Shire-Schau: Auftritt der Giganten
Ein Shire Horse ist ein Pferd. Und Pferd ist eigentlich Pferd. Aber …
…ein Shire Horse ist doch ein ganz besonderes Pferd“. Das sind die einleitenden Worte des Gründers der Shire-Zucht in Seulingen bei Göttingen, Großvater Rink, als ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm ihn nach den Besonderheiten der Riesen unter den Pferden fragt.
‚Stallgeflüster‘ beschäftigt sich zwar überwiegend mit Pferde-Themen aus dem hessischen Raum, beschloss jedoch, sich diese besondere Zuchtschau einmal etwas näher anzuschauen. Und das nicht nur für Sie, liebe Leser, sondern auch aus einem gewissen Eigennutz. Denn, wenn Sie unser Magazin regelmäßig gelesen haben, so werden Sie wissen, dass einer dieser ‚Gentle Giants‘ durch Zufall seinen Weg in den Stall der ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin gefunden hat. Etwas außerhalb des Ortes Seulingen, nicht weit von Göttingen, liegt die Seulinger Warte. Ein Ausflugslokal am Waldrand, inmitten der Felder. Hierher führt uns das Navi – und wir staunen nicht schlecht: Die schmalen Feldwege tragen an diesem heißen Sonntag Einbahnstraßenschilder – das Verkehrsaufkommen ist enorm. Der Parkplatzdienst an einem riesigen abgeernteten Feld weist uns ein – und wir müssen ein ganzes Stück zu Fuß gehen, denn bereits um kurz nach zehn ist das Feld voll von Autos.
Gemeinsam mit einer Schar anderer Besucher arbeiten wir uns vor, in Richtung Eingang des Platzes neben dem Ausflugslokal. Das Ganze hat richtiggehenden Volksfest-Charakter. Da begrüßt man sich, hält ein Schwätzchen, manche scheinen sich eine Weile nicht gesehen zu haben. Dann haben wir endlich den Platz (man könnte fast denken ‚Festplatz‘) erreicht.
Im abgekoppelten Ring sind derzeit die Wallache 4-jährig und älter zu sehen. Ein tolles Bild: Bunt eingeflochten nach schönster englischer Shire-Manier – so präsentieren sie sich an der Hand ihrer Besitzer dem Publikum. Das hat alle Plätze rund um den Ring so eng belegt, dass wir keine Möglichkeit sehen, ein oder mehrere Fotos zu bekommen. Also, Presseausweis zücken und hinein in den Ring. Da werden wir zunächst mit viel Zurückhaltung empfangen – sowohl vom Veranstalter, dem Fotografen und auch den beiden Richtern, die extra aus Großbritannien angereist sind. Das ändert sich jedoch schlagartig, als wir beichten, dass bei uns zu Hause ebenfalls ein Shire im Stall steht.
Jetzt regnet es Informationen, Einladungen zu weiteren Zuchtschauen und Erklärungen. Denn die Richter, Brian Wynn und Nigel Blakey, beurteilen zwar im Großen und Ganzen nach den gleichen Kriterien, wie dies in der Warmblutzucht üblich ist, können aber durch die ‚Feathers‘, den Behang, die Beine nicht sehen. Also wird hier jedes Bein einzeln per Hand untersucht und beurteilt.
Neben den Shire-Horses sind auch einige schottische Verwandte zur Zuchtschau angereist: Clydesdales sehen dem Shire Horse überaus ähnlich und für den Laien ist es gar nicht so leicht, sie zu unterscheiden. Sie treten hier in eigenen Klassen an. Auch eine offene Klasse hat die Familie Rink, die diese Zuchtschau zum achten Mal organisiert, ausgeschrieben. Hier kommt u.a. der Rheinisch-Deutsche Kaltblutwallach Louis in den Ring und wir erleben hautnah, wie sehr sich diese Kaltblutrassen im Exterieur voneinander unterscheiden. Die langbeinigen, ursprünglich zum Reiten gezüchteten Shire Horses, sind trotz ihrer Masse schmaler und ‚sportlicher‘ gebaut, als der runde – fast möchte man sagen – ‚kleine‘ Louis.
Obwohl es sich um eine Zuchtschau handelt, hat der Veranstalter für ein familienfreundliches, interessantes Rahmenprogramm gesorgt. Spektakulär ist hier vor allem der Auftritt von Daphne de Visser. Die Apassionata-Reiterin demonstrierte, dass ein Shire Horse nicht nur ‚geradeaus‘ laufen kann, sondern auch in klassischen Dressurlektionen punkten kann. Auch Liane Berghammer mit Hengst Tom war vor Ort und begeisterte wieder einmal jung und alt. Ein echter Hingucker war Andreas Althammer aus Leipzig mit seinem Schimmelhengst Metheringham Upton Silas. Herrchen im historischen Gardekostüm – der Schimmel ein weißer Seidentraum – ein Bild zum Verlieben.
Doch neben den reinen Show-Effekten gibt’s hier auch ein wenig Geschichte zum Sehen und Staunen: Da wir mit englischen Paraden nicht so sehr vertraut sind, erleben wir hier erstmals ein Pferd mit ‚decorated harness‘ – also einem Prunkgeschirr. „So etwas wird in Großbritannien von Generation zu Generation weiter vererbt. Jeder fügt dem Geschirr eine persönliche neue Note hinzu und so entsteht im Lauf der Zeit ein überaus aufwendiger Geschirr-Aufbau. Der jetzige, deutsche Besitzer dieses ‚decorated harness‘ hier in Seulingen hat mehr als zehn Jahre danach gesucht und es diesem April durch Zufall in England gefunden“, berichtet Hans-Werner Rink, der die Veranstaltung moderiert.
Eine weitere britische Shire-Besonderheit lernen wir bei der Beurteilung der Stuten mit Fohlen kennen. Nicht nur dass auch die Kleinen schon eingeflochten präsentiert werden – wir entdecken eines, das auch völlig verstrubbelt aussieht. „Das nennt man ‚soaped‘“, erklärt uns der Veranstaltungsfotograf – übrigens auch ein Shire-Fan, den seine Leidenschaft für die ‚Gentle Giants‘ auch häufiger mal zu den Zuchtschauen in Großbritannien führt.
Gerne hätten wir uns auch noch die ‚gerittene Klasse‘ dieser Zuchtschau angesehen, doch am knallig heißen Himmel ziehen schwarz-lila Wolken auf und kündigen ein heftiges Sommer-Gewitter an. Da das Auto recht weit entfernt auf freiem Feld steht machen wir uns wohl oder übel auf den Heimweg. Hätten wir doch zu gerne die gerittene Klasse gesehen. Schließlich hatte uns Richter Brian Wynn den Mund schon wässrig gemacht: In England bringt die Shire Horse Society, deren Abzeichen er stolz trägt, regelmäßig bis zu 24 gerittene Pferde in dieser Klasse auf die Beine. Und Shire-Schauen gibt es auf der Insel ab Frühjahr in jedem Jahr überall und ständig. Doch auch so: Für ‚Stallgeflüster‘ hat sich dieser Ausflug gelohnt. Denn wir durften wieder einmal den Blick über den Tellerrand des hier in Deutschland Alltäglichen werfen.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm