Zur Philosophie des Reitens
Ausgangspunkt
Ich bin mein Leben lang geritten – unhinterfragt. Ich hatte eine profunde Ausbildung genossen, liebte meine Pferde, pflegte sie und freute mich, wenn ich Fröhlichkeit und Harmonie zwischen Ross und Reiter verspürte.
Unlängst erlebte ich die angstvollen und schmerzlichen Qualen eines älteren Herren auf einem jüngeren Wallach, die letztendlich zur unbeabsichtigten Trennung des Reiters vom Pferd und einer blutenden Wunde des Pferdes führte. Kurz danach las ich einen Artikel über Tierschutz, der ähnlich der Frauenemanzipation eine Befreiung der Tiere von der Knechtschaft durch den Menschen forderte.
Der Glaubenskrieg wird stärker: Fleischesser, Pelzträger, Jäger, unterliegen einem Rechtfertigungsdruck, wie es ihn bisher noch nie gab. Das Gute daran, Tieren wird zunehmend eine Seele zugesprochen, die es zu würdigen gilt. Aus unhinterfragten Gewohnheiten werden reflektierte Verhaltensweisen. Die folgenden Überlegungen wollen einen Beitrag zur Diskussion um Tierrechte leisten und folgende zentrale Frage erörtern: Inwieweit ist es zulässig, Pferde als Reittiere zu verwenden?
Phänomene
Reiten ist die Dominanz des Reiters über das Tier. Es ist die Autorität eines Menschen über ein Wesen, welches größer und stärker ist als er. Letztlich ist es ein Aspekt der menschlichen Beherrschung der Natur. Diese Beherrschung reduziert Angst und erzeugt Befriedigung. Darin glaube ich liegt der generelle Kern der Beziehung zwischen Reiter und Pferd.
Im Laufe der Geschichte wurde dieses Vermögen der Dominanz über das Pferd für die verschiedensten Zwecke genutzt. Überall wo Schnelligkeit und Übersicht oder Zug – bzw. Tragkraft gefragt war, kam das Pferd zum Einsatz. Die menschliche Lust am Wettkampf wird wohl auch von Anbeginn Pferderennen nach sich gezogen haben. Nachdem ein Großteil des praktischen Gebrauchs der Equiden nach der industriellen Revolution zurückging, bleibt heute der Kern des Reitens, die Befriedigung, das Vergnügen ohne sonstigen Zweck, übrig. Die Evolution hat Pferde nicht als Reittier für den Menschen sondern als Herdentier für weite Graslandschaften geschaffen. Menschlicher Verstand und Kreativität haben sich seiner zur Verbesserung seiner Lebensbedingungen bemächtigt. In der Natur ist das Leben von Individuen auf Kosten Anderer, der Zusammenschluss zu Symbiosen oder die ökonomische Nutzung von Tieren ein generelles Gestaltungsprinzip. Reiten kann daher grundsätzlich nicht widernatürlich sein.
Es stellt sich jedoch die Frage, ob ein Herdentier der offenen Steppe in Leder gezwängt werden darf, um übergewichtigen Großstädtern das angeschlagene Selbstbewusstsein aufzupolieren.
Wenn man die Motivationen zum Freizeitreiten in Gruppen zusammenfast, ergeben sich im Wesentlichen folgende Cluster:
• Das Naheverhältnis junger Mädchen zu den muskulösen, streichelweichen Tieren mit den großen Augen;
• Die Ausübung einer abwechslungsreichen Sportart unter Bewältigung eines Sportgerätes mit Eigensinn;
• Die Kultivierung eines exklusiven, aristokratischen Vergnügens;
• Die Kombination aus Bewegung in freier Natur, Geselligkeit und Einfühlungsvermögen;
• Die Freude an der Harmonie und der Ästhetik der Bewegungen;
• Die Verdienstmöglichkeit an einer Trendsportart.
