bestechen auch bei diesem erneuten Besuch wieder, wie zwölf Jahre zuvor, die sanften Hügel mit ihren baumbestanden saftig grünen Wiesen, riesige Flächen umgeben von Wald, das Auge. „Hier kann man die Seele baumeln lassen“, stellen die Mitarbeiter von ‚Stallgeflüster‘ auf dem Hinweg an einem herbstlichen Tag mit schon tiefer stehender, aber immer noch wärmender Sonne, fest.
Guntersdorf, so heißt das Ziel, ist ein Ort, der schon im frühen Mittelalter urkundlich erwähnt wird und heute zu Herborn gehört. Er liegt malerisch am Ostrand des Westerwaldes im unteren Rehbachtal und vermittelt das Gefühl von Idylle pur. Hier in dieser Bilderbuchlandschaft bewirtschaften Frank Welzel, seine Frau Silke und Bruder Joachim gemeinsam mit den Kindern einen Hof mit rund 117 ha Fläche mit Wiesen, Weiden und Feldern für Stroh. Für den Städter, dem für Hektar-Angaben oft die Vorstellungskraft fehlt: Das ist eine Fläche, so groß wie rund 164 Fußballfelder.
Auf dem Hof angekommen, werden wir zunächst freundlich von einem Rudel Hunde empfangen, zwei glänzenden blonden Golden Retrievern, einem Schäferhund etwas älteren Semesters, einem Australian Shephard sowie einer Ausgabe davon in Mini.
Erst dann kommt Frank Welzel, und schon geht’s los. „Fahren wir doch zuerst zu den Zweijährigen“, meint er und steigt in den Pick-up. Ein Blick über die weiten Wiesen belehrt uns, dass wir hier ganz sicher nicht die Pferde zu Fuß besichtigen können – wir wären bei Dunkelheit sicher noch nicht einmal bei allen Herden gewesen.
Unterwegs stellen wir fest, dass die Wiesen hier ausnahmslos alle saftig und exzellent gepflegt aussehen. Da gibt es keine Brennnessel- oder Sauerampferhorste, keine kahlen Stellen oder Laufwege, wie man sie von vielen Pferdeweiden kennt. „Wir lassen das Gras maximal bis auf fünf bis sieben Zentimeter herunter fressen, dann werden die Koppeln gewechselt, nachgemäht oder gemulcht,“ berichtet Welzel, der, ebenso wie Ehefrau Silke, noch immer aktiv reitet. „Wir machen unser gesamtes Raufutter selbst, vom Heu über das Stroh bis hin zur Heulage. Die wird bei uns sofort eingestrecht, so dass hier eine hundertprozentige Kaltvergärung stattfindet und Botulin gar keine Chance hat“, erklärt der Landwirt, der wegen seiner vorbildlichen Koppelpflege sogar eine Einladung des LLH (Landesbetrieb Landwirtschaft Hessen) für einem Vortrag über die Pflege von Pferdeweiden in Bad Hersfeld erhielt.
Doch inzwischen haben wir die erste Station unserer Koppel-Runde erreicht: die Zweijährigen. Da stehen wir nun vor einer riesigen Wiesenfläche, bestanden mit Bäumen und Sträuchern, doch alles ist leer. Nirgendwo ein Pferd zu sehen. „Das ist kein Problem“, meint Welzel, „ich gehe sie mal eben rufen. Die werden ganz dort oben, irgendwo hinter dem Wäldchen sein.“ Da geht er hin und ruft mehrfach.
Zunächst tut sich gar nichts. Doch plötzlich entsteht hinter den Sträuchern Bewegung, dann taucht eine erste Pferdenase auf und kurz darauf stehen wir umringt von 23 Jungspunden, die alle wissen wollen, was es hier gibt.
Welzel kennt sie alle mit Namen und weiß von jedem Einzelnen den Züchter (oft haben sie in der Pferdezucht klangvolle Namen, wie beispielsweise die Zuchtgemeinschaft Wegfahrth oder Springreiter Norbert Koof). „Einige von ihnen, die Vielversprechendsten, wurden bereits abgeholt, um auf die Körungen vorbereitet zu werden“, erklärt uns Welzel. „Für viele andere ist es jetzt Zeit für die Kastration, denn im Winter sind sie nachts in den Ställen und gehen nur tagsüber nach draußen.“
Dabei zeigt er uns die benachbarten Koppeln. Von dort aus gelangt die Herde problemlos zu Fuß auf den Hof. Natürlich will ‚Stallgeflüster‘ wissen, wie groß diese riesige Weide für die Zweijährigen ist. Welzel erzählt uns, dass die Flächen für die 23 Jung-Hengste jeweils zwischen acht und neun Hektar haben. Von der Gesamtfläche des Hofes dient rund die Hälfte als Koppeln, die andere als Wiesen für das Heu.
Wir machen uns wieder auf den Weg, um auch die Jährlinge auf ebenso großen Wiesen zu besuchen. Unterwegs zeigt Welzel auf einen der Straße gegenüberliegenden Hang und erklärt: „Dort verbringen die Gestütspferde aus Dillenburg ihren Sommerurlaub.“ Nun, betrachtet man die Landschaft und die saftigen Wiesen: Man könnte es im Urlaub schlechter treffen.
Auf der Jährlings-Koppel gibt es für die zwanzig Pferde weniger Bäume als auf den vorhergehenden. Dafür befindet sich hier allerdings ein großer Unterstand. „Alle unsere Wiesen haben Schattenplätze für den Sommer und die, die es nicht haben werden in Zeiten großer Hitze nicht genutzt. Wir wollen nicht, dass die Tiere in der heißen Jahreszeit in der prallen Sonne stehen müssen. Teilweise bringen wir sie, wenn es gar zu heiß wird, auch erst nachts hinaus“, erzählt Welzel, dessen Telefon jetzt schon mehrfach geklingelt hat. Eine Besitzerin erkundigt sich nach einer Tierarztrechnung und Welzel gibt Auskunft. Die Pferde werden hier alle auch tierärztlich betreut, versorgt und geimpft. Zur Hufpflege kommt regelmäßig Hufbeschlag-Lehrschmied Kai Wörtge aus Gießen hierher.
Nach diesem kleinen Ausflug kehren wir in Richtung Hof zurück und schauen nach den Absetzern, die hier im Laufstall stehen. Noch sind es nur fünf, doch in den nächsten Tagen erwartet Welzel bereits weitere acht kleine Pferde aus dem Stall Koof. Ob sie wohl ahnen, wie glücklich sie sein können, hier in diesem Pferde-Paradies behütet und umsorgt aufwachsen zu dürfen?
Kontakt: 0171-4436683
„Stallgeflüster“ / E. Stamm