Senner Pferde – die älteste Pferderasse Deutschlands
…und ganz sicher eine, von der die meisten unter uns Reitern noch nie etwas gehört haben,
wenn sie nicht gerade aus Westfalen oder dem Teutoburger Wald kommen – oder große Liebhaber des Heimatdichters Hermann Löns sind. ‚Stallgeflüster‘ stieß auf diese vom Aussterben bedrohte Hautierrasse auch nur durch Zufall – und beschloss, sich damit einmal näher zu befassen.
Heutzutage kommen viele unserer Pferde aus Spanien, Portugal, arabischen Ländern etc. Da macht es doch Sinn, zumindest zu wissen, welche Schätze hierzulande drohen, verloren zu gehen. Und wahrhafte Schätze, das sind diese Pferde, die in wilden Herden in der Senne am Rand des Teutoburger Waldes lebten und heute teilweise auch wieder leben. Dazu sprach ‚Stallgeflüster‘ mit Karl-Ludwig Lackner, Zuchtleiter des ‚Zuchtverband für Senner Pferde e.V.‘ in Borgholzhausen.
Erstmals urkundlich erwähnt wurde das Senner Pferd im Jahr 1160. Es ist ein leichtes, im Typ des Anglo-Arabers stehendes Tier mit einem Stockmaß von ca. 1,59 bis 1,65 m. Viele dieser Pferde sind braun, aber es sind alle Farben möglich, teilweise werden die Fohlen mit gelbbraunen Wildfarben geboren oder sogar einer Zebrierung (Zebramuster) an den Vorderbeinen. Doch diese verlieren sich meist bis zum fünften Lebensjahr. Senner sind lebhafte, robuste Pferde, gute Futterverwerter und wurden lange als Jagd- und Militärpferde hochgeschätzt. Inzwischen sind sie auch als Sportpferde, vor allem im Springen und Military erfolgreich im Einsatz.
Der Ursprung der Rasse ist nicht genau festzustellen. Eine Legende besagt, dass die Wildpferde der Senne von den Pferden der Römer abstammen, die während der Schlacht im Teutoburger Wald im 9. Jh. n. Chr. entlaufen waren. Karl-Ludwig Lackner verfügt mittlerweile überweitere erstaunliche, aber wissenschaftlich belegbare Fakten:
„An Hand des mütterlichen Erbgutes (mtDNA) aller heute lebender Senner stellte Thomas Jansen 2002 in seiner Dissertation fest, dass die Senner zu keiner europäischen Pferderasse verwandtschaftliche Beziehungen haben. Aus welchem Raum sie nach Lippe gekommen sind, war aber damit noch nicht klar. In einer amerikanischen Studie von A T Bowling, wurde das mtDNA von amerikanischen Vollblutarabern untersucht, um zu klären, auf welche mütterliche Linien sich die Vollblutaraber zurückführen lassen. Dabei stellte sich erstaunliches heraus: Nachkommen zweier Vollblutaraber Stuten entstammen der gleichen mütterlichen Linie wie die Sennerstuten, und zwar die Nachkommen der Haidee, geboren 1869 aus der Zucht von Qumusa Saba Sheikh Sulayman Ibn Murshid von Sbaa, und die Nachkommen der Hamra Johara, geboren 1952, aus der Zucht von König Abu Al-Aziz Ibn Saud. die 1961 aus Arabien in die USA exportiert wurde. Da sich die Abstammung der Senner durch eine exakte Stutbuchführung seit 1713 belegen lässt, müssen die Vorfahren der Senner weit vor dieser Zeit aus dem arabischen Raum nach Lippe gekommen sein. Ob durch die Varusschlacht wie Jahrhunderte vermutet, wird sich aber wohl nicht mehr klären lassen.“
„Tatsache ist“, so Lackner, der sich seit 1970 für den Erhalt dieser Rasse einsetzt, „dass die Pferde keineswegs Wildpferde im eigentlichen Sinn des Wortes sind oder sich selbst überlassen waren. Die Herden lebten zwar wild in den Wäldern und Tälern des Teutoburger Waldes und der Senne, die Bedeckung erfolgte aber immer gezielt. Zum Deckeinsatz bei den Sennern kamen seit dem 16. Jh. immer wieder Vollblut-Araber oder Anglo-Araber.“
Für die „wilden Pferde“ wurde 1578 das Gestüt Lopshorn erbaut, gut hundert Jahre später der dort vorhandene Brunnen, um die Tiere durch die Wasserstelle besser an das Gestüt zu binden. Natürlich bekamen die Grafen zur Lippe, denen die wild lebenden Herden gehörten, auch ab und an mit Ärger mit den bäuerlichen Untertanen, wenn die Vierbeiner sich an den Feldern labten. Doch da wussten sich die Landesväter zu helfen: „Durch Erlass wird den lippischen Untertanen 1663 befohlen, ihre Felder gegen das Einbrechen der Tiere zu schützen.“
Doch die Zeiten änderten sich – auch im lippischen Land. Bereits seit 1771 durften die Senner nicht mehr im Wald überwintern sondern wurden eingestallt, später mussten die Pferde auf eingezäunten Flächen gehalten werden, damit sie nicht die Felder zerstörten, der Pferdebestand wurde reduziert, ein neues Hauptgestüt, Beberbeck, wurde mit sechzehn Sennerstuten begründet und 1918 schließlich beschlagnahmte der Lippische Staat den Gestütsbestand.
Gleich nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurde das Gestüt aufgelöst. Durch Privat-Initiativen konnten einige Pferde gerettet werden. Zu Kriegsende lag der Bestand der Senner bei 16 Pferden. Dass die Rasse nicht gänzlich untergegangen ist, ist im wesentlichen dem Züchter, Karl-Ludwig Lackner, zu verdanken, der sich seit 1970 für ihren Erhalt einsetzt. Mittlerweile gibt es wieder einen Bestand von 55 Senner-Pferden im Jahr 2021.
Inzwischen gibt es auch wieder Initiativen diese Pferde zu erhalten und in ihren natürlichen Lebensraum einzugliedern. Das LWL Freilichtmuseum in Detmold, auf dessen Gelände im 18. Jahrhundert die Jungstuten aus Lopshorn aufgezogen wurden, beteiligt sich seit 2001 mit zwei Stuten an der Zucht, und hat im ehemaligen Gestütsmeisterhaus ein sehenwertes Museum für die Senner eingerichtet.
Die Biologische Station Senne gründete 1999 ein Beweidungsprojekt mit Sennern zur Landschaftspflege im Naturschutzgebiet Moosheide. Seit 2017 gibt es auch eine Koppel in Augustdorf, nahe der Grenze zum Truppenübungsplatz, der inmitten der Senne liegt.
Hoffen wir, dass all diese Bemühungen um den Erhalt einer einzigartigen Pferderasse und deren ursprünglichen, ebenso einmaligen Lebensraum eine möglichst breite Unterstützung und Förderung finden. So dass auch künftige Generationen die etwas schwülstigen Worte des Dichters Hermann Löns, mit denen er seine Begegnung mit diesen Pferden beschrieb, nachempfinden können:
„Unser Traum trat uns in die Augen. Zog es da nicht heran, hoch im Widerrist, zwischen den Stämmen? Schnaubte es da nicht laut und wild? Die freien Sennepferde waren es, wohl dreißig, die da, ledig von Zaum und Eisen, nackt und ungeschirrt, über die Trift zogen, die Nasen im Wind, wie Wild. Und eins warf sich in den Mehlsand der Trift und sühlte sich, daß es mülmte, und noch eins, und wieder eins, eine gelbe Wolke qualmte zwischen den schwarzen Föhren, aus ihr zuckten Beine und Hälse und Schweife, und ein Gewieher erklang, so frei, so stark, wie nie ein Roß wiehert, das Zaum und Zügel kennt. Wir lagen mäuschenstill im Grase, an den freien Tieren die Augen labend, bis Stück auf Stück aufstand und weidend und wedelnd drüben in den Föhren verschwand. Lange noch hörten wir ihre Glocken klingen.“
„Stallgeflüster“ / E. Stamm