Hungry Horse Outside Christine Thomas rettet irische Pferde vor dem Hungertod
Tausende verwahrloste, hungernde und kranke Pferde vegetieren in Irland seit der Wirtschaftskrise vor sich hin, von ihren Besitzern im Stich gelassen. Die irische Freiwilligen-Organisation Hungry Horse Outside (HHO) aus der Grafschaft Longford hat es sich zur Aufgabe gemacht, die armen Tiere zu retten. Christine Thomas aus Herborn hilft mit, hat schon für einige „Iren“ ein liebevolles Zuhause in Deutschland gefunden.
Herborn – Als Sylvester im Oktober letzten Jahres nach zweitägiger Reise von Irland nach Herborn-Hörbach aus dem Transporter stieg, war er so dünn, dass Christine Thomas richtig erschrocken ist. Sie hatte den 3-jährigen Irish Cob-Connemara-Mix auf einem Foto auf der Facebookseite von HHO gesehen und sich sofort verliebt: „Er hatte so einen besonderen Blick“.
Aber Sylvester wollte sich nicht anfassen lassen, war sehr scheu und mißtrauisch. Heute wiegt er stattliche 450 Kilo bei 1,38 Stockmaß, albert auf der Weide mit dem Araberfohlen und den Mini-Shetland-Ponys herum und gibt sogar Füße. Christine Thomas: „Ein solches Pferd aus Irland vor dem Hungertod zu retten braucht Zeit und Geduld. Wir wissen nicht, was die Tiere Schlimmes erlebt haben. Sie müssen erst lernen, Vertrauen zu fassen.“
Seit Jahren sind im ländlichen Irland Tausende von Pferden, Ponys und Esel ohne ausreichende Nahrung, Wasser, Unterkunft und Grundversorgung. Misshandelt, krank und ohne Hilfe zum Tode verurteilt. Pferde gehören zur Tradition Irlands, vom Connemara Pony über Irish Draft bis Tinker, Shettys, Vollblüter und reinrassige Rennpferde.
Doch heute sind sie auf der Insel praktisch wertlos. Bauern füttern sie nicht mehr, Rennpferde und Ponys landen in Tötungsstation. Viele Iren können sich seit der Wirtschaftskrise ein Pony oder Pferd nicht mehr leisten. HHO holt die verwahrlosten Tiere aus heruntergekommenen Ställen, von Weiden, Müllkippen und aus Tötungsstationen. Sie werden von den freiwilligen Helfern aufgepäppelt und dann an neue Besitzer in ganz Europa vermittelt.
Christine Thomas, die alle nur Tommy nennen, hat schon einige irische Pferde nach Deutschland begleitet. Eine Herzens-aufgabe: Bei einem praktischen Jahr in ihrer Jugend, das sie in der Reithalle Herborn gemacht hat, arbeitete sie mit Ray, einem Iren, zusammen. Seitdem hat Irland sie nicht mehr losgelassen. Von Ray erfuhr sie viel über die Not der irischen Pferde und wollte helfen. Zu ihren sechs Pferden, die sie vorm Schlachter gerettet hat, kam dann Sylvester hinzu.
Wenn jemand ein irisches Pferd adoptieren möchte, organisiert HHO den Transport bis vor die Haustür. Die Tiere haben ein Gesundheitszeugnis und Pferdepass, sind geimpft und entwurmt. Alles in allem kostet so eine Adoption ab 1000 Euro. Die Abwicklung läuft auf englisch. Christine: „Es ist immer aufregend, wenn ein neues Pferd ankommt. HHO und die Fahrer erkundigen sich dann auch immer, wie es mit den bisherigen läuft und ob es ihnen gut geht.“
Mit Sylvester ist Jess, ein 4-jähriger Irish Cob, in die neue Heimat gekommen. „Am Anfang kam man gar nicht an sie heran,“ erzählt Tierärztin Wiebke Maaß, die Jess auf ihrer Koppel aufgenommen hat. Beim Stallgeflüster-Besuch ein paar Monate später streichelt ihr 10-jähriger Sohn Michel die Stute, legt sich über das kräftige Tier und schmust. Wiebke: „Wir wussten nur, dass Jess kopfscheu und ängstlich ist. Putzen und Hufe war auch nicht so gut. Man kriegt das aus einem Tier nur raus mit Ruhe und Geduld.“ Anfangs ist Jess öfter ausgebüxt, hat auch ausgetreten. Jetzt ist sie friedlich und zutraulich. Bald wird Michel Jess auch reiten.
Auch Anni kam aus Irland nach Herborn. Die 12-jährige Vollblut-Stute hat bei Christines Nachbarin Annika Seidel ein Zuhause gefunden. Annika: „Wir wissen praktisch nichts über die Pferde. Nur wie lange sie schon in Obhut beziehungsweise im Pound, der Tötungsstation für Pferde, waren. 80 Prozent der HHO-Pferde werden aus einem Pound geholt oder irgendwo eingefangen. 20 Prozent werden auf einen Anruf hin abgeholt.“ Annika hat sich mit dem Thema intensiv beschäftigt: „Für die Iren sind die Pferde nur Tiere, keine Freizeitkumpel. Sie sind nichts wert. Da setzen sich zwei erwachsene Männer auf ein Shetty und reiten und jagen und finden das witzig. Wir wissen nie, was das einzelne Tier erlebt hat, ob es jemals reitbar sein wird.“
Anni ist Annikas erstes eigenes Pferd. Ein Glücksgriff! „Ich habe es auf mich zukommenlassen und mich über jeden Schritt, den wir gemeinsam gegangen sind, unglaublich gefreut.“ Annis Fohlen starb kurz vor der Abfahrt, sie hatte eine Hernie entwickelt. Eine schlimme Euterentzündung war die Folge. Die Schmerzen hat sie mit großer Geduld ertragen.
Als Anni sich erholt hatte, ist Annika zunächst mit ihr nur am Strick spazieren gegangen. Heute kann sie Anni reiten. Mit den anderen Stuten auf der Koppel fühlt sie sich pudelwohl. Den Hufschmied fand Anni zuerst ganz doof: „Dann haben wir einen ganzen Tag geübt und heute ist Anni rundum beschlagen.“ Annika happy: „Ich hätte auch ein völlig traumatisiertes Pferd bekommen können, was ich monatelang nicht hätte anfassen können.“
Nicht immer klappt die Adoption allerdings so gut. Es dauert lange, bis sich das Pferd an die neue Umgebung gewöhnt hat. Christine: „Man darf nicht denken, dass man das Tier nur verwöhnt und betüttelt, weil es so viel Schlimmes erlebt hat. Man muss geradlinig sein und keine Dankbarkeit erwarten, sonst geht das daneben. Ein solches Pferd ist nur was für erfahrene Pferdebesitzer. Manche Tiere müssen auch wieder abgegeben werden. Manchmal sind die Besitzer überfordert, manchmal stimmt die Chemie einfach nicht, dann hilft HHO auch bei der Weitervermittlung.“
Christine Thomas bereut es keine Sekunde, dass sie Sylvester geholt hat: „Anfangs ließ er sich gar nicht anfassen. Es ist schön, wie prächtig er sich entwickelt hat.“ Die drei pferdeverrückten Herbornerinnen sind sich einig: Sie würden sich jederzeit wieder ein Pferd aus Irland holen.
www.hungryhorseoutside.com
„Stallgeflüster“ / K. Pohl