Wanderreiten kein Sport für Couch-Potatoes
Reisen zu Pferd gehört zu den ursprünglichsten Nutzungsformen des Pferdes durch den Menschen. Im Mittelalter war es durchaus selbstverständlich, dass wohlhabende Reisende ihren Weg auf dem Rücken eines Tieres zurücklegten – Mönche, Studenten oder weniger wohlhabende gingen zu Fuß.
Auch für den großen deutschen Dichter Johann Wolfgang von Goethe gehörte das Reiten dazu, wenn er längere Strecken zurücklegte. Er schrieb: „Laßt mich nur auf meinem Sattel gelten! / Bleibt in euren Hütten, euren Zelten! / Und ich reite froh in alle Ferne, / Über meiner Mütze nur die Sterne.“
Mit Beginn der Motorisierung geriet diese Art der Fortbewegung weitgehend in Vergessenheit. Wiederentdeckt wurde sie als ‚Erlebnis in der Natur’ erst im Rahmen des Freizeit-Reitens zwischen Mitte der 60er, bis Anfang der 70er Jahre. Im Gegensatz zu den Wandervereinen hat das Wanderreiten keine fest verwurzelte Tradition und wird privat in einzelnen Ställen gemeinsam mit Bekannten oder in Interessengemeinschaften betrieben. Aus diesen Interessengruppen bildeten sich während der letzten Jahre zunehmend größere Interessen-Gruppen, wie beispielsweise die ‚Taunusreiter’, ‚Rhönreiter’ oder die ‚Spessartreiter’ – alle sind regional angesiedelt.
Auch für den regionalen Tourismus erkannte man die Bedeutung der zunehmenden Zahl derjenigen, die hauptsächlich im Schritt, manchmal streckenweise auch zu Fuß, die Schönheiten und Besonderheiten der sie umgebenden Landschaft erkunden und genießen wollen. Tourismusverbände und Reitställe begannen Kooperationen, Kartenverzeichnisse mit Wanderreitstationen oder sogar Stationen, die Pferde bereithalten, entstanden für viele Regionen Deutschlands. Interessierte Reiter können sich beim VFD (Vereinigung der Freizeitreiter und -fahrer) genauer informieren. Doch, grau ist alle Theorie. ‚Stallgeflüster’ wollte ein wenig mehr über dieses Hobby wissen und traf deshalb zwei passionierte Wanderreiter aus dem Taunus.
Da ist zum einen Friedhelm Hecker. Der heute 80jährige ehemalige Polizeibeamte ist seit rund vierzig Jahren zu Pferd in Deutschland unterwegs – auch heute noch reitet er mehrmals in der Woche. Wo? Natürlich im Wald. Für ihn stehen im Vordergrund das gemeinsame Natur- und oft auch Kultur-Erlebnis mit dem Partner Pferd. „Sich in der Natur aufzuhalten, bringt so manches Erlebnis, das einen lebenslang begleitet und von dem man ewig zehrt“, erzählt er ‚Stallgeflüster’. Natürlich liebt er auch die Geselligkeit, das gemeinsame Lachen und den Spaß mit der Gruppe Gleichgesinnter, mit der er unterwegs ist.
Unsere zweite Gesprächspartnerin ist die bekannte deutsche Distanzreiterin Ingrid Löwer. Sie hat ihre Distanz-Karriere, die sie immerhin bis zu den Weltmeisterschaften 1998 nach Dubai brachte und auf den 5. Platz bei den Deutschen Meisterschaften 1999, im Taunus beim Wanderreiten begonnen. Spontan beantwortet sie die ‚Stallgeflüster’-Frage, was ihr das Reiten draußen in der Natur bedeutet mit: „Reiten ins Weite“ – also ein Hauch von Freiheit und Abenteuer interpretiert ‚Stallgeflüster’ die tuffe junge Frau. Denn „einen Hauch von besonderem ‚Kitzel’“ schätzte durchaus auch der heutige Beamte im Ruhestand, vor allem bei Orientierungsritten.
