Zuerst hochdekorierter Deckhengst – und was dann?
Deckhengste werden in Deutschland vorwiegend allein gehalten. Sie gelten häufig als aggressiv,
schwer kontrollierbar und manch einer fürchtet sich sogar vor den eindrucksvollen Tieren, deren Aufgabe es ist, die Nachzucht der jeweiligen Pferderasse weiter zu veredeln. Doch was passiert, wenn ein solches Tier dann alt wird und für den Deckeinsatz nicht mehr zu gebrauchen ist?
„Es ist überaus schwierig für alte Hengste einen Platz zu finden“, erklärt uns Madeleine Plötz. Sie weiß, wovon sie redet: Insgesamt sechs ältere Herren bevölkern den Hof, den sie mittlerweile in Grünberg in Mittelhessen betreibt. Es handelt sich dabei um einen privaten Gnadenhof, auf dem sie sich um die alten Herren, die inzwischen auch das eine oder andere gesundheitliche Problem haben, kümmert. Wir treffen Madeleine Plötz auf Ihrem Hof, als sie gerade dabei ist, mit dem Rheinisch Deutschen Kaltblut Elan (22) einen gemütlichen, kurzen Ausritt zu machen. Schmuck sieht er aus – keine Rede von ‚altes‘ Pferd. Und begeistert ist er, als es von der Redakteurin von ‚Stallgeflüster‘ ein paar zusätzliche Streicheleinheiten gibt. ‚Mehr davon‘, könnte man seine Pferdesprache übersetzen.
„Elan ist mittlerweile mein liebstes Pferd, das hier steht und im Unterhalt das teuerste“, erzählt sie uns über ihren verschmusten dicken Freund. „Er hat lange Zeit gedeckt, doch dann bekam er Probleme mit dem Essen. Er kann leider nicht mehr richtig kauen. Wir haben, als er zu uns kam seine Zähne kontrolliert – da war lange Zeit nichts gemacht worden. Jetzt hat er zwar wieder ein ordnungsgemäßes Gebiss – allerdings kann er trotzdem nicht richtig kauen. Der Grund dafür ist vermutlich eine Kiefergelenksarthrose.Bei uns bekommt er eine extra auf ihn abgesetimmte Fütterung auf der Basis von Heucobs als Rohfaserquelle, Mineralien, Mash, Getreide und damit lebt er sehr gut.“
Natürlich will ‚Stallgeflüster‘ wissen, wie es zu dieser Alt-Herren-WG in Grünberg kommen konnte. Denn eigentlich kommt Madeleine Plötz aus der Pfalz. „Ich hatte dort im Reiterverein Leiningerland einen Warmbluthengst, den ich betreute. Er war nicht ganz einfach im Umgang – aber er war ein Super-Springpferd und nahm einen immer mit. Während meines Studiums ließ ich ihn dort, weil er dort für einen Hengst sehr gute Haltungsbedingungen hatte und sich sehr wohl fühlte und damals schon über 20 Jahre alt war. Allerdings habe ich ihn selbstverständlich weiter betreut und bin zwei bis drei Mal in der Woche dort hingefahren, um ihn zu versorgen. Er wurde fast 30 Jahre alt. Damit begann wahrscheinlich die Liebe zu Hengsten, die mich seit mittlerweile über 25 Jahren begleiten. Dem Reiterverein Leinigerland fühle ich mich noch heute sehr verbunden, er war einer der ersten mit einer sehr fortschrittlichen Pferdehaltung von Schulpferden und eine Freundin nimmt dort auch heute noch alte Pferde (Stuten und Wallache) auf und beschert ihnen einen schönen Lebensabend, das ist ziemlich vergleichbar mit meiner Arbeit, im Zentrum steht immer die Begeisterung gerade für die Pferdesenioren und wir stehen nach wie vor in regem Austausch.“
„Trotzdem wollte ich nach dem Studium nicht ohne Pferd sein. So kam es, dass ich einen Shetland Pony Hengst fand. Als ich mit der Verkäuferin verhandelte, bot sie mir noch einen zweiten an, weil die Besitzer dieses Pferdes die Hengsthaltung aufgeben mussten – so geschah es, dass ich dann zwei Pony-Hengste hatte und angefangen habe, die beiden mit der Hilfe von Profis zu fahren. Mit ihnen zusammen kam ich zu Joachim Müller auf den Pappelhof in Hüttenberg. Dort lernte ich Edzard, einen Rheinisch Deutschen Kaltbluthengst kennen und verliebte mich auf der Stelle. Schließlich durfte ich ihn übernehmen und wir hatten tolle Erfolge und eine sehr schöne Zeit zusammen. Er ist im vergangenen Jahr im stolzen Kaltblut-Alter von 25 Jahren hier auf dem Hof gestorben.“
„Dann kam Elan zu uns, weil Joachim Müller mich auf ihn aufmerksam machte. Er hatte gehört, dass es dem Hengst, der doch immerhin Bundesreservesieger gewesen war und mittlerweile in den neuen Bundesländern lebte, nicht mehr so gut ging. Und auch, dass er eigentlich einen Schlachttermin hatte.“
Da auf dem Hof auch nach Elans Einzug noch Platz genug war und Madeleine ein Pferd zum Reiten suchte, kam ‚Fuchsie‘ nach Grünberg. Auch er ist ein Hengst mit Sozialisierungsproblemen, den seine Vorbesitzerin aus persönlichen Gründen dringend abgeben musste. ‚Fuchsie‘ ist ein Welsh Cob, der früher einmal international auf Schauen glänzte. Doch nun mag er nicht mehr so recht und hat natürlich im Alter auch das eine oder andere Gesundheitsproblem. Da waren es dann schon fünf ältere Herren.
Doch schließlich verstarb Madeleines ‚große Liebe‘ Edzard und plötzlich fehlte ein Brauner unter den Herren, denn Elan ist ein Braunschimmel. Seinen Platz besetzte dann Orkan. Er ist ein bildschöner Rheinisch Deutscher gekörter Kaltbluthengst, dem man seine mittlerweile 18 Jahre ebenfalls nicht ansieht. Aber auch er hat hat altersbedingte Einschränkungen und ist recht ängstlich im Umgang, liebt seine neue Besitzerin mit ihren vielen Streicheleinheiten sehr und genießt sein Rentnerdasein im Schatten der Bäume auf der Koppel. Da war die WG dann wieder auf fünf Pferdeköpfe angewachsen – doch halt, da gibt es noch Odin. Dieser kleine Kerl ist ein Mini-Shetty mit stolzen 79 Zentimetern Stockmaß und dem Charme eines Riesen. „er ist einfach ein Schatz“, berichtet die Hausherrin. „Deshalb hat er unter den Kindern im Dorf auch viele Freunde, mit denen er unter Aufsicht spazieren gehen darf und die ihn natürlich mit Streicheleinheiten verwöhnen. Dabei ist er so brav, dass man ihn fast ohne Aufsicht mit den Kids lassen könnte.“
Die Kinder, die hierher kommen, um die Pferde zu sehen, zu streicheln oder auch mal zu bürsten, sind Madeleine Plötz ein wichtiges Anliegen. „Die Kinder, die hierher kommen. sollen lernen, dass Pferde Freunde und Partner mit unterschiedlichen Charakteren und Bedürfnissen sind, der Umgang mit ihnen ist zu jeder Zeit fair und respektvoll und sie wissen, dass bei den alten Herren die Tagesform darüber entscheidet, ob sie etwas mit ihnen arbeiten können oder nicht“.
So ist der Gnadenhof für Hengste in Grünberg nicht nur ein Projekt für in Not geratene Pferde, sondern auch für Menschen, denen der Kontakt mit dem Tier für deren Entwicklung und Selbstvertrauen hilft. Plötz hat vor einigen Jahren für ihre Arbeit mit den alten Hengsten bereits die Goldene Plakette für herausragende Leistungen in Zucht und Pflege der FN erhalten. Hoffen wir, dass ihre ehrenamtliche Arbeit mit den Kindern und Tieren auf ebensolche Anerkennung stösst.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm