Grenzen existieren nur im Kopf
Reiten und der Umgang mit Pferden gelten neben dem Motorradsport als eine der gefährlichsten Sportarten bzw. Freizeitbeschäftigungen.
Gleichzeitig gelten Pferde als überaus wertvolle Co-Therapeuten bei Reha-Patienten. „Häufigste Unfallursache beim Pferdesport ist die Nichtberücksichtigung der Instinkte des Tieres als Fluchttier“, so kann man es in vielen Studien nachlesen.
‚Stallgeflüster‘ sprach mit einer Frau, die beide Seiten dieser Medaille erlebt hat – einen tragischen Sportunfall, danach eine Querschnittslähmung und dann die Rückkehr in ein selbstbestimmtes, erfolgreiches Leben – auch wenn dies zum überwiegenden Teil im Rollstuhl stattfindet.
Marion Bender war bis zu ihrem 21. Lebensjahr ein sportliches junges Mädchen. Taekwondo, tanzen, schwimmen – und natürlich reiten, das waren ihre Sportarten bis zu dem Tag, als sich ihr Leben veränderte. In Rodheim-Bieber war sie mit zwölf Jahren erstmals ein Spring-Turnier gestartet – genau auf diesem Turnierplatz startete sie mit 21 zum letzten Mal. Ihr damaliges Pferd ‚Winzer‘ blieb mit dem Huf an einem Oxer hängen, überschlug sich und fiel auf sie.
„Ich habe gleich gemerkt, dass ich nichts mehr spürte, und habe das meinem Vater so gesagt“, erzählt sie ‚Stallgeflüster‘. Ihr Gefühl wurde von den Ärzten der Uni-Klinik bestätigt. „Ich war ab dem vierten Halswirbel gelähmt. Und die Prognose der Ärzte gegenüber meinen Eltern: ‚Ihre Tochter wird nie wieder sitzen können, seien sie froh, wenn sie den Rollstuhl mit dem Mund bedienen kann‘, weckte nicht unbedingt den Optimismus.“
Nach vielen Operationen, bei denen u.a. eine Platte in den oberen Halswirbelbereich eingesetzt worden war, stellte sich heraus, dass dabei ein Riss in der Speiseröhre entstanden war. „Ich konnte nicht mehr schlucken. Wieder folgten Operationen. Ich durfte mehrere Monate nichts mehr essen, der Speichel wurde abgesaugt. Und ich verfiel der Perspektivlosigkeit. Es war schon schwierig, wenn eine Fliege in mein Gesicht flog – ich hatte keine Chance sie zu verscheuchen und vegetierte in absoluter Abhängigkeit von anderen Menschen. Da fragt man sich natürlich, was soll das Ganze, macht das Sinn? Ich stand vor der Entscheidung. Entweder liegen bleiben und langsam sterben oder etwas tun. Ich habe damals den Entschluss gefasst, zu leben, und das ganz bewusst.“
„Nach dieser wohl überlegten Entscheidung für das Leben kamen Menschen, die mir weitergeholfen haben. Da war z.B. eine Krankenschwester, die sagte: ‚Wenn Du im Rollstuhl sitzen kannst, nehme ich Dich mit zu meinem Pferd.‘ Ich hatte also ein Ziel und sie nahm mich mit in den Stall.“
„Im Krankenhaus lernte ich dann einen Rollstuhlfahrer kennen, der Kutschfahrer war und mich mit auf die Kutsche nahm – ein weiterer Schritt ins Leben. Doch dann kam der Moment, als der Arzt mir erklärte: ‚Sie dürfen nach Hause‘. Das war schwierig. Wenn man so lange im Krankenhaus war, fühlt man sich dort wie in einem geschützten Raum. Dort ist alles Behindertengerecht. Zu Hause ist alles so, wie es vorher war – da muss man sich seinen Platz erst wieder suchen und mit der Umgebung neu klarkommen. Klar, hat man da zunächst gewisse Ängste.“
Doch zu Hause angekommen, bekam Marion zuerst einmal einen kleinen Hund geschenkt. „Dem ist es egal, ob Du im Rollstuhl sitzt oder läufst,“ meint sie. Und auch die Pferde ließen sie nicht los. Mittlerweile hatte sie fahren gelernt, bekam ‚Goldi‘, ein Kutschpferd und startete im Ein-Spänner auf Fahrturnieren. Im Sport gegen Fahrer ohne Handycap bis zur Klasse L im Marathon, Dressur- und Hindernis-Fahren. Im Fahrsport für Menschen mit Behinderungen war sie im Deutschen Kader und startete bei den Deutschen Meisterschaften bis zur Klasse S.
Mittlerweile hat Marion Bender den Fahrsport aufgegeben: „Meine Schultern haben im Leistungssport schlapp gemacht. Und nur durch das Gelände zu fahren, das macht mir keine Freude. Ich bin eben durch und durch Leistungssportlerin.“
Leistung – das ist ein Stichwort. Damit man Leistung erbringen kann, muss man zunächst selbstverantwortlich und selbstbestimmt leben können. „Im Krankenhaus hatte ich das zunächst abgegeben. Ich wurde ja rundum versorgt. Da sind Selbstverantwortung und Selbstbestimmung kein Thema. Das habe ich mir dann peut à peut wieder zurückgeholt. Inzwischen kann ich rund 100 Meter gehen und auch ein paar Stufen Treppe steigen.“ „Doch nicht nur alles selbst tun wollen und müssen gehört zu einem solchen Leben. Es st wichtig, den Mut zu haben, auch Hilfe annehmen zu können und andere nicht zurückzuweisen“, meint Marion Bender, die heute als Keynote-Speakerin Menschen in ähnlichen Situationen wie der ihrigen, Hoffnung machen will.
„Angst darf kein Stoppschild für die Dinge sein, die man machen will. Auch ich habe manchmal Angst, beispielsweise wenn ich allein fliege. Da sind viele Dinge, die man aus dem Rollstuhl nicht so einfach händeln kann. Aber ich habe auch den Mut, Hilfe anzunehmen und siehe da – es klappt.“
Marion Bender ist beruflich viel unterwegs – auch international. Als Keynote Speakerin erhielt sie Anfang des Jahres den ‚Excellent Award‘ beim Internationalen Speaker-Slam in München, an dem sich immerhin über international renommierte 70 Redner beteiligten.
Ehrenamtlich engagiert sie sich gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Werner Zimmer bei der Fördergemeinschaft Querschnittsgelähmte Deutschland. „Wir gehen zu den Menschen, die frisch verletzt sind, begleiten diese Menschen auch über mehrere Monate und betreuen auch Angehörige, die keine Perspektive sehen. Wir wollen den Menschen Mut machen, denn mein Motto ist: Aufstehen beginnt im Kopf und das Leben gibt Dir nicht mehr zu tragen, als Du tragen kannst.“
In diesem Sinn plant das Paar in nächster Zukunft diverse Workshops auf Mallorca und in Deutschland und arbeitetet an einem Projekt zur Bildung von Wohn- und Pflegegemeinschaften für Behinderte, die diesen ein selbstbestimmteres Leben ermöglichen sollen.
Bei so viel Engagement und Aktivitäten kann man nur feststellen: Ja, Marion Bender hat ihr Leben zurückbekommen, und was für eines. Respekt vor dieser Frau!
„Stallgeflüster“ / E. Stamm