Rasant, geschickt und präzise: Tentpegging(1) – eine Sportart, die in Deutschland kaum jemand kennt
Im Rahmen unserer Recherche-Reisen für ‚Stallgeflüster‘ trafen wir – durch Zufall – auf eine Pferdesportart, die in Deutschland kaum bekannt ist, aber doch so spannend, dass wir sie Ihnen nicht vorenthalten wollen.
Tentpegging ist ein Sport, bei dem es um Geschwindigkeit, Körper- und Mannschaftskoordination und vor allem um Geschicklichkeit geht. Stallgeflüster‘ besuchte den Sprecher von Tentpegging Germany, Christian Dietzel, in Frankfurt, kurz nachdem dieser von der Qualifikation zur Tentpegging-Weltmeisterschaft – immerhin mit Bronze – aus dem Sudan zurückgekommen war. Das Wort und der Sport Tentpegging kommen aus dem Englischen: Tent = das Zelt und Peg = der Hering mit dem es am Boden befestigt ist. „Die Sportart, so ein Mythos über die Entstehung des Tentpegging, wurde von den englischen Kolonial-Offizieren erfunden. Sie soll auf eine Kriegstaktik zurückgehen, bei der die Kavallerie nachts die gegnerischen Zeltplätze überfiel und die Zelte zum Einsturz brachte. Eine darauf folgende weitere Abteilung konnte dann die wehr- und orientierungslosen Gegner leicht überrennen“, berichtet Christian Dietzel. „In Friedenszeiten benötigten die Soldaten natürlich Übung, und, typisch englisch, wurde aus diesen Geschicklichkeitsübungen bald ein Sport.“ So viel zur Geschichte, doch nun ein kurzer, oberflächlicher Überblick über den Sport. Getreu der Historie geht es im Wettbewerb darum, mit Säbel, Lanze und Pistole (diese wird oft ersetzt durch einen kurzen Stock mit Nagel am vorderen Ende [Prigger]) ein Ziel zu treffen. Der Säbel dient hauptsächlich dazu, in einen Sandsack zu stechen oder eine Zitrone bzw. Orange zu zerschneiden. Auch zum Aufspießen eines Pegs, eines etwa zigarettenschachtelgroßen Pflocks (der je nach Schwierigkeitsgrad der Prüfung kleiner wird), wird er genutzt. Mit der Lanze gilt es Ringe aufzunehmen oder den Peg. Mit der Pistole bzw. dem Prigger bringt der Reiter an einem Hindernis befestigte Luftballons zum Platzen.
Geritten wird und gewertet werden die Reiter jeweils einzeln, in Zweier- und Vierer-Gruppen. Bei der Wertung geht es zum einen um Geschwindigkeit, zum anderen darum, die im Parcours gestellten Aufgaben so exakt wie möglich zu bewältigen. So muss beispielsweise die Orange oder Zitrone, die an einem galgenartigen Hindernis befestigt ist, zerschnitten sein – nur angestoßen zählt nicht. Für Pegs und Ringe, die es mit Lanze oder Säbel aufzunehmen gilt, gibt es nur die volle Punktzahl, wenn sie tatsächlich über eine vorgegebene Linie mitgenommen werden. Für verlorene oder nur angeritzte Pegs werden Punkte abgezogen. Bei der Gruppenwertung kommt erschwerend hinzu, dass es weitere Punkte für die Synchronität der Reiter gibt: Beide bzw. alle vier müssen möglichst gleichzeitig die Pegs aufnehmen.
Der Parcours und die Aufgaben
Einige Disziplinen werden auf einer etwa 400 Meter langen Bahn (inklusive Start- und Bremsweg) geritten – erst die Pegs, dann das ‚Rings and Pegs‘ und schließlich ‚Lemon and Pegs‘ miteinander im ‚Skill at Arms‘ verbunden, werden auf einem quadratischen Platz ausgetragen. Die englischen Bezeichnungen geben die Aufgabenstellung wieder, die der Reiter zu bewältigen hat: Beim Pegging gilt es mit der Lanze oder wahlweise dem Säbel einen Peg aufzunehmen. Beim ‚Rings and Pegs‘ müssen erst ein rechts in Augenhöhe angebrachter Ring, dann ein links angebrachter Ring und schließlich ein auf dem Boden befindlicher Peg aufgenommen und mit über die Ziellinie gebracht werden.
Ähnlich ist es bei ‚Lemons and Pegs‘. Hier muss der Reiter eine Orange oder Zitrone mit dem Säbel zerschneiden – erst eine mit der Rückhand, dann eine mit der Vorhand. Und auch hier kommt dann noch ein auf dem Boden befindlicher Peg, bei dem man mit dem kurzen Schwert schon fast akrobatisch anmutende Reitkünste beobachten kann. „Die Disziplin, die wir Tentpegger am meisten lieben, ist das ‚Skill at Arms‘, erzählt uns Christian Dietzel. „Dabei sind die oben erwähnten Aufgaben mit unterschiedlichen „Waffen“ zu lösen. Ergänzt werden die vorher gerittenen Aufgaben hier um etwa 60 cm hohe Sprünge, an denen Luftballons – jeweils erst rechts, dann links befestigt sind. Sie müssen mit der Pistole bzw. dem ‚Prigger‘ zum Platzen gebracht werden.
Nach diesem Durchgang wird die „Waffe“ gewechselt und der Reiter muss mit dem Säbel nacheinander zwei Attrappen (Sand- oder Strohsäcke) treffen. Hat er das geschafft, ohne den Säbel zu verlieren und deshalb disqualifiziert zu werden, wird erneut die „Waffe“ gewechselt und ein ‚Rings and Peg‘ mit der Lanze geritten.“ Für die Bewältigung aller Aufgaben im Tentpegging sieht das Reglement Mindestgeschwindigkeiten vor und auch die Länge der jeweiligen Strecken ist vorgegeben. So hat beispielsweise beim Pegging (Individual Lance und Individual Sword) die Strecke, auf der die Zeit gemessen wird, eine Länge von 100 Meter, die Mindest-Geschwindigkeit mit der die Bahn absolviert werden muss, beträgt 800m/min. Hinzu kommt ein ausreichender Bremsweg, auf dem die Pferde durchpariert werden können. Ein überaus schneller Sport, der dem Reiter extrem viel Augenmaß, Reaktionsgeschwindigkeit und Geschick abverlangt – davon konnte sich ‚Stallgeflüster‘ bei den 2. Deutschen Meisterschaften im thürin-
gischen Crawinkel selbst überzeugen.
Doch wie kommt man in Deutschland zu dieser Sportart? Schließlich ist sie vor allem in den ehemaligen Commonwealth-Ländern verbreitet?
Gewusst wie und wo
Christian Dietzel grinst und erzählt ‚Stallgeflüster‘, wie er selbst dazu kam. „Ich habe mir mit 34 meinem Traum erfüllt und begonnen, Reiten zu lernen. Da fragte mich meine Reitlehrerin ‚Und wo soll es mit Ihnen in der Reiterei hin gehen, Dressur, Springen, Vielseitigkeit?‘ Ich war ja ein ‚älterer‘ Anfänger unter vielen jungen Mädchen, die so viel mehr wussten und konnten als ich. Deshalb antwortete ich: ‚Ich möchte so sicher reiten lernen, dass ich am Wochenende mit meinem Pferd ins Gelände reiten kann.‘ Die Antwort kam prompt: ‚Da sind Sie bei mir falsch. Meine Schüler arbeiten daran, an Turnieren teilzunehmen.‘ Also noch einmal das Ganze von vorne: ‚Wohin soll die Reise gehen?‘ Ich habe Geschichte studiert und mir fiel in diesem Moment nichts Besseres ein, als zu antworten: ‚Ich interessiere mich für die Kavallerieattacke.‘ Schließlich war ich mir als Historiker recht sicher, dass es so etwas in Deutschland nicht gibt.
Doch genau das war die falsche Antwort, denn meine Reitlehrerin freute sich sehr und erklärte mir, dass sie gerade dabei war, den Aufbau eines Kavallerieverbandes in Deutschland zu unterstützen, gab mir die Adresse und bat mich, den Kontakt aufzunehmen. Dort freuten sich alle sehr und verwiesen mich sofort an eine ihrer Tentpegging-Gruppen, die in meiner Nähe beheimatet ist.“ Viele andere Tentpegger kommen aus benachbarten Disziplinen, wie etwa dem Working Equitation. Das jüngste aktive deutsche Mitglied in dieser Sportart ist derzeit 18 Jahre alt, das älteste über 50.
Deutsche Tentpegger mittlerweile
auf internationalem Parkett
Obwohl Dietzel erst vor vier Jahren mit dem Reiten begann, war als ‚aktiver Tentpegger‘ bereits in vielen Ländern unterwegs: Südafrika, Indien, Pakistan, Norwegen, Sudan oder Oman, um nur einige zu nennen. „Also ist das bei diesen vielen Reisen rund um die Welt doch ein recht teurer Sport“, stellen wir von ‚Stallgeflüster‘ am Rande fest. Doch Dietzel entgegnet: „Wir profitieren natürlich von gesunkenen Flugkosten. Und unserem Nachwuchs können wir bei den für internationale Wettbewerbe notwendigen Reisen auch finanziell ein wenig ‚unter die Arme greifen‘. Schließlich reisen wir ja nicht mit Pferden.“
Apropos Pferde – die nimmt man nicht mit? „Bei Tentpegging-Wettbewerben reitet ohnehin niemand sein eigenes Pferd. Alle vorhandenen Tiere kommen in einen Pool und werden ausgelost. Wir wechseln deshalb auch zu Hause beim Training regelmäßig die Pferde, um uns daran zu gewöhnen, möglichst unterschiedliche Tiere zu reiten.“ Und schon wieder hat ‚Stallgeflüster‘ eine weitere Besonderheit dieser speziellen Sportart erfahren. Reisen muss die Deutsche Tentpegging-Mannschaft in nächster Zeit noch recht oft: Von der Qualifikation zur Weltmeisterschaft im Sudan, reiste das Team direkt in den Oman, die Heimat der ITPF (International Tentpegging Federation) zu deren Jahrestagung. Und dort, darüber freut sich Sprecher Christian Dietzel ganz besonders, erhielten sie die Einladung zu einem Wettkampf nach Bagdad. „Zu diesen Spielen wurden bisher nur die Nationen eingeladen, in denen Tentpegging traditionell verankert ist, wie z.B. Groß Britannien oder Südafrika. Diese erste Einladung zeigt uns, dass auch wir inzwischen international angekommen sind.“
(1) Anmerkung der Redaktion: Tentpegging ist offiziell von der International Federation of Equestrian Sports als regionale Disziplin anerkannt.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm