Ein Hauch von „natürlicher“ Wildheit
Anfang November vergangenen Jahres hörten wir bei Stallgeflüster den Begriff ‚Natural Horseback Archery’ im Zusammenhang mit einem Ausbildungsangebot. ‚Bogenschießen vom Pferd – was ist das?’ fragten wir uns in der Redaktion und nahmen Kontakt auf zu Pettra Engeländer, die Kurse in dieser Disziplin anbietet.
Kurz darauf bekamen wir einen Termin und machten uns auf den Weg in Richtung Fulda bzw. Hofbieber.
In der Nähe von Fulda führt uns unser heiß geliebtes Navi weg von der Autobahn, durch die Wälder der Rhön, durch einen Ort mit dem bedeutungsschweren Namen ‚Armenhof’, durch Felder und wieder durch den Wald. Schließlich, als wir schon glauben, hier könnte es außer Wald und Koppeln nichts mehr geben, erreichen wir weitab von jeglichem Ort das Seminarhotel Fohlenweide, ein stattliches, einladendes Gebäude aus längst vergangenen Zeiten.
Gerade als wir uns in der gemütlichen, modernen Lobby umschauen, kommt eine kleine dunkelhaarige Frau herein: Pettra Engeländer. Freundlich und leise sind hier die Töne und dennoch besticht die in Reithosen und Mongolen-Stiefel gekleidete, gestandene Frau durch eine schier unglaubliche Präsenz. Also wundern wir uns gar nicht, als wir hören, dass unser Gegenüber früher sehr viel mit Ausdruckstanz und choreographischer Tanzausbildung zu tun hatte. Doch zurück zu den Pferden. Was bringt einen Menschen auf die Idee, Bogenschießen vom Pferd zu erlernen und zu lehren? „Pferde habe ich schon immer geliebt“, erzählt uns Pettra Engeländer. „Ich habe, weil ich nach besserem Zugang zu ihnen suchte, zunächst bei Silke Vallentin gelernt. Das faszinierende ist, dass sich Silke selbst nicht bewegt, wohl aber die Pferde. Das ist eine ganz andere Ebene von Verständnis. Dennoch war es mein großer Traum, einmal dort zu sein, wo die Menschen noch ganz in der ursprünglichen Form mit Tieren, als Hirten, zusammen leben.“ Dieser Traum erfüllte sich als Pettra bei einer Buch-Lesung auf den mongolischen Autor Galsan Tschinag traf. Er ermöglichte es ihr, einige Wochen lang in der Mongolei bei einer Hirten-Familie zu leben. „Das hat mich, die ich mich so viel mit Horsemanship befasst hatte, erst einmal auf den Boden gebracht. Das Hauptaugenmerk der Nomaden richtet sich auf die Jungtiere. Weder bei den Menschen noch den Pferden waren große emotionale Bewegungen sichtbar. Allerdings wuchsen die Fohlen und Jungpferde der Herde zusammen mit den Kindern der Nomaden auf – sie saßen praktisch gemeinsam am Tisch. Den Kindern dort obliegt auch die Fürsorge für die Jungtiere – das prägt die Tiere. Und vor allem gilt dort: Tiere haben das gleiche Bewusstsein wie Menschen.“ Nach diesen einschneidenden Erfahrungen kaufte sich Pettra Engeländer, zurück in Deutschland, eine Jurte und lebte drei Jahre mit ihren Pferden zusammen, ebenso wie die Menschen in der Mongolei. „Das hat mein Verhältnis zu ihnen stark beeinflusst, Achtsamkeit und das Gespür für ihr soziales Verhalten geschärft.“
„Das schießen mit Pfeil und Bogen gehörte bei den historischen Reitervölkern zum Alltag. Und deren Geschichte hat mich schon immer fasziniert. Für mich ist der Bogenschütze auf dem Pferd ein Symbol von Selbstbewusstsein und Schönheit. Deshalb habe ich das ausprobiert.“ Und aus dem Ausprobieren wurde eine versierte Bogenschützin, die ihre Kunst auch in Apassionata demonstrierte.
„Doch ist es sicherlich nicht ganz einfach, einen Pfeil im Galopp so abzuschießen, dass der auch trifft“, stellen wir fest. „Nun, dazu gehört zunächst ein absolut unabhängiger Sitz, die Harmonie mit dem Pferd, das Gefühl für Rhythmus und das Gespür für den richtigen Moment. Denn, ein Pfeil kann nur treffen, wenn er in der Flugphase des Galoppsprungs abgeschossen wird.“ Das klingt nach erhöhter Schwierigkeitsstufe – kann man das denn so einfach erlernen?
Und an dieser Stelle kommt Engeländers Partner, zum Einsatz. Martin Rutishauser ist Musiker – für ihn hat jedes Pferd und jeder Mensch seinen eigenen Rhythmus und seine eigene Melodie. „Jeder Mensch hat ein Gefühl für Rhythmus – unser Ziel ist es, die Wahrnehmung dafür zu schärfen. Das erreichen wir u.a. dadurch, dass wir zu Beginn eines Lehrgangs die Teilnehmer einmal trommeln lassen – eine Übung, die die Achtsamkeit der Menschen verbessert. Denn anfangs hört man, dass die Teilnehmer zunächst kaum oder aufeinander reagieren, später dann entwickelt sich ein gegenseitiges miteinander. So, wie es zwischen Pferd und Bogenschützen sein soll.“
Pettra Engeländers Independent European Horseback Archery School ist übrigens die einzige Einrichtung, die das so genannte ‚freie Bogenschießen’, also ohne Begrenzung rechts und links, lehrt. Ihre Seminare finden hier im Hotel Fohlenweide, in der Schweiz und einmal jährlich in Island statt.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm