Der Wolf kommt zurück …
… eine Tatsache, die bei den Einen für helle Freude sorgt, bei den Anderen für überaus großen Ärger bzw. Besorgnis und bei wieder anderen ein mehr oder oft auch weniger wohliges Schauern auslöst.
Fakt ist: Die Rückkehr des ‚Meister Isegrim’ nach 150 Jahren wolfsfreiem Deutschland lässt niemanden so ganz kalt. Entsprechend gut besucht war dann auch der NABU-Informationsabend Wolf im hessischen Cleeberg.
Ingeborg Till, ‚Wolfsbotschafterin’ des NABU referierte umfassend über die Lebens- und Jagdgewohnheiten der grauen Vierbeiner, die Anzahl und Verbreitung der inzwischen wieder heimischen Rudel. Derzeit leben in Deutschland etwa 40 Rudel Wölfe, in der Regel bestehend aus zwei Elterntieren sowie zwei bis zehn Jungwölfen aus oft unterschiedlichen Würfen. Mit Einsetzen der Geschlechtsreife, gegen Ende des zweiten Lebensjahres, verlassen die Jungtiere das Rudel und suchen ein neues Territorium, das je nach Nahrungsangebot (ein Wolf frisst rund 3kg/Tag), eine Größe von ca. 200 bis 350 Quadratkilometern umfasst.
Wölfe sind überaus territorial, durchstreifen und markieren ihr Revier in regelmäßigen Abständen. Die Bundesländer in denen sich Meister Isegrim bereits gut etabliert hat, sind Sachsen (zwölf Rudel), Brandenburg (elf Rudel), Niedersachsen (neun Rudel), Sachsen-Anhalt (sechs) und Mecklenburg-Vorpommern (zwei). Aber auch in anderen Bundesländern z.B. Hessen wurden einzelne Wölfe gesichtet oder kamen durch Unfälle zu Tode.
Zur Jagd gehen in der Regel die erwachsenen Wölfe – entweder allein oder paarweise. Sind die Welpen des Familienverbandes schon groß genug, werden sie teilweise mitgenommen, unterstützen die Eltern und erlernen die Beuteschemen. Haupt-Nahrung sind Reh, Hirsch und Wildschwein – aber auch Dam- oder Muffelwild werden erbeutet. Dabei spielt der Zustand des jeweiligen Beute-Tieres eine wesentliche Rolle. Wölfe sind vorsichtig und meiden nach Möglichkeit die Gefahr einer Verletzung. Deshalb bevorzugen sie wenig wehrhafte, also entweder kränkelnde oder schwache Beutetiere. Ein gesunder Rothirsch ist z.B. recht wehrhaft und kann den Räuber ernsthaft verletzen. Deshalb wird er weniger gern angegriffen als beispielsweise ein Jungtier. Menschen gehören nicht zum Beuteschema.
So viel zu den ‚erlaubten’ Beutetieren, die der Wolf allerdings nicht von den ‚verbotenen’ unterscheiden kann. Verboten für Meister Isegrim sind Nutztiere wie Ziegen, Schafe, Rinder oder auch Pferde. Und gerade die kleineren Nutztiere, wie Schafe oder Ziegen sind eigentlich aus Wolfs-Sicht eine ideale Beute. Denn sie sind meist eingesperrt, rennen also nicht nach allen Seiten weg sondern irren lediglich voller Panik durch ihr Gehege (das regt den Beutetrieb auch übers satt werden hinaus noch ein wenig an). Allerdings befinden sich solch einfach zu erlegende Beutetiere oft in unmittelbarer Nähe des Menschen, den Wolf dann doch lieber meidet. So kommt es zwar immer wieder zu Übergriffen auf Nutztiere – doch halten sich diese derzeit noch in überschaubaren Grenzen – auch wenn die Zahl der durch Wölfe zu Schaden gekommenen Nutztiere deutlich angestiegen ist.
Jedes Bundesland hat so genannte ‚Rissbegutachter’. Besteht der Verdacht, dass ein Haustier von einem Wolf gerissen wurde, muss dieser informiert und zur Begutachtung herbei gerufen werden. In den von Meister Isegrim am stärksten besiedelten Bundesländern wie Sachsen, Brandenburg und Niedersachsen sieht der Wolfsmangementplan der Länder dann eine Entschädigung der betroffenen Nutztierhalter vor. In Hessen gibt es derzeit noch keine Regelung zur Vergütung bei Schäden. Laut Statistik des offiziellen Kontaktbüros ‚Wolfsregion Lausitz’ wurden 2016 im „(…) Freistaat Sachsen bisher 66 Fälle an Übergriffen auf Nutztiere bzw. Gatterwild gemeldet. In 40 Fällen war der Wolf als Verursacher wahrscheinlich bzw. nicht auszuschließen. Dabei wurden insgesamt 210 Tiere getötet, 12 sind vermisst und 12 verletzt.“
In Brandenburg führt das Landesamt für Umwelt die Statistik und meldet: „Seit der Etablierung von territorialen Wölfen in Brandenburg sind landesweit 223 Schadensfälle an Nutztieren registriert worden, bei denen ein Wolf als Verursacher ermittelt oder zumindest als Verursacher nicht ausgeschlossen werden konnte. Seit 2007 bis Oktober 2016 wurden insgesamt 620 Schafe getötet. Im Jahr 2015 wurden erstmals an einem Kadaver eines Robustpferdefohlens Verletzungen gefunden, die den Wolf als Verursacher nicht vollständig ausschließen.“
Kein Wunder also, dass besorgte Tierhalter die Rückkehr des Meister Isegrimm nicht unbedingt begrüßen – obwohl die Naturschutzverbände sie bei Schutzmaßnahmen gegen den grauen Räuber durchaus unterstützen. So hält beispielsweise der NABU in Hessen spezielle Schutzzäune zur Verfügung und berät bei der Einzäunung von Weideflächen.
‚Fauler’ Hund
Ein weiteres Konzept der Naturschützer zur Vermeidung von Wolfsübergriffen auf eingezäunte Tierbestände ist der Einsatz von Herdenschutzhunden. Dabei handelt es sich um Hunde, die im Gegensatz zum klassischen Hütehund keinerlei Hütetrieb haben – dafür aber einen extremen Schutz- und Territorialtrieb. Meist leben sie allein mit der Herde und sind vom Menschen weitgehend unabhängig und unbeobachtet. Das setzt einen selbstbewussten Hund voraus, der eigenständig arbeitet.
Sie betrachten alles Fremde innerhalb ihrer Umgebung zurückhaltend und misstrauisch. Beim geringsten Verdacht einer Gefahr für die Herde, wird der sonst meist dösende, eher verschlafen wirkende Hund, sofort aktiv und verwandelt sich in Sekundenschnelle zu einem imposanten, reaktionsschnell abwehrenden Schutzhund. Dabei liegt die Strategie dieser Hunde meist in der defensiven Abwehr. Herdenschutzhunde sind sehr robust, haben ein dichtes Haarkleid und beeindrucken durch ihre Größe von deutlich über 60 Zentimeter und ihr Gewicht. Zu den Rassen gehören, um nur einige zu nennen, der Pyrenäenberghund, Maremmano Abruzzese, Slovensky Cuvac, Komondor, Sarplaninac, Kangal oder der Kaukasische Owtscharka ebenso wie der Tornjak.
„In Sachsen hat man gute Erfahrungen mit dem Einsatz dieser Hunde gemacht,“ meint Ingeborg Till vom NABU. Doch Stallgeflüster recherchiert zunächst einmal weiter – schließlich gehört der Kangal auch zu den Herdenschutzhunden und steht beispielsweise in Hessen auf der Liste für gefährliche Hunderassen.
Dabei finden wir zunächst die Arbeitsgemeinschaft Herdenschutzhunde e.V. Diese unterstützt und schult Nutztierhalter bei der Anschaffung und beim Einsatz zweier Rassen: dem Pyrenäenberghund und dem Maremmano Abruzzese.
Dass es zur Haltung und zum Einsatz von Herdenschutzhunden spezieller Kenntnisse bedarf, bestätigt uns auch der Verein für arbeitende Herdenschutzhunde e.V. Hier sind die Rassen Kangal, Pyrenäenberghund, Maremmano Abruzzese, Kaukasischer Owtscharka, Sarplaninac und Tornjak im Einsatz. Auch hier stehen Unterstützung und Schulung von interessierten Herdenbesitzern zur Verfügung.
Charlotte Meyer* hat einen Reiterhof ca. 60 bis 70 Kilometer vom nächsten Wolfsrudel in Niedersachsen entfernt. „Als das Thema Wolf aufkam, haben wir begonnen, uns Gedanken zu machen. Wir leben auf einem Hof weit außerhalb der Ortschaft und haben auch regelmäßig Fohlen. Nachdem ich dann noch gehört hatte, dass der Wolf auch schon Rinder gerissen hat, wurde ich noch nachdenklicher. Da ich ohnehin viel mit Hunden arbeite und auch Lehrgänge Pferd und Hund anbiete, lag es deshalb für uns nahe, zwei Pyrenäenberghunde anzuschaffen. Die Führung und Ausbildung dieser Hunde ist allerdings keine leichte Aufgabe, denn sie brauchen eine sehr freundliche aber dennoch führungsstarke Hand. Hinzu kam bei uns, dass das Pferd auch für den Hund eine Gefahr darstellen kann. Daher haben wir viel Zeit und Mühe in die gemeinsame Sozialisation von Pferd und Hunden investiert
– eine Investition, die sich aus unserer Sicht durchaus gelohnt hat.“
Gut vorstellen kann sich Charlotte Meyer*, dass ihr Konzept nur selten auf Reiterhöfen umgesetzt werden kann. „Schließlich herrscht auf den meisten Höfen reger Publikumsverkehr, den ein Herdenschutzhund nicht dulden würde. Schließlich lässt er niemand Fremdes an seine Herde.“
Auch Harald Schulz* ist sich sicher, dass niemand Fremdes in die Nähe seiner Schafe bei Gießen kommt. Seine rund 100 Tiere lässt der Hobby-Schäfer von Sarplaninac (Illyrischen Schäferhunden), einem Maremmo und einem Pyrenäenhund-Mix bewachen. Auch er arbeitet seit Jahren mit Hunden, ist sich sicher, dass keines seiner Tiere den umzäunten Bereich verlassen würde. Was aber passiert, wenn Familie Müller mit Fiffi aus der Stadt vorbei kommt, und der neugierig, den Zaun nicht als Hindernis akzeptiert, das betrachtet Schulz als Risiko. Dennoch: „Ich gehe davon aus, dass sich hier in Hessen Wölfe ansiedeln werden. Wenn ich erst dann mit jungen Herdenschutzhunden anfange, ist es zu spät.“
Derzeit leben in Hessen rund 25 arbeitende Herdenschutzhunde – eine neue Struktur in unserer Landschaft. Auf diese Veränderungen wird sich auch der ‚Stadtmensch’ mit der Rückkehr der Wölfe einstellen müssen.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm