Welches Pferd für welchen Reiter
Der stolze Großvater zweier kleiner Mädchen, ein reicher Gastwirt, überraschte seine „Herzchen“ mit zwei Shetland-Ponys, die er in seinen etwa 1000 m² Blumengarten unterbrachte. Nicht nur, dass diese putzigen Tierchen den Garten innerhalb weniger Wochen in eine braune Staub-, bzw. Schlammwüste verwandelten, es erwies sich auch, dass sie außerordentlich störrisch waren. Nach vielen Tränen und einigen Verletzungen war die reiterliche Karriere der beiden Mädchen beendet. Dieser Großvater war mein Nachbar und die täglichen Schauspiele im angrenzenden Garten veranlassten meine Mutter für meine ersten Reiterfahrungen einen alten Haflinger zu engagieren. Danach erfreute ich mich 40 Jahre lang am aktiven Reitsport.
Die einzig richtige Entgegnung auf die Frage “Welches Pferd für welchen Reiter?“ lautet: „Es kommt darauf an!“ Diese Antwort entspricht zwar der Komplexität des Themas, ist aber für jene nicht hilfreich, die ein Pferd für sich oder ihre Kinder auswählen wollen, ohne sich mehrere Jahre diesem Thema gewidmet zu haben. Einige Grundsätze vorweg:
Diese Ausführungen geben einen generellen Überblick. Die Besprechung der Rahmenbedingungen mit Fachkräften, wie beispielsweise dem Reitlehrer, ist unerlässlich.
Das Universalpferd, das den Anforderungen des Anfängers bis zum Hochleistungsportler, des Distanzreitens bis zu Polo-Chukkas gerecht wird, gibt es nicht. Ein möglichst genaues Anforderungsprofil ist notwendig.
Die Anschaffung eines Pferdes begründet auch ein Treueverhältnis des Reiters gegenüber dem Pferd. Eine derartige Entscheidung darf nur nach reiflicher Überlegung, nie aus einer Laune heraus getroffen werden.
Es braucht viel Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen vor dem Kauf. Gemeinsame Zeit miteinander vor der „Hochzeit“ zu verbringen ist nicht unanständig.
Überlegen Sie das weitere Schicksal des Pferdes nach der vorgesehenen aktiven Phase. Auch ein „Ausstiegsszenarium“ sollte bereits überlegt sein, bevor ein unvorhergesehenes Ereignis alle Pläne durcheinander bringt.
Sollte das Pferd eher als Prestigeobjekt gedacht sein, ohne es auch adäquat betreuen zu können, so seien Sie sich bewusst, dass Sie sich zumindest unter Reitern der Lächerlichkeit preisgeben. Es gibt bessere Objekte, Ihren Status zu dokumentieren.
Basisdaten
Typische Reitpferde leben im Durchschnitt zwischen 25 und 30 Jahren. Kaltblut ist mit 4 Jahren ausgewachsen und wird ca. 18 Jahre alt, Warmblut mit 5 und wird ca. 25, Ponys und Araber mit 8, dafür können diese bis zu 40 Jahre alt werden.
6 bis 12 Monate nach der Geburt werden die Fohlen abgesetzt, das heißt, sie werden von der Mutterstute getrennt und ernähren sich nicht mehr von deren Milch. Zur optimalen und langfristigen Verwendung als Reittier sollten sie erst knapp vor dem Erwachsenenalter angeritten werden. Danach erfolgen 2 Jahre Grundausbildung. Höheren Belastungen sollten Pferde erst ab dem 8. Lebensjahr ausgesetzt werden, am leistungsfähigsten sind sie um das 10. Lebensjahr. Reiterliche Herausforderungen können etwa für die Dauer von 10 Jahren bewältigt werden. Dann sollte eine kontinuierliche Reduktion der Anforderungen erfolgen. Für die Zeit des Gnadenbrots wären etwa 5 Jahre zu rechnen.
Vor der Anschaffung eines Pferdes sind vor allem auch die Kosten für die Haltung zu berücksichtigen. Bei eigener Infrastruktur gehören dazu durchschnittlich 2,5 kg Hafer (ca. 4,5 Liter), bis zu 4 kg Stroh pro Tag, 5 kg Heu (1,5 kg/100 kg Pferd/Tag = ca. 2x einen Arm voll/Tag) und Mineralstoffe/Vitamine/Salzleckstein, ein Ballen Stroh als Einstreu pro Monat, Hufschmied alle 7 Wochen, regelmäßige Impfungen und Entwurmung alle 4 Monate, sowie Haftpflichtversicherung. Hinzu kommen Strom/ Wasser/Verbrauchsmaterialien sowie Veranstaltungen, Unterricht und Ausrüstung. Auch eine Reserve für unvorhergesehene Ereignisse (z.B. akute Erkrankungen) sollte zurückgelegt sein. Als Richtwert für die Haltungs-Kosten können 3.000 bis 5.000 Euro pro Jahr angesetzt werden.
Hinsichtlich der Infrastruktur gelten folgende Anhalte: Die Box muss mindestens die doppelte Widerristhöhe des Pferdes im Quadrat betragen, also rund 3×4 Meter (sollte die beste Haltungsform, die Offenstallhaltung, nicht möglich sein). Für die Weide rechnet man mit 0,5 bis 1 Hektar pro Pferd bei ausschließlicher Weidefütterung; weiter 30 bis 60 Liter Wasser pro Tag und zumindest 16 bis 20 m³ Lagerraum für ca. 2500 kg Raufutter und Einstreu (Gesamtjahresbedarf: 84 m³ Bergeraum für 35 m³ Heu = 2500 kg, 45 m³ Stroh = 4000 kg und 4 m³ Kraftfutter = 5,4 kg/Tag oder 2000 kg/Jahr). Eine andere Faustzahl bei höherem Anteil der Weidefütterung und täglichem Austausch der Einstreu besagt: 6 kg Futterration und 10 kg Stroheinstreu pro Tag.
Was hinein kommt, muss auch wieder heraus kommen! Ein Warmblutpferd produziert pro Tag etwa 10 kg Kot und 7 l Urin, um die Box wieder sauber zu bringen bedarf es 1 bis 2 Schubkarren Einstreu pro Tag. Als Dunglege werden ca. 2 bis 3 m³ pro Pferd pro Monat benötigt.
Der Zeitaufwand für Füttern und Pflege (Pferd, Ausrüstung und Infrastruktur) beträgt bis zu 1 Stunde pro Tag pro Pferd und mindestens 1 Stunde Reiten. Im Übrigen rechnet man pro 20 Pferde den Bedarf eines Pflegers. Als Zeitaufwand für die reiterliche Ausbildung und ein entsprechendes Training sollte man etwa eine Stunde im 2-tägigen Rhythmus am Pferd vorsehen. Mit Vor- und Nachbereitungszeit sind somit zumindest 6 Stunden pro Woche für reiterliches Training zu veranschlagen.
Kernproblem: Mietpferd –
Reitbeteiligung – eigenes Pferd
Wenn das monatlich verfügbare Geld für den Aufwand rund um die reiterlichen Vergnügungen geklärt ist, bedarf es einiger rationaler Überlegungen zum Zeitaufwand. Selbst die tiefste Liebe zu den süß-sanften Tieren mit den großen Augen verbleicht angesichts eines zärtlichen Kusses in den starken Armen des jugendlichen Geliebten. Dann wird das rhythmische Stampfen im Schweißdunst einer Disco wesentlich erotischer als die schwingenden Bewegungen des Ausgabelns von Stallmist in monotonem Gesummse der Schmeißfliegen. Später erwacht möglicherweise auch das Interesse an anderen Sportarten oder die Notwendigkeit an höherem Zeitaufwand für ein Studium. Die höchste zeitliche Flexibilität bei geringsten Fixkosten bietet das Mietpferd. Das Erlebnis der exklusiven Verantwortung für das Tier sowie des gemeinsamen Reifens bleibt aber auf der Strecke.
