Spagat zwischen Tradition und Moderne
„Als einen Spagat zwischen der Erhaltung von Tradition und der Verbindung mit moderner Technik“ – so bezeichnet Bürgermeister Dr. Tjark Goerges seine Aufgaben auf Juist. Auch er ist geborener Juister, der lange Zeit auf dem Festland lebte und arbeitete. Im Dezember 2016 übernahm der 52jährige Diplom-Agrar-Ingenieur das Bürgermeisteramt und damit gleichzeitig die Position als Kurdirektor.
„Juist ist ein Familienbad“, erzählt er Stallgeflüster, als wir im Rathaus vorbeikommen. „Die Mehrzahl der Gäste, etwa 55 Prozent, kommt aus Nordrhein-Westfalen. Circa zwei Drittel von ihnen sind Stammgäste. In der Hauptsaison kommen überwiegend Familien nach Juist, in der Vor- und Nach-Saison mehr Singles und Paare um die 50. Unser Ziel ist es, vor allem jüngere Zielgruppen stärker anzusprechen. Dabei stehen Themen wie Wellness, Gesundheit und Entschleunigung im Vordergrund. Das Leben auf Juist ist nachhaltig – ein Thema, das wir noch stärker kommunizieren wollen. Denn Gäste möchten dort Urlaub machen, wo sie sich mental wohl fühlen und positive persönliche Erlebnisse mitnehmen können. Hier auf Juist erleben sie einen Mix aus Pferdefuhrwerken, Radfahrern und Fußgängern – ein gutes Stück alter Tradition also. Auch Kinder können hier völlig angstfrei herumlaufen – es gibt keine Autos, von denen sie überfahren werden könnten.“ Die Entschleunigung auf der Insel nehmen wir auch hier im Rathaus wahr: Draußen ist die Müllabfuhr unterwegs. Allerding ohne lautes Getöse, hörbar lediglich durch das Klappern der Pferdehufe, das den Rhythmus der Insel zu bestimmen scheint.
„Natürlich möchten viele Urlauber auch Programm-Elemente haben, bei denen sie selbst aktiv werden können. Auf Juist werden neben dem Radfahren viele maritime Aktivitäten angeboten – an einer Erweiterung arbeiten wir derzeit. Ein wesentliches Herausstellungsmerkmal unserer Insel ist das Pferd – ein traditionelles Element, dessen Erhalt wichtig ist. So wollen wir beispielsweise auf unserer im wesentlichen durch Arbeits-Pferde geprägten Insel u.a. auch das Reiten als Freizeitsport fördern. Derzeit entwickeln wir gerade ein Konzept für Reitrundwege, das sich mit Landschafts- und Naturschutzinteressen verträgt. Eventuell könnten wir sogar Gäste mit eigenen Pferden aufnehmen. Doch das ist zunächst noch ‚Zukunftsmusik’ – wir brauchen erst einmal Partner, die uns bei der Umsetzung eines solchen Angebots unterstützen.“
Doch auch eine Insel lebt nicht nur von Plänen. Auch hier gibt es, ebenso wie auf dem Festland, demografische Entwicklungen, die bewältigt werden wollen. „Während der 80er und 90er Jahre hat sich auf Juist vieles verändert. Zunehmende Urlauberzahlen sind dafür verantwortlich, dass zunehmend Saison-Arbeiter oder Service-Mitarbeiter aus den europäischen Nachbarländern hier leben. Die frühere Einheit der Bevölkerung auf der Insel ging damit verloren. Jetzt müssen wir lernen, damit umzugehen und zu leben. Und vor allem müssen wir darauf achten, dass genügend fester Wohnraum für alle zur Verfügung steht.“
Der ‚Immobilienausverkauf’, wie es im Fach-Jargon so schön heißt, bereitet dem Bürgermeister sichtlich einige Sorgen, denn Juist hat, schließlich handelt es sich um eine Insel mit begrenztem Platzangebot, keine Bauflächen mehr. „Viele Immobilien wurden nach Erbschaften oder aus anderen Gründen an vermögende Festlandsgäste, die schon immer ein Feriendomizil auf der Insel haben wollten, oder an Investoren, die sich vom Wohnungsbau auf der Insel hohe Renditen versprechen, verkauft.
Diese Entwicklung ist bereits weit fortgeschritten. Wir haben bereits kommunale Bauordnungs- und Immobilienübernahme-Einschränkungen, die diesen Wandel aufhalten sollen, so z.B. einen städtebaulichen Vertrag, der Dauer-Mietraum sichert. Doch hilft uns dies nicht weiter, wenn Haus- oder Eigentumswohnungsbesitzer ihre Häuser nicht vermieten und das Leben aus den Häusern weicht. Schließlich leben wir hier nicht in einem Freilichtmuseum, sondern wollen unsere lebendige Insel mit all ihrer Infrastruktur an Einzelhändlern, Apotheken und Ärzten so lebendig erhalten, wie sie jetzt ist.“
„Stallgeflüster“ / E.St