Vom Wesen des Reitens
Reiten sollte mehr sein, als auf einem Pferd zu sitzen, mit der Gerte „Gas zu geben“ und durch heftiges Ziehen an den Zügeln zu lenken und das Pferd zum Stehen zu bringen. Diese Einsicht wird auch einem Reiterneuling rasch klar, sei es, weil die Tierquälerei keine rechte Freude bereitet, sei es aber auch, weil man durch diese Methode außerhalb einer festen Umzäunung selten dorthin kommt, wohin man will. Die diversen Reitstile – manchmal bereits mit fundamentalistischer Überzeugung vertreten – machen verwirrt: der Leichte Sitz des Englischen Reitens, die Harmonie barocker Dressur, die blitzschnellen Reaktionen im Westernreiten, die aktuelle kameradschaftliche Begegnung einer gewaltfreien Bewegungsgemeinschaft: gibt es Grundsätze, die allen Reitweisen gemeinsam sind?
Zulässige Methoden zur
Bewegungssteuerung
Beim Reiten geht es primär darum, das Tier zu bestimmten, meist wiederkehrenden Bewegungsabläufen zu veranlassen. Als Mittel zum Zweck stehen dafür Verlangen, Angst und Gewohnheit sowie unmittelbare körperliche Reaktionen zur Verfügung. Die Karotte vorm Maul bewirkt eine Bewegung nach vorn, der Peitschenhiebe aufs Hinterteil ebenso und wer bei regelmäßigen Geländeritten einen bestimmten Abschnitt immer galoppiert, dessen Pferd wird auch ohne jede Hilfengebung bei diesen Abschnitten in den Galopp fallen. Letztere Erfahrung ist auch der Grund für die oftmalige Selbstüberschätzung von Reitschülern, die von ihrer Hilfengebung überzeugt sind, nicht bedenkend, dass das Reitschulpferd genau weiß wann es in welcher Ecke anzugaloppieren hat. Unmittelbare körperliche Reaktionen erreicht man zum Beispiel durch Gewichtsverlagerung, die das Pferd zur Erhaltung der Stabilität automatisch zu einer entsprechenden Reaktion veranlassen.
Es entspricht nicht nur den rechtlichen Verpflichtungen des Tierschutzes und dem kulturellen Standard einer verfeinerten Ausbildung und Kooperation von Pferd und Reiter, sondern auch den ästhetischen Anforderungen einer auf Vergnügen ausgerichteten Reiterei, um auf den Gebrauch von Angst bei der Einwirkung auf Pferde weitestgehend zu verzichten. Somit verbleiben Lob und Zuwendungen, Gewohnheit und unmittelbare körperliche Reaktionen als Mittel der Bewegungssteuerung übrig.
Diese Aussage könnte dahingehend missverstanden werden, dass, so wie jedes Auto grundsätzlich zum Fahren geeignet ist, auch jedes Pferd als Reittier gefügig gemacht werden kann. Durch die Anwendung von Angst und Gewalt lässt sich das wohl bewerkstelligen; von Ausnahmen abgesehen, sollte jedoch auf die Wohltat einsatzspezifischer Züchtungen nicht verzichtet werden. Bei Karnevalsumzügen auf Brauereipferden zu reiten mag angemessen sein, sie als Schulpferde für übergewichtige Reitelevinnen und bierbauchbestückte Altmachos zu verwenden entspricht nicht mehr dem ethischen Standard in Europa.
Kennzeichen unterschiedlicher
Reitstiele
Die Klassische Reiterei leitet sich aus kavalleristischen Bedürfnissen der Renaissance ab und ist gekennzeichnet durch gezieltes Muskeltraining des Pferdes zum Zweck des raschen Wechsels zwischen Losgelassenheit und Versammlung unter der Last des Reiters bei minimalen Zügelhilfen. Der Reiter erlangt seine Stabilität durch einen tiefen Sitz und ausgeglichene Balance. Besonders trainiert wird die Verlagerung des Gewichts auf die Hinterbeine des Pferdes und wirkungsvolle Schenkelhilfen.
Die Barocke Reiterei entwickelte sich aus der klassischen mit dem besonderen Augenmerk auf Repräsentation und Ästhetik. Sie ist gekennzeichnet durch intensive Gymnastizierung von Pferden, die speziell für diesen Reitstil gezüchtet wurden. Sitz und Balance mit Schwergewicht der Konzentration auf die Hinterhand entsprechen der klassischen Reitweise. Ein Paradebeispiel Barocker Reitkunst bietet die Wiener Hofreitschule.
Auch die Iberische Reitweise, die Doma Vaquera, entwickelte sich aus der klassischen mit dem besonderen Aspekt der Bedürfnisse der berittenen Rinderhirten: Pferde mit relativ kurzem Rücken werden bei tiefem Sitz und grundsätzlich einhändiger Zügelführung auf Schnelligkeit und Wendigkeit trainiert. Besondere Lektionen hinsichtlich Wendungen und Stopps sind unter anderem Kennzeichen dieses Stils.
Das Westernreiten lässt sich auf die Iberische Reitweise zurückführen. Auf kurzem Pferderücken sitzt der Reiter bei einhändiger Zügelführung und tiefem Sitz besonders entspannt, er steuert das Pferd über Gewichtshilfen und einfache Signale mit dem Zügel. Job und Lope sind Spezifikationen des Trabs und des Galopps.
Der Englische Reitstil entstand aus den militärischen Bedürfnissen des 19. und 20. Jahrhunderts, wo die aus der Landwirtschaft requirierten Pferde und die reiterlich unerfahrenen Soldaten in kurzer Zeit für den Felddienst tauglich zu machen waren. Von den meist langrückigen Arbeitspferden wurden kaum Wendungen verlangt, dafür mehr Verstärkungen in den Grundgangarten. Kennzeichnend ist die Anlehnung, das ist der stetige Kontakt über die Zügel mit dem Pferdemaul.
Neben einer Vielzahl weiterer Reitstile, sei das Reiten auf Rennpferden oder beim Polospiel genannt, zweiterer ähnelt dem Westenreiten, allerdings mit verkürzten Steigbügeln und meistens mit aus dem Sattel gehobenem Sitz. Ein aktueller, wichtiger Trend ist die Kultivierung eines gewaltfreien Umgangs mit Pferden. Spätestens seit dem Film „Der Pferdeflüsterer“ mit Robert Redford aus dem Jahre 1998 gibt es eine umfangreiche Literatur zur Psyche und Befindlichkeit von Pferden. Unter anderem wird dieser Trend gestützt durch Persönlichkeiten wie Monty Roberts, Andrea Kutsch, Fred Rai oder Alexander Nevzorov. Aktuelle Forschungen von Robert Cook befassen sich mit den Vorzügen des trensen- und kandarenfreien Reitens auch von Rennpferden. Der Däne Bent Branderup gab der zeitgenössischen, kultivierten Reiterei einen Namen, den Akademischen Reitstil. Gleiches tat der Franzose Philippe Karl mit der École de Légèreté, der Schule der Leichtigkeit. Beide erhielten ihre Ausbildung in Schulen der Barockreiterei.
Für jeden Zweck das passende Pferd, die adäquate Technik und die richtige Ausbildung
Aus dem bisher Dargestellten wird offensichtlich, dass es zwar gute Gründe gibt, das eine Mal tief zu sitzen, das andere Mal dem Sitz aus dem Sattel zu heben, das eine Mal Anlehnung ans Pferdemaul zu halten, das andere Mal diese Anlehnung nur von Zeit zu Zeit zu suchen. Je nach Zweck und Rasse gestaltet sich auch die Ausbildung unterschiedlich: Durchlässigkeit und Versammlung sind jedoch eine Konstante. Auch als Freizeitreiter hat Ihr Reitstil Einfluss auf die Wahl der Pferderasse: keine schwere Rasse, wenn sie gerne galoppieren; kein Vollblut bei wenigen Ausritten pro Woche im Schritt; Lippizaner , Andalusier, Friesen sind zwar gute Dressurrassen, auf Grund ihrer Stockmaße zwischen 150 und 160 cm bei internationalen Turnieren jedoch nicht allzu gerne gesehen; bei fortgeschrittenem Alter oder Bandscheibenproblemen bei Reiterin und Reiter bewähren sich Gangpferde, insbesondere wenn man die Stöße im Trab nicht mehr aussitzen kann.
Bei allen Diskussionen um den richtigen Umgang mit Pferden sollte nicht vergessen werden, dass ein Teil der unterschiedlichen Standpunkte aus dem Bestreben der Reitschulen resultiert, sich von anderen abzugrenzen und durch Besonderheiten einen Marketingvorteil zu erlangen; manche Experten neigen zu unerbittlichen Standpunkten, um ihre Bedeutsamkeit und besondere Expertise darzustellen; und manche Diskutanten wollen oder können einfach nicht zur Kenntnis nehmen, dass auch Traditionen zeitgebunden sind und es immer wieder neue Erkenntnisse des Veterinärwesens und der Hippologie gibt, die in den praktischen Umgang mit Pferden Eingang finden sollten. Hierzu sei Thies Kaspareit, der Leiter der Abteilung Ausbildung und Wissenschaft der Deutschen Reiterlichen Vereinigung zitiert: „Die Frage, ob pferdegerecht oder nicht pferdegerecht, lässt sich nur im Ausnahmefall anhand eines Kriteriums festmachen.
Eine enge Kopf-Hals-Haltung allein ist kein Indiz für inakzeptables Reiten. Das Pferd muss als Ganzes, also Bewegungsablauf, Rückentätigkeit, Maultätigkeit, Augenausdruck, Schweifhaltung, Ohrenspiel, Atmung und schließlich Einwirkung des Reiters, betrachtet werden“ (https://www.pferd-aktuell.de/relaunch/files/2/144/FN-Kriterienkatalog_Vorbereitungsplatz.pdf:).
Die Deutsche Reiterliche Vereinigung erarbeitete auch einen Katalog korrekten reiterlichen Verhaltens, der ebenso unter der obenangegebenen Webb-Adresse abrufbar ist.
Losgelassenheit und Versammlung, Balance und Gewichtsverlagerung, sensible Zügelführung
Im Wesentlichen sind sich die Großen der Reiterei, unabhängig von jeweiligen Reitstil einig: ein Pferd sollte so ausgebildet und geritten werden, dass es fähig ist, jederzeit zwischen Losgelassenheit und Versammlung zu wechseln. Ein „losgelassenes“ Pferd ist entspannt und achtsam, der Rücken schwingt rhythmisch mit der Bewegung der Beine, das Pferd sucht durch vorgestreckten Hals Anlehnung an den Zügel. Versammlung bedeutet hingegen höchste Aufmerksamkeit eines Pferdes in Erwartung einer heranstehenden Aufgabe. Kennzeichen hierfür sind vermehrtes Untertreten der Hinterbeine durch Verlagerung des Gewichts nach hinten, ein Anheben des Kopfes und eine erhöhte Durchlässigkeit der Zügelhilfen. Diese Begriffe lassen sich auch auf einen guten Reiter anwenden: Losgelassenheit entspricht in etwa einer achtsamen Gelassenheit, einem „in-seiner-Mitte-sein“, welches sich nicht nur geistig, sondern auch körperlich als volle Balance auf dem Pferderücken ausdrückt. Versammlung entspricht der höchsten Konzentration auf eine Aufgabe, eine Fokussiertheit, die für kurze Dauer Zeit und Umgebung vergessen lässt. In beiden Stadien sollten Hilfen primär mit dem Gewicht und kaum wahrnehmbaren Veränderungen der Zügelführung bewerkstelligt werden. Empfindet man bei der Betrachtung von Pferd und Reiter Eleganz, Harmonie und Gleichklang, so kann man davon ausgehen, dass sowohl Pferd als auch Reiter alles richtig machen.
Sich beim Reiten im Einklang mit dem Pferd zu bewegen, es aus dem Sitz heraus zu steuern und sich geistig mit der Psyche des Pferdes abzustimmen, das ist das Wesen des Reitens.
Viktor Horatczuk
1120 Wien,
Karl-Löwe-Gasse 17-19/17/1A
viktor.horatczuk@gmail.com
Tel.: 0043 664 5375975
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Brigadier i.R. Dr.jur.
Viktor Horatczuk, geboren 1957,
ist Offizier des österreichischen
Bundesheeres.
Er war mehrjähriger Vizepräsident des österreichischen Verbandes Moderner Fünfkampf.
Seine Karriere als Reiter begann mit 5 Jahren im nachbarlichen Reitstall, führte über eine dreijährige Ausbildung an der Theresianischen Militärakademie in Wiener Neustadt zur aktiven Mitgliedschaft in einem britischen Polo-Club.
Viktor Horatczuk ist Vater von drei Kindern und wohnt in Wien.