‚Pferdefreier‘ Urlaub in Österreich
„Wenn jemand eine Reise tut, so kann er was erzählen“, schrieb der deutsche Dichter Matthias Claudius in „Urians Reise um die Welt“.
Nun, eine Reise um die Welt unternahm ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm nicht gerade, als sie beschloss Ihrer Enkelin, die bislang nur die See kannte, einmal die Berge zu zeigen. Dazu ging es nach Österreich.
Zwei Pferdenarren unterwegs – die Reithosen sicherheitshalber dabei – man weiß ja nie – doch sollte der Urlaub eigentlich pferdefrei bleiben. Schließlich gibt es im Leben auch noch andere Dinge, wie schwimmen, wandern und all das, was man in den Bergen so tun kann. Doch bereits am ersten Tag kam die Ernüchterung. Lag doch bei den Prospekten in unserem Zimmer ein Flyer des Pferde- bzw. Noriker-Museums Niedernsill.
Die Achtjährige griff zu, las und stellte fest: „Du, das würde mich interessieren“. „Mmmh…“, kam die Antwort. „Meinst Du nicht, eine Fahrt zum Gletscher wäre interessanter?“ Beharrlichkeit führt bekanntermaßen oft zum Ziel. Und so befanden wir uns an einem regnerischen Vormittag auf dem Weg ins Pferdemuseum.
Um Noriker, das österreichische Kaltblut ging es hier im Wesentlichen – allerdings auch um Pferdeleben und Pferdeseele, um die Beziehung zwischen Mensch und Pferd, Ernährung und vieles andere mehr. Direkt am Eingang begrüßte uns eine Box mit Noriker-Stute Laura – nein, kein lebendiges Pferd, sondern ein ausgestopftes. Dennoch, so wie sie dort steht, vermittelt sie dem Betrachter die grundlegenden Wesenseigenschaften, die dem Noriker zugeschrieben werden: Guter Charakter, Gutmütigkeit, ausgeglichenes Temperament und im Fall von Laura eine gute Portion Mütterlichkeit. Noriker, so lernten wir, haben einen guten Raumgriff in allen Gängen, verfügen über große Ausdauer, Trittsicherheit und guten Gleichgewichtssinn, sind vielseitig verwendbar mit guter Zugleistung und häufig auch zum Reiten geeignet. Darüber hinaus sind sie leichtfuttrig, langlebig und gesund – eben ein Pferd, das dem bäuerlichen Leben im Hochgebirge hervorragend angepasst und wesentlicher Bestandteil des bäuerlichen Brauchtums hier in der Region ist.
Seit Beginn des 20. Jh. werden sie in Reinzucht in fünf Blutlinien gezüchtet, die auf die jeweiligen Ursprungshengste Vulkan, Nero, Diamant, Elmar und Schaunitz zurückgehen. Die Grundfarben sind Rappe, Brauner und Fuchs. Aus ihnen haben sich eine Reihe interessanter und sehenswerter Farbschattierungen ergeben. Zu den wohl auffälligsten gehören dabei die bunten Tigerschecken, nach Hengst Elmar oder die ‚Mohrenköpfe‘ (Blauschimmel mit schwarzem Kopf). Aber auch Plattenschecken, Braun- und Rotschimmel kommen in dieser bunten Familie häufig vor.
Nachdem wir nun ein wenig über die Noriker gelernt haben, geht’s im Museum weiter mit allgemeinem Pferdewissen. Da werden die Rassen miteinander verglichen und die Gangarten erklärt – ein Erlebnis für ‚kleine Leute‘, denn diese dürfen mit einem Stück Holz versuchen, den Rhythmus von Trab und Galopp nachzuspielen. Dann zwei weitere interaktive Spiele: ‚Was und wie viel fressen Pferde?‘ sowie ‚Was ist giftig?‘ Auch, dass ein Fohlen das Wassertrinken erst erlernen muss und Pferde Saugtrinker sind, wird an der nächsten Station erläutert. Ein hervorragender Spielplatz übrigens für die Jungen im Museum: An einer Pumpe, die bei heftigem pumpen ein Wasserbecken füllt, erlebt der Besucher den Wasserbedarf eines Pferdes life. Auch der Alterbestimmung und den Zähnen ist ein anschaulicher Teil der Ausstellung gewidmet, doch der wird deutlich geschlagen durch eine Vorrichtung, die es ermöglicht, mit dem Blickwinkel eines Pferdes zu sehen – eine Perspektive, die selbst die ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin schwer beeindruckt.
Nach so viel ‚Anfassbarem‘ führt uns das Museum wieder zur Geschichte zurück. Durch die Tauern führten wichtige Handelswege zwischen Norden und Süden. Ab dem 15. Jh. blühte der Saumhandel, dessen wichtigstes Transportmittel das Pferd war. Während die nördlichen schweren Pferderassen, wie Percheron oder Belgier u.a. als ritterliche Streitrösser eingesetzt wurden, nutzten die Bauern, die im Winter hauptsächlich den Saumhandel betrieben und die gefährlichen Pässe überquerten, ihre bäuerlichen Pferde wie Noriker, Haflinger und die Freiberger in der Schweiz. Noch heute liegen die Zuchtzentren der Noriker an den alten Handelswegen, über die Wein und Gewürze, feine Stoffe, Glas, Südfrüchte oder aber auch Reis und Papier in den Norden kamen.
Mit dem Pferd als Tragtier war man häufig schneller als ein Fuhrwerk – bis zu 30 km konnte eine Tagesetappe betragen. Natürlich wurden die Tiere im Hochgebirge nicht so schwer beladen, wie im Flachland. Ein sogenannter „Rosssaum“ betrug damals rund 168 kg. Im Hochgebirge lud man jedoch nur 140 kg auf die starken Lastträger. Die Maßeinheiten für den Transport waren dementsprechend festgelegt: Ein ‚Lagel‘, das Transportgefäß für Flüssigkeiten wie Wein, Öl oder Honig, enthielt 125 Liter. Zwei solcher ‚Lagel‘ trug das Pferd auf seinem Weg.
Nicht nur die Bauern wussten ihre Pferde zu schätzen. Sehr bald entdeckten auch die ‚hohen Herren‘, im Salzburger Land, die Erzbischöfe, den Wert dieser Pferde als Hof-, Prunk-, Parade- und Reittiere für ihre Schutz-Truppen. Kurzerhand nahmen sie im 15. Jh. die Pferdezucht unter ihre Obhut. Dem Geschmack der damaligen barocken Zeit entsprechend, hatten die Pferde eine hohe Aufrichtung, viel Behang, spektakuläre Gänge, oft ausgefallene Farben. Der ‚Mohrenkopf‘, so die Angaben des Museums, entstammt dieser Epoche ebenso, wie der Tigerschecke, als dessen damaliges Zuchtzentrum die Stadt Salzburg gilt. Doch genug mit der Geschichte – die Ausstellung führt uns sanft zurück in die Gegenwart und zum Wirtschaftsfaktor Pferd. Hufschmied und Sattler, die bäuerlichen Arbeiten – vieles kann man nicht nur sehen sondern auch anfassen – werden erklärt. Nachdem wir uns über die Maßeinheit Pferdestärke informiert haben (Kaltblutpferde können je nach Trainingszustand und Rasse teilweise eine Dauerleistung von zwei bis drei PS) erbringen, kommt jetzt noch der Selbstversuch an einer Zugvorrichtung, die unsere Zug-Kraft ermittelt. Jede von uns beiden zieht wie ein Tier. Doch die Ergebnisse sind mehr als mager. Wie gut, dass ich mit der Prozentrechnung auf Kriegsfuß stehe – ich will gar nicht wissen, wieviel 0,00000x Prozent eines Norikers ich erreiche. Damit ist für mich der Museums-Besuch zu Ende – für meine Enkelin nicht. Also setze ich mich draußen in die mittlerweile aufgetauchte Sonne und warte – irgendwann wird sie schon kommen. Sie kam auch tatsächlich – erfüllt von neuem Wissen. Das gab sie dann gleich am nächsten Tag an einen Einheimischen Ladenbesitzer weiter, der uns erklären wollte, was Noriker sind. „Ja, die Zucht hat fünf Blutslinien und die Hengste heißen ….“, erklärte die junge Dame dem völlig verblüfften Mann. Dafür haben wir die Gletscher weiterhin aus weiter ferne gesehen…..
„Stallgeflüster“ / E. Stamm