Hessische Meisterschaften im Holzrücken; In der Ruhe liegt die Kraft
Präzision, Ruhe, Kraft und eine gute Portion Geschicklichkeit: Das vereinen die Kaltblutpferde und ihre Leinenführer, die im Wald Holz rücken.
Wie genau es dabei mit der Exaktheit genommen wird, das zeigten am ersten Juli-Wochenende die Teilnehmer bei den 3. Fuhrmannstagen in Nieder-Moos im Parcours.
Als ‚Stallgeflüster‘ am Sonntagvormittag am Ort des Geschehens eintrifft, stellen wir zunächst einmal fest, dass hier ‚richtig was los‘ sein musste. Bereits an der Zufahrt zur Straße, die zum Turnierplatz führt, werden wir von einem freundlichen Parkdienst abgefangen und auf eine Wiese geleitet. „Tut uns leid, Parkplätze dort oben gibt es nicht mehr“, werden wir aufgeklärt. Dabei ist es doch gar nicht so spät. Die Veranstaltung hat doch erst vor einer Stunde begonnen. Während wir uns innerlich auf einen längeren Fußmarsch an diesem heißen Juli-Sonntag vorbereiten, fährt bereits ein Planwagen vor. „Steigen Sie ruhig ein, wir sind der Turnier-Shuttle“, erklären uns die Fahrer. Und siehe da, der Shuttle-Dienst mit Planwagen und Pferdestärken funktioniert bestens.
Am Ort des Geschehens finden wir dann den Parcours. Der besteht aus insgesamt dreizehn Hindernissen, den natürlichen Gegebenheiten im Wald nachempfunden. Da gab es beispielsweise einen Schlammgraben und eine Reihe nachgestellter Bäume, die im Slalom zu durchqueren sind, Schrägen, so genannte Schrägaufzüge, die die Pferde und ihre Leinenführer mit ihrer Last, einem 10 Meter langen Baumstamm, überwinden mussten und noch so einiges mehr.
Auf den ersten Blick: Eine etwas lahme Vorstellung, wenn man als Reiter Spring-, Vielseitigkeits- oder Dressur-Turniere gewohnt ist. Jedes der rund zwanzig genannten Gespanne hatte 30 Minuten Zeit, den Parcours zu absolvieren. Und das alles im Schritt. Denn Trab wollen die Richter bei diesen Prüfungen nicht sehen und bewerten mehrere Trabtritte mit Strafpunkten. „Der Parcours ist der Alltagsarbeit nachempfunden. Da arbeiten die Pferde rund sechs Stunden – Trab-Arbeit würde sie nur müde machen und das wollen wir auf keinen Fall“, erklärt Volker Schmelz, der die Veranstaltung mit organisiert hat und dem Publikum am Mikrofon so manche Erklärung gibt.
Die ist für den Holzrück-Laien auch durchaus nötig. Denn beim zweiten, genauen Hinschauen entdeckt der Laie, wie überaus komplex, spannend und beeindruckend die Aufgaben sind, die hier auf dem großen Platz bewältigt werden. Kein Wunder, dass hunderte von Zuschauern – viele von ihnen Fachleute – wie gebannt dasitzen und die Arbeit der Zweispänner (die Einspänner hatten ihren Auftritt am Samstag) aufmerksam verfolgen: Hier zählt jeder Zentimeter!
Das gilt vor allen beim so genannten ‚Aufpoltern‘. Da liegen vier Baumstämme – drei nebeneinander, der vierte darauf. Die Aufgabe: Den zu Parcours-Beginn angehängten Stamm neben dem bereits oben liegenden möglichst in der zweiten oder dritten Kerbe zu platzieren. Dafür muss eines der beiden Pferde auf den Stämmen laufen, sonst gelingt es nicht ihn schräg in die entsprechende Kerbe zu befördern. Und, Ordnung muss sein: Er muss mit den bereits vorhandenen exakt bündig liegen – jeder Zentimeter darüber oder dahinter gibt Strafpunkte.
Natürlich geht es hier nicht nur nach Exaktheit. Auch die Zeit ist vorgegeben. Jedes Hindernis hat einen Zeitraum zwischen 30 Sekunden und vier Minuten, in der es überwunden bzw. die damit verbundene Aufgabe gelöst sein muss.
Bei manchen von ihnen muss der Leinenführer die Last umhängen, um den Pferden die Arbeit leichter zu machen oder gar erst zu ermöglichen. Hier kommt alles vor, was auch bei der täglichen Arbeit so kommen kann: Da wird variabel gearbeitet zwischen Ziehen und Schieben, mit dem angehängten Stamm auf einer Schräge rückwärts ein Holzklötzchen nach oben schieben, den Stamm erst auf einen Schrägaufzug schieben und dann in eine Schwebe-Waage ziehen, kurzum: Präzisionsarbeit, die ohne das bewundernswerte Team-Work und Vertrauen zwischen Mensch und Pferd nicht geleistet werden könnte.
Natürlich gibt es hier im Parcours auch eine Brücke und einen recht tiefen Schlammgraben, vor dem sich sogar mancher Kaltblüter ziert. Nicht nur in diesem speziellen Fall sondern auch an den anderen Hindernissen achten die Richter auf den höflichen Umgang zwischen Mensch und Tier: Anschreien oder lautstarke Kommandos sind ebenso wenig erwünscht wie schlagen mit Leinen oder Zugsträngen. Das führt vom Punkteabzug bis zur sofortigen Disqualifikation.
Vielleicht liegt es an diesem strengen Reglement der Umgangsformen oder vielleicht auch daran, dass die für Mensch und Tier schwere Arbeit im Wald nur in gegenseitigem Vertrauen und gemeinschaftlich bewältigt werden kann – hier hört man kein lautes Wort, kaum dass der Zuschauer eines der alten Kommandos ‚hott‘ für rechts oder ‚har‘ für links erhaschen kann. Wüssten wir nicht, dass diese Pferde auf Stimm-Kommandos ausgebildet sind, wir würden sie nicht hören.
Schließlich neigt sich auch dieser Sonntag-Nachmittag und ‚Stallgeflüster‘ muss diesen beeindruckenden Wettbewerb verlassen. Schade, denn das waren Momente, die zum einen viel Spannung boten, zum anderen eine so partnerschaftliche Kooperation zwischen Mensch und Pferd zeigten, wie man sie sich in vielen Fällen auch bei anderen Veranstaltungen nur wünschen würde.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm