Pferde fahren kann jeder?
„Kutschen üben auf Menschen eine magische Anziehungskraft aus“, sagt Manfred Harra. „Sobald du angespannt hast, wirst du gefragt, ob du jemanden mitnimmst“. Manfred Harra weiß, wovon er spricht. Seit rund fünfzehn Jahren fährt der hauptberufliche Rettungsassistent Kutsche – reiten war nie sein Ding. Mittlerweile betreibt er mit Freundin Regina Nedwed nebenberuflich ein gewerbliches Fuhrunternehmen im Taunus.
„Eine Ausbildung zum Fuhrmann gab es in Deutschland bisher noch nie“, erzählt uns Mathias Mengel von der Interessengemeinschaft Zugpferd. „Fahren darf eigentlich jeder. Als Qualifikation für Fahrer dienen die Fahr-Abzeichen der FN – sie sind allerdings im Wesentlichen auf die sportlichen Aspekte dieser Disziplin ausgelegt – gefahren wird meist auf umzäunten Fahrplätzen oder teilweise auch in der Halle. Jeder, der ein Pferd fahren kann, darf natürlich auch im öffentlichen Straßenverkehr fahren – unabhängig davon, ob er einen Führerschein hat oder nicht. Lediglich Fahrer, die für Fahrten mit ihrer Kutsche Geld nehmen, unterliegen dem Gewerbe-Gesetz und müssen einen Gewerbeschein vorweisen. Weitere Voraussetzung für gewerbliches Fahren ist der Sachkunde-Nachweis beim Veterinäramt oder eine Gespannführer-Prüfung, z.B. bei der Berufsgenossenschaft.“
Die 1992 gegründete Interessengemeinschaft Zugpferd ist ein gemeinnütziger Verein, der sich vor allem für den Einsatz tierischer Arbeitskraft in allen dafür in Frage kommenden Bereichen einsetzt. Dazu gehören die Land- und Forstwirtschaft ebenso wie die Förderung des ‚Sanften Tourismus’ z.B. durch Kutsch- oder Planwagenfahrten. Eigens für die, die ihre Pferde nicht zu sportlichen Zwecken nutzen, sondern mit ihnen ihren Lebensunterhalt (oder zumindest einen Teil davon) bestreiten, hat der Verein Ausbildungs- und Prüfungsrichtlinien (APRI) entwickelt, bietet Lehrgänge, Seminare und Prüfungskurse in den Bereichen Landwirtschaft, Forstwirtschaft und gewerblichem Fahren an. „Ein Arbeitspferd kann in seinem ‚Berufsleben’ tausende Liter Diesel einsparen und arbeitet deshalb zu 100 Prozent CO2-neutral. Daher liegt uns sehr viel daran, das Thema Arbeits- und Zugtiere in der Öffentlichkeit wach zu halten und zu fördern,“ sagt Mathias Mengel, der sich besonders für die Ausbildungs- und Prüfungsrichtlinien in diesem Bereich engagiert. Besonders stolz ist Mengel darauf, dass in Baden-Württemberg die IGZ-Prüfungen seit etwa einem Jahr bereits staatlich anerkannt sind und das Fachgespräch beim Veterinäramt ersetzen. „Wir hoffen, dass sich diese Anerkennung auch in anderen Bundesländern durchsetzen wird.“
Doch zurück zu Manfred Harra und seiner Lebensgefährtin Regina, die im Taunus und Umgebung ihr ‚gewerbliches Hobby’ betreiben, Planwagen- oder Kutschfahrten in der Natur, Hochzeitsfahrten oder im Pferdeomnibus anbieten. „Ich hatte das Glück, meine Fahrausbildung bei Peter Tischer absolvieren zu können“, erzählt Manfred (Mani) von seinen Anfängen. „Bei Tischer waren wir von Beginn an viel auf den Straßen unterwegs – auf dem Platz lernt man schließlich wenig über die speziellen Verkehrssituationen mit Pferd und Kutsche in der Stadt. Ich habe da einfach Glück gehabt.“
Doch jetzt wollen wir von Stallgeflüster natürlich ein wenig mehr wissen, über die Besonderheiten beim gewerblichen Fahren. „Zunächst einmal gehört dazu die sorgfältige Grundausbildung der Pferde. Dabei steht das Vertrauen der Tiere zu ihrem Fahrer an erster Stelle,“ stellt Mani fest. „Schließlich fahren die Pferde ja nicht von sich aus in die Stadt, sondern tun das für uns und haben trotzdem Spaß dabei.“ Mani und Regina Nedwed haben sich daher ausgiebig mit dem Thema Horsemanship beschäftigt verlassen sich auf die Zuverlässigkeit ihrer mittlerweile vier Pferde. Dennoch überlassen sie nichts dem Zufall: „Bevor wir z.B. eine Hochzeitsfahrt unternehmen, fahren wir am Tag oder Abend zuvor noch einmal genau die Strecke ab. Schließlich kann inzwischen eine Baustelle eingerichtet worden sein oder sich etwas anderes auf der Straße verändert haben. Uns ist es lieber auf Eventualitäten gut vorbereitet zu sein.“
„Das klingt nach einem relativ hohen Aufwand, rechnet sich der denn?“, fragen wir von Stallgeflüster. „Nun, reich wird man davon nicht und leben kann man davon auch nicht“, grinst Mani. „Allerdings sind wir inzwischen so gut ausgebucht, dass sich unsere Pferde selbst finanzieren – das war eine Bedingung für uns. Schließlich sind wir finanziell nicht so gestellt, dass wir uns das sonst leisten könnten.“
Mathias Mengel vom IGZ kennt die finanzielle Situation gewerblicher Fahrer und macht uns eine Beispielkalkulation auf: „Fahren als eigenständiger Betriebszweig ist nur schwer rentabel. Schließlich müssen die Pferde eine regelmäßige Auslastung haben und die erreicht man kaum. Bei der Kalkulation einer Fahrt reicht es ja auch nicht, die reine Fahrzeit zu rechnen. Hinzu kommen die Vorbereitungen, Geschirre putzen, Pferde herrichten, die regelmäßige Wartung der Kutschen und Vorbereitung für die jeweilige Fahrt, oft kommt dann noch der Transport zum entsprechenden Ort dazu, schließlich der Rücktransport, abschirren etc.
Das alles ist Arbeitszeit, die entsprechend bezahlt bzw. berechnet werden muss. Für eine Hochzeitsfahrt schätze ich den realistischen Aufwand ohne Blumenschmuck auf einen Betrag zwischen vierhundert und fünfhundert Euro – und dabei hat der Fahrer sicherlich keinen allzu hohen Stundensatz erzielt.“
Mani und Regina stimmen dieser Kalkulation sofort bei – aber schließlich ist’s ja auch ‚nur’ ein gewerbliches Hobby, bei dem man auch schon mal in den Genuss kommt, Promis, wie Roberta Valentini als ‚Sissi’, stilgerecht zur Alten Oper in Frankfurt zu kutschieren.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm