Neue Methoden von Roberts-Schülerin- Wieviel Monty steckt noch drin?
„Aus vollem Herzen“ heißt das vierte Buch von Andrea Kutsch, Deutschlands bekanntester Pferdetrainerin. Unser Mitarbeiter Dr. Bernd A. Weil hat mit der Frankfurterin, die von Pferdeflüsterer Monty Roberts ausgebildet wurde, auf der Buchmesse über ihr neuestes Werk gesprochen. Ein Interview über revolutionäre Trainingsmethoden und private Schicksalsschläge, bei deren Bewältigung Pferde eine entscheidende Rolle spielten.
Stallgeflüster: Frau Kutsch, danke, dass Sie mir das erste Interview über Ihr neues Buch „Aus vollem Herzen“ geben. Wieviel „Pferdeflüstern“ und wieviel Privates von Ihnen steckt da drin?
Kutsch: “„Pferdeflüstern“ kommt nur noch zu zehn Prozent vor. Ich schreibe über wissenschaftlich basiertes Pferdetraining. Ein Beispiel ist die berühmteste Geste, die das Pferd beim sogenannten „Pferdeflüstern“ gezeigt hat. Es stellte sich heraus, dass Pferde uns damit eine klare Botschaft senden wollen, und dass es sich um eine ganz normale Begleiterscheinung eines Reiz-Reaktions-Musters handelt. Steht das Pferd unter Stress, signalisiert das Nervensystem Gefahr, trocknet das Pferdemaul aus und bereitet den Körper auf sein instinktives Verhalten vor: Die Flucht. Ist die Situation vorbei, fließt der Speichel. Wir versuchen Stress zu vermeiden, um die Lernkurve des Pferdes im Training zu steigern anstatt sie herabzusenken.“
Stallgeflüster: Wie kontraproduktiv sind für Sie die Unterwerfungsgesten wie Kauen, Lecken, Stellung des inneren Ohres, Senkung des Kopfes, Verkleinerung des Zirkels etc. beim klassischen „Pferdeflüstern“?
Kutsch: „Genau darum geht es: Mit wissenschaftlichen Methoden zu untersuchen, wo Blockaden im Umgang mit dem Pferd aufgebaut werden, mit welchen Techniken wir uns weiterentwickeln können hin zu einer ganzheitlichen wissenschaftlich basierten Methode. Dazu habe ich unter anderem das Gestüt Lewitz in Neustadt-Glewe mit seinen 4.000 Pferden für Forschungszwecke nutzen dürfen, um besser zu verstehen, wie das Pferde-Gehirn funktioniert.“
Stallgeflüster: Funktioniert die von Ihnen entwickelte Trainingsmethode bei jedem Pferd?
Kutsch: „Ja. Bisher wurde ja meist aus der menschlichen Perspektive agiert und Gedanken in das Pferdeverhalten hineininterpretiert. Das ist kontraproduktiv, zumal Pferde oft eine spezifische Vorgeschichte haben, die kuriert werden soll. Nun ist es möglich, die Pferdeperspektive einzunehmen und Missverständnisse zu reduzieren.“
Stallgeflüster: Was kann ein Mensch von Pferden lernen?
Kutsch: „Alles zu vereinfachen! Also keine Fluchtreaktionen bei den Pferden hervorrufen, die zu Adrenalinausstoß und Stress führen, keine Unterwerfungsgesten verlangen, nicht der Leader sein zu wollen, sondern vielmehr gemeinsam mit dem Pferd ein Vertrauensverhältnis aufzubauen, um gemeinsam etwas zu erreichen. Dazu muss man bereit sein und das Wissen besitzen, die Perspektive des Pferdes einzunehmen und dessen körpersprachliche Signale korrekt zu deuten.
Stallgeflüster: Können Sie ein praktisches Beispiel für Ihre Arbeit nennen?
Kutsch: Um zu verstehen, wie Pferde kommunizieren, darf ich kein vorgefertigtes Verhaltensmuster mitbringen. Deshalb habe ich das Verhalten von Hunderten Pferden beobachtet und in sogenannten Ethogrammen kategorisiert. Es ist eine Art gezeichnetes Vokabelheft entstanden, das es uns möglich macht, jede Geste des Pferdes lesen zu können. Es ermöglicht uns, Stress oder Aggressionen, aber auch Wohlfühlgedanken des Pferdes richtig einordnen und erkennen zu können. So eskalieren Situationen nicht mehr. Mensch und Pferd arbeiten auf Ausbilder-Schüler-Ebene zusammen, um Lektionen schnell verständlich und lehrbar zu machen. Wir haben damit sämtliche Bestrafungs- und Belohnungssysteme der Pferdewirtschaft auf den Kopf gestellt. Daraus resultiert zum Beispiel, dass wir heute kein Pferd mehr wegschicken, wenn es unserer Meinung nach Fehler gemacht hat oder nicht kommen will. Das verursacht dem Pferd nämlich Stress und senkt die Lernkurve drastisch nach unten.
Stallgeflüster: Sie schildern erstmals ein sehr privates Kapitel Ihres Lebens: Den tragischen Verlust Ihres Ehemannes Roy in Kalifornien, der an einem Hirntumor erkrankte und starb. Wieviel Kraft konnten Sie aus der Arbeit mit Pferden für Ihr schmerzhaftes Schicksal schöpfen?
Kutsch: „Die Pferde, vor allem ‚No-Name‘ und ‚Lausbub‘, waren für mich eine entscheidende Hilfe, denn sie lehren uns ein positives Leben im Hier und Jetzt gegen alle Hoffnungslosigkeit und Gewalt. Die-se Erkenntnis können die Leser aus dem Buch ziehen, um nicht mit dem Schicksal zu hadern, sondern zu einem Loslassen im buddhistischen Sinn zu kommen. Deshalb lautet auch der Untertitel meines Buches: ‚Wie ich erst die Pferde verstand und dann das Leben‘.“
Stallgeflüster: Was machen viele Pferdetrainer falsch?
Kutsch: Der Hauptfehler ist, dass die Menschen zu viel in das Pferd hineininterpretieren oder zu viel Fehlerhaftes herauslesen wollen. Deshalb haben wir EBEC entwickelt. Das steht für „Evidence Based Equine Communication“. Übersetzt: Eine auf nachweisbaren Beobachtungen basierte Pferdekommunikation. Es ist die weltweit einzige pferdezentrierte und wissenschaftlich basierte Trainingsmethode, die im Ergebnis auf ein ruhiges, ausgeglichenes und uns zugewandtes Pferd zielt, dem leicht gemacht wird, die Trainingsziele, die wir Menschen festlegen, zu erfüllen.
Stallgeflüster: Wieviel der Methoden von Monty Roberts steckt heute noch in Ihrer Arbeit?
Kutsch: „Vielleicht zehn Prozent. Das herkömmliche relativ starre System von Belohnung und Strafe wird ersetzt durch das Beobachtbare am Pferd, also, was das Pferd mir bietet und anbietet. Dadurch, dass die Gesten des Pferdes, das Ausdrücken seiner Gefühle und Bedürfnisse, für uns nun im kleinsten Ansatz erkennbar ist, bestimmt das Pferd, was es als positive und als negative Konsequenz empfindet. Reize werden vom Pferd bestimmt. das macht die Ausbildung unglaublich nutzbringend. Wir vermeiden Stress, die Ausschüttung von Stresshormonen und steigern das Vertrauensverhältnis. Aus unseren Beobachtungen des Pferdeverhaltens haben wir einen vielfältigen Belohnungs- und Bestrafungskatalog entwickelt, der sanfte Wege geht und keinem Automatismus folgt. Das wichtigste Instrument dabei ist das konzentrierte Hinschauen und Beobachten durch dafür sensibilisierte und qualifizierte Menschen.“
Stallgeflüster: Was machen Sie am liebsten, wenn mal nicht die Pferde im Mittelpunkt stehen?
Kutsch: „Sport, vor allem Surfen, aber nach der schmerzhaften Erinnerung an meinen Mann, mit dem ich dies oft getan habe, surfe ich jetzt nicht mehr so gern. Dafür liebe ich Pilates, Fitness, Laufen und Tanzen. Außerdem koche ich gerne gesund.“
Stallgeflüster: Vielen Dank für das offene und informative Gespräch!
Das Interview führte Dr. Bernd A. Weil.