Die verfügbaren Daten über Pferde in Europa sind unbefriedigend. Zwar gibt es eine EU – Verordnung vom 1. 7. 2009 (Nr.: 504/2008/EG) zur obligatorischen Kennzeichnung und Identifikation aller Equiden, die Umsetzung erfolgte bis jetzt in den einzelnen Staaten weitgehend mangelhaft.
Aus diversen Quellen lässt sich abschätzen, dass es in Europa ca. 7 Mio Pferde gibt, davon 1 Mio in Deutschland und ca. je 100.000 in der Schweiz und in Österreich. Die Tiere werden hauptsächlich im Sport – und Freizeitbereich eingesetzt. Die freilebenden, bei der Exekutive und in der Landwirtschaft verwendeten und für die Fleischproduktion gezählten Tiere sind marginal. Europaweit sind etwa 900.000 Arbeitsplätze mit der Pferdehaltung verbunden. In Österreich wird bei ca. 15.000 Arbeitsplätzen und 250.000 Reitern von einer Wertschöpfung von etwa € 7.000,- /Pferd und Jahr ausgegangen.
Die Haltung eines Pferdes kostet im Durchschnitt für den Betreiber eines Stalles € 3500,- pro Jahr. Für einen Reiter etwa € 6000,-, € 4000,- davon an den Stallbesitzer. Aus Einstellgebühren und Reitstunden lassen sich pro Jahr etwa € 14.000,- pro Pferd als Gewinn lukrieren. Dieser Betrag schwankt je nach Ort, verfügbarer Infrastruktur, Anzahl der Pferde und Auslastung beträchtlich.
Ideengeschichte
Im Neuen Testament beschreibt Lukas in 19:29 – 38 wie Jesus nach einem Esel verlangt und dann in Jerusalem einreitet.
Plutarch( + ca.432 ) stellt im Leben des Markus Cato ein ideales Verhältnis zwischen Mensch und Pferd dar: das Tier wird auch nach seiner ökonomischen Nutzung nicht einfach verwertet sondern in Ehren und mit Würde gepflegt. Er beschreibt unter anderem die Existenz von Gräbern und Monumenten für Rennpferde. Für ihn sind Tiere offensichtlich beseelte Wesen im Sinne Epiktets.
Thomas von Aquin (+ 1274 )legt in seiner Summa Theologica eine sehr materielle und ökonomische Sichtweise der Beziehung zwischen Mensch und Tier offen.
Montaigne (+1592 ) beschreibt in seinem zweiten Buch, in Kapitel 11, dass das Wesen einer kultivierten und friedfertigen Person am humanen Umgang mit seinen Tieren und jenem der Natur abgelesen werden kann.
Tolstoi ( + 1910 ) beschreibt in Krieg und Frieden die Wolfsjagd auf Pferden als ein Vergnügen, wobei Pferde lediglich als Sportgerät und Wölfe als Zielscheiben betrachtet werden. Seit dem amerikanischen Spielfilm „Der Pferdeflüsterer“, 1998, explodieren die Fachbücher über Kommunikation mit Pferden, über ihre Psyche und Emotionen. Die Tendenz geht dahin, den Pferden eine Seele zuzusprechen, sodass ihnen nicht nur aus ökonomischen Gründen Zuwendung und Wohlwollen zu spenden ist.
Rechtliche Aspekte
Noch ist das internationale Selbstverständnis für ein völkerrechtliches Abkommen zu den „Allgemeinen Rechten von Tieren“ nicht weit genug gediehen. Die Tierschutzgesetze entwickelter Staaten zeigen aber das gesellschaftlich geforderte Minimalerfordernis an Haltung und Betreuung – aber auch des Verhaltens gegenüber wildlebenden Tieren auf. Gemäß deutschem und österreichischem Tierschutzgesetz steht die Vermeidung von Qualen im Vordergrund, das Schweizer Tierschutzgesetz von 2005 stellt bereits auf die Würde der Tiere und deren Wohlergehen ab. Dies dürfte auch der Trend der internationalen Entwicklung sein, da sich bei zunehmendem internationalem Wohlstand die Einstellungen zu Tieren generell verbessern werden.
Ästhetische Aspekte
Die Domestizierung und Züchtung von Pferden war eine hohe kulturelle Leistung der Menschheit. Auch bei Wegfall der praktischen Notwendigkeit der Pferdehaltung und des Reitens bleibt die Pflege des kulturellen Vermächtnisses ein Wert an sich. So wie die Pflege des klassischen Konzert – und Theaterbetriebes im digitalen Zeitalter entbehrlich wäre, trotzdem jedoch ein wesentlicher Bestandteil der Kultur einer Gesellschaft bleibt, bleibt auch die Züchtung und die Reitkunst, sofern sie vom Ziel der Harmonie getragen ist, ein Aspekt kultureller Leistung. Die Spanische Hofreitschule in Wien zum Beispiel könnte daher nicht nur aus dem Blickwinkel touristischer Überlegungen beurteilt werden. Diese Harmonie bezieht sich nicht nur auf den Sitz des Reiters sondern auf alle Bereiche von der Zucht, dem Stall, der Pflege bis zum Umgang mit den toten Tieren.
Bei aller Würdigung jener Enthusiasten, die aus Liebhaberei und Geldnöten einen Reitbetrieb entwickeln, sind sie doch in sehr vielen Fällen Anlass für schlechtes Image der Zunft, da ihr betriebliches Vorwärtsstolpern die erforderliche Ästhetik des Gesamtbetriebes vermissen lässt.
Kulturelle Unterschiede zu berücksichtigen: meine Reitausbildung genoss ich an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt. Die Pflege und Gesundheit der Pferde stand an oberster Stelle. Wie erstaunt war ich daher, als ich in einem britischen Polo – Club miterlebte, wie die Pflege der Sättel und des Lederzeuges die wichtigste Tätigkeit der Clubmitglieder war. Der Pferdepflege wurde zwar ausreichend nachgekommen, das Lederzeug genoss jedoch kultische Verehrung.
Moralische Aspekte
Moralische Überzeugungen sind immer höchstpersönlich und daher durch Außenstehende nicht beurteilbar. Es gibt jedoch Kriterien an denen offensichtliche Unzulässigkeiten festzumachen sind.
Eine Pferdehaltung, die dem Bewegungsdrang, dem Sozialbedürfnis und dem physischen und psychischen Wohlergehen der Tiere nicht gerecht wird, kann zwar im Einzelfalle moralisch gerechtfertigt sein, generell bleibt sie aber trotzdem unzulässig. Ich halte Reiten dann für zulässig, wenn sich der Reiter einer eingehenden Ausbildung zur Physis, Psyche, dem Sozialverhalten der Pferde und der Technik des Reitens unterzogen hat; Grundkenntnisse vom Stallbetrieb, der Pflege von Pferd und Ausrüstung sowie Krankheiten und Erster Hilfe aufweist; das ausgewogene Verhältnis von reiterlichem Können und Erfahrung mit der zu bewältigenden Herausforderung und mit dem aktuellen Vermögen und den Fähigkeiten des Pferdes gegeben ist.
Obige formale Aspekte können letztlich keine Aussage über die moralische Qualität eines Stallbetreibers oder Reiters treffen, dienen aber als „Beichtspiegel“ für diese und als Maß der Zulässigkeit für Außenstehende.
Dr. Viktor Horatczuk, 1957 geboren, erhielt im Rahmen seiner Offiziersausbildung eine dreijährige profunde Reitausbildung an der Militärakademie in Wiener Neustadt. Während seiner Tätigkeit im Österreichischen Bundesheer studierte er Rechtswissenschaften und betrieb das Reiten als Hobby nebenbei – auch während eines Auslandseinsatzes in Zypern, bei dem er dem dortigen britischen Poloclub beitrat und diesen Sport für einige Jahre pflegte.