Reiten – Interaktion zwischen Mensch und Tier
Reiten ist Harmonie zwischen Mensch und Pferd – so sieht die FN diesen Sport. Seit Jahrhunderten beschäftigen sich Reitlehren mit diesem Thema. Im Vordergrund steht dabei vielfach die Kenntnis um die Anatomie des Pferdes. Doch Harmonie zwischen Mensch und Pferd heißt, dass es dabei auch um die anatomischen Möglichkeiten des Menschen gehen muss – schließlich ist der ja aktiv und maßgeblich an der gemeinsamen Bewegung beteiligt.
Gymnastik, speziell für Reiter, mit dieser Materie befasst sich der Sportmediziner Eckhart Meyners in diversen Büchern, DVDs und Vorträgen. Um diese spezielle Gymnastik bzw. Arbeit an der Beweglichkeit des Reiters einmal näher in Augenschein zu nehmen, nutzte Stallgeflüster die Gelegenheit als Martin Volesky zu einem Seminar auf dem Rosenhof in Weilmünster zu Gast war. Volesky ist einer der ersten, die eine Zusatzausbildung in Warendorf bei Eckhart Meyners absolviert haben, lebt und arbeitet im bayerischen Hof, wenn er nicht für Lehrgänge in Österreich, der Schweiz oder in Deutschland unterwegs ist. Als wir auf der kleinen, schmucken Anlage eintreffen, ist das Training bereits in vollem Gang. Jörg Ess ist mit seinem Pferd schon in der Halle unterwegs. Gerade und aufrecht sitzt er im Sattel. Volesky lässt ihn zunächst im Schritt, dann im Trab auf dem Zirkel gehen und beobachtet Reiter und Pferd genau. Dann ist es gut. Ess darf absteigen und auf zunächst auf einem Stuhl Platz nehmen. Dort zeigt ihm der Trainer, der u.a. über zwei Pferdewirtschaftsmeister-Titel verfügt, Lockerungsübungen für den Hals- und Schulterbereich. Danach geht’s auf die Matte – auch hier Übungen für Schulter und Hals. Direkt danach steigt Ess wieder aufs Pferd. Und selbst wir von Stallgeflüster können die Veränderung beobachten – nicht nur beim Reiter, sondern auch beim Pferd. Die Bewegung des Tieres scheint durch den gesamten Körper des Reiters hindurch zu federn, es bewegt sich entspannter und deutlich lockerer.
„Viele von uns haben ein falsches Bild im Kopf“, kommentiert Volesky die Veränderung. „Gelehrt wird, dass der Reiter gerade und ruhig auf dem Pferd sitzen soll. Wenn der Mensch nur dieses Bild im Kopf hat, führt das häufig dazu, dass er sich anspannt, um gerade und ruhig zu sitzen. Aber, wenn wir uns an- bzw. verspannen, können wir uns nicht mehr im Rhythmus mit dem Tier bewegen und bremsen unter Umständen die Bewegung unseres Pferdes aus. Ein lockerer, entspannter und beweglicher Körper ist – auch ohne Anspannung – die beste Voraussetzung dafür, dass man ganz von selbst gerade sitzt, die Schultern fallen lassen kann und in der Bewegung mitschwingt.“
Viele Menschen, so Volesky, verlieren im Lauf ihres Lebens die natürliche Beweglichkeit. Das liegt zum Einen daran, wie wir leben z.B. vieles sitzen etc., zum Anderen aber auch daran, dass wir dazu neigen, stereotype Bewegungen auszuführen. „Das ist ein schleichender Prozess“, erklärt uns der Bewegungstrainer. „So habe ich beispielsweise einmal mit einer Reiterin an deren Halswirbelsäule gearbeitet. Einige Tage später kam dann ein ganz begeisterter Anruf der Dame: Sie teilte mir mit, dass sie im Auto jetzt auch plötzlich den Schulterblick wieder kann. Ohne sich dessen bewusst zu sein, hatte sie, als das nicht mehr so leicht ging, sich auf die Spiegel verlassen und immer mehr auf den berühmten Blick über die Schulter verzichtet. Damit hat sie natürlich auch einen Teil ihrer natürlichen Beweglichkeit aufgegeben. Leider beobachtet man das heute auch bereits bei Kindern. Sie spielen nicht mehr so vielfältig wie früher und nutzen nicht ihre volle Beweglichkeit, die in unterschiedlichsten Situationen erlernt wird.“
Vor allem beim Reiten, so Volesky, führe dies zu Problemen. „Reiten ist ein komplexer Sport, bei dem zwei Lebewesen mit unterschiedlicher Tagesform zusammen treffen. Zwei Tennisspieler beispielsweise können sich absprechen. Aber beim Reiten findet eine permanente Interaktion zwischen Reiter und Pferd statt. Das Pferd gibt dem Reiter Impulse und umgekehrt. So wirkt z.B. jede Emotion, die wir empfinden, auf unseren Körper und stimuliert die Muskulatur. D.h. unsere Muskulatur reagiert minimal auf unsere Gedanken und gibt dem Partner Pferd damit feine Impulse. Das führt – wenn wir uns dessen bewusst sind – natürlich zu einer feineren, effektiveren Hilfengebung. Es kann bei einem verspannten, nicht voll beweglichen Körper aber auch durchaus kontraproduktiv wirken.“ Als wesentliche Aufgabe, vor allem bei Reitern, sieht es der Pferdewirtschaftsmeister dem Menschen ins Bewusstsein zu rufen, dass er Verantwortung gegenüber seinem Körper übernimmt und damit seinem Pferd entgegen kommt und ihm die Arbeit erleichtert. „Bewegungstraining ist praktizierter Tierschutz“, so sein Credo als wir uns für das Gespräch bedanken. Das nächste Seminar mit Martin Volesky ist auf dem Rosenhof in Weilmünster bereits geplant. Es findet am Samstag und Sonntag, 15. und 16. Juli 2017 statt.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm