Der Cowboy von der Hirschstein-Ranch
In den pferdesportlichen Lehrbüchern ist häufig die Rede davon, dass der Reitsport auch noch im höheren Alter betrieben werden kann. Aber was bedeutet das genau und wie lange kann man im Reitsport aktiv sein? Gibt es überhaupt eine Altersgrenze beim Reiten?
Wir von „Stallgeflüster“ haben Westernreiter Kurt Schreiner aus Waldsolms-Kraftsolms besucht. Schreiner ist in diesem Jahr 90 Jahre alt geworden und sitzt noch regelmäßig im Sattel seines Quarterhorse-Wallachs.
„Western und Cowboys haben mich schon als Kind interessiert“ erzählt Schreiner, der als gelernter Werbegrafiker bis in die 70er Jahren in Wetzlar lebte und dort unter anderem für Buderus und Leitz tätig war. Über seinen damaligen Schwiegervater kam er mit 34 Jahren zum Reitsport und war zunächst als Jagdreiter erfolgreich. Springreiter Hugo Simon vermittelte Schreiner dann die Möglichkeit, für 50 DM einen original Westernsattel aus den Staaten zu erwerben. „Damit sattelte ich dann erst mal meine Hessenpferde“, erzählt Schreiner im Rückblick. Passend zum Sattel erwarb Schreiner schließlich auch ein echtes Quarterhorse.
Einige Zeit später krempelte der Western-Fan dann sein Leben grundlegend um, verabschiedete sich von seinem Job, von Sportautos und Maßanzügen und kaufte ein Stück Land in Kraftsolms, um an seiner Traumranch zu arbeiten. Nur sein Pferd und seine Hunde nahm er dorthin mit. Bei einer Reise nach Kanada hatte sich Schreiner ausgiebig mit dem Bau von Blockhäusern beschäftigt und so reifte der Plan, selbst ein solches Haus zu bauen. Aber das war nicht alles. Innerhalb von elf Jahren kaufte der hessische Aussteiger 38 Landparzellen in einem Tal am Waldrand, baute einen Campingplatz, teilweise bestehend aus Blockhäusern und errichtete für sich selbst schließlich ein Blockhaus, das er zuvor in einem Modellbau selbst entworfen hatte. Neben Baumstämmen aus dem Westerwald besitzt das Haus einen großen Steinkamin, der aus Steinen eines nahen Steinbruchs gefertigt ist. Viele der Einrichtungsgegenstände, wie einen antiken Keramikofen, Fenster, Türen und Schränke suchte sich Schreiner aus dem Sperrmüll zusammen. Das Dach seines Hauses ist mit einer grünen Wiese bewachsen. Vor der Tür gibt es einen Anbindeplatz für die Pferde und einen Roundpen. Von der Veranda aus hat man einen idyllischen Blick auf den großen Karpfenteich und auf einen Grillplatz.
Etwas entfernt haben die Pferde ihr Domizil. In stilechten Holzboxen mit 24-Stunden Auslauf können sie sich zwischen Box und Auslauf bewegen und haben ebenfalls einen romantischen Ausblick das darunter liegende Tal. Eine Zeit lang hatte der Senior hier auch seine massigen Aberdeen-Angus-Rinder untergebracht und betrieb mit seinen Pferden die Rinderarbeit wie ein echter Cowboy. Schreiner findet es schade, dass heutzutage die Rinderarbeit im Westernreitsport nicht mehr eine so große Rolle spielt, „hier hat der Westernsport doch seine Wurzeln.“
In Schreiners Haus finden sich neben Sätteln, verschiedenen Trensen und jeder Menge Cowboystiefeln auch Chaps, Patronengürtel und Geweihe an der Wand. Unwillkürlich fühlt sich der Besucher in die Welt der klassischen Western zurückversetzt. Selbst der Herd in der Küche wird mit Holz und Kohle betrieben. Schreiners zweite Ehefrau Daisy liebt ebenfalls die Natur und die Tiere. Sie füttert Pferde, Hunde und Hühner und kümmert sich um die Verwaltung des Campingplatzbetriebes.
Ihrem Mann zu Liebe hatte sie ebenfalls mit der Reiterei angefangen. Bereits seit über dreißig Jahren ist das Paar verheiratet. Damals gaben sie sich das Ja-Wort, wie sollte es auch anders sein, bei einer zünftigen Westernhochzeit. Vor einigen Jahren machte sich Kurt Schreiner Gedanken, dass für ihn die Reiterei zu gefährlich sei. „Man denkt dann in dem Alter an Oberschenkelhalsbruch und solche Sachen.“ Kurzerhand verkaufte der Cowboy damals seine Pferde. Aber es dauerte nicht lange, da fehlte ihm die Reiterei doch zu sehr. „Ich habe den Züchter Hermann Kind angerufen und ihm gesagt, dass ich ein Pferd brauche.“ Kind verkaufte ihm schließlich einen 6-jährigen Quarterhorse–Wallach.
Mittlerweile hat Schreiner seinen kräftigen Schimmel über vier Jahre und ist immer noch begeistert von diesem Pferd. Zur Gesellschaft hat er bei einem Pferdehalter in der Nähe eine alte Stute erworben, deren Alter er mittlerweile auf 34 Jahre schätzt. Die Pferde leben im Stall unterhalb des Blockhauses mit Auslauf und Weidegang. Zu seiner Pferdeleidenschaft fügt Schreiner verschmitzt hinzu: „So geht das Drama eben immer weiter.“
„Stallgeflüster“ / Tanja Radermacher