Eine Reitbeteiligung ist ein guter Kompromiss zwischen Kosten, Zeitaufwand, Verantwortung und Vergnügen. Sie ist aber auch jede Menge Anlass für Ärger und Streit. Das eigene Pferd macht höchste emotionale und reiterliche Befriedigung wahrscheinlich, das eigene Pferd bedeutet aber auch einen langdauernden Klotz am Hals, sofern man diese Beziehung liebevoll und verantwortungsbewusst pflegt. In diesem Fall scheint mir die Betreuung eines Pflegepferdes in der frühen Jugend mit nachfolgendem Kauf eines älteren, kleineren Pferdes für Reitanfänger sinnvoll. Wenn dann die Pferde am Ende ihrer Nutzungsphase anlangen, wurden aus den Reiteleven ausgebildete, erfahrene und verantwortungsbewusste Reiterinnen und Reiter. Dann ist der richtige Zeitpunkt für ein jüngeres, speziell trainierbares Pferd für jene Sportdisziplin, die bevorzugt wird.
Hinsichtlich des richtigen Verhältnisses von Größe und Gewicht zwischen Reiter und Pferd gilt als Faustregel: das Gewicht des Reiters sollte etwa 12 Prozent des Pferdegewichts betragen (exklusive Sattel und Decke, die etwa 8 kg wiegen). Das Stockmaß sollte etwa der Augenhöhe des Reiters entsprechen, bei fast durchgestrecktem Bein (Dressur), sollten die Fersen des Reiters erkennbar tiefer als die tiefste Stelle des Sattelgurts liegen. Bei diesen Verhältnissen geht es nicht um das harmonische Aussehen, sondern um die Gesundheit von Pferd und Reiter, um die Balance zwecks optimaler Hilfengebung.
Richtige Rasse
Deutschland ist die Nation der Weltmeister der Pferdezucht und des Reitsports. Es besteht daher die Tendenz, dass deutsche Pferderassen zunehmend internationale Turniere dominieren. Dies könnte langfristig die genetische Vielfalt im Hochleistungssport verringern. Wer ein Freizeitpferd sucht, und sich nicht für eine bestimmte Sportpferderasse entscheiden muss, dem stehen viele alte, z.T. vom Aussterben bedrohte Hauspferderassen zur Auswahl, denen keineswegs an Bewegung und Temperament mangelt. Damit kann ein Beitrag zur Erhaltung einer möglichst breiten genetischen Basis geleistet werden.
Dennoch gilt: Auch als Freizeitreiter hat ihr Reitstil Einfluss auf die Wahl der Pferderasse: keine schwere Rasse, wenn sie gerne galoppieren; kein Vollblut bei wenigen Ausritten pro Woche im Schritt; Lippizaner , Andalusier, Friesen sind zwar gute Dressurrassen, auf Grund ihrer Stockmaße zwischen 150 und 160 cm bei internationalen Turnieren jedoch nicht allzu gerne gesehen; bei fortgeschrittenem Alter oder Bandscheibenproblemen bewähren sich Gangpferde, insbesondere wenn man die Stöße im Trab nicht mehr aussitzen kann.
Wie sich aus den obigen Ausführungen klar ergibt, sind der Rat von erfahrenen Reitern und das Einholen verschiedener Angebote unbedingt nötig. Bei jeder Erörterung der eigenen Wünsche mit Experten sei man sich eventueller wirtschaftlicher Interessen bewusst. Für einen Züchter sind die Pferde seiner Zucht grundsätzlich „Universalpferde“, die Pferde eines Reitbetriebes zeichnen sich regelmäßig durch besondere Anpassungsfähigkeit an unterschiedlichste Reiter aus und Einstellbetriebe garantieren ebenso regelmäßig den Pferdehimmel auf Erden. Allen Ratschlägen zum „richtigen Pferd für den richtigen Reiter“ gebührt jedenfalls Dankbarkeit, aber auch kritische Vorsicht.
Von Viktor Horatczuk
Fotos: pixelio.de