So weit so gut – ‚Stallgeflüster’ versteht, was Menschen, vor allem in unserer modernen Hochgeschwindigkeitsgesellschaft, in der das Alltagsleben streng reglementiert ist, im Wanderreiten suchen und finden. Doch nun zu der Frage: Wie werde ich Wanderreiter, was braucht mein Pferd, was muss ich können – und vor allem: Wie und wo finde ich Gleichgesinnte?
Das sind eine Reihe von Fragen, die die beiden versierten Profis stutzen lassen, schließlich üben sie diesen Sport schon seit Jahren aus. Dann aber tasten wir uns voran. Da kommt die Sprache zunächst einmal auf das Pferd. Nicht jede Pferderasse ist gleichermaßen belastbar für längere Strecken erklären sie mir. Obwohl ein Ritt über eine Distanz von rund 30 km durchaus von jedem Pferd zu schaffen ist – vorausgesetzt es ist gut und richtig im Gelände trainiert. „Ein Pferd legt pro Stunde im Schritt rund sechs Kilometer zurück. Da bedeuten 30 Kilometer einen Ritt von ca. fünf Stunden Dauer plus Pausen“, rechnet uns Ingrid Löwer vor. „Aber Geländetraining allein reicht nicht aus“, ergänzt Friedhelm Hecker. „Ein Geländepferd sollte mindestens zweimal im Monat dressurmäßig geritten werden – je jünger das Tier ist, desto häufiger. Das trägt zur Sicherheit (Durchlässigkeit, Gehorsamkeit an den Hilfen etc.) im Gelände bei.“
Außerdem sollte das Pferd, mit dem man einen Wanderritt unternehmen will, an das Reiten in der Gruppe gewöhnt sein oder werden. Es darf nicht treten oder beißen und muss seine mitreitenden Artgenossen akzeptieren.
Ebenso wie das Pferd sollte auch der Geländereiter gut trainiert sein. Schließlich gehört es zu diesem Sport, dass man auch einmal absteigt und führt – das tut Reiter und Pferde gut. Denn der eine muss sonst zu lange sitzen, der andere zu lange Last auf seinem Rücken tragen.
Neben der körperlichen Fitness gehören Kartenkunde oder GPS sowie der Kompass unbedingt zum Wanderreiten dazu. Vor der ersten längeren Tour sollte man das können. Denn auch ein gut ausgeschilderter Weg kann einmal nicht begehbar sein. „Da sollte man schon die Orientierung behalten können“, sind sich die beiden Profis einig.
Beschlag und Ausrüstung von Pferd und Reiter hängen von der Strecke, dem Gelände und den Hufen des jeweiligen Tieres ab. Viele Warmblüter benötigen auf steinigem Grund Eisen, Araber zum Beispiel eher selten. „Bei einem Ein-Tages-Ritt macht das Mitnehmen eines Zeltes keinen Sinn – ist man jedoch mehrere Tage unterwegs, kann es durchaus nützlich sein, eines dabei zu haben, denn selbst bei sorgfältiger Touren-Planung kann es immer einmal anders kommen als vorgesehen“, rät Hecker Wanderreit-Einsteigern.
Und wie man Partner für diesen Sport findet: „Fragen Sie einfach einen Stall-Nachbarn und erzählen ihm, dass Sie einen Ritt planen. Macht er mit, dann sind Sie schon zu zweit“, empfiehlt der ältere Herr. „Ansonsten findet man in allen Regionen Zusammenschlüsse von Menschen, die diesen Sport betreiben, da muss man sich nur ein wenig umhören.“
Unser Fazit nachdem wir uns bei Löwer und Hecker für das Gespräch bedankt haben: Wanderreiten ist sicherlich ein interessanter, erholsamer und erlebnisreicher Sport, aber ganz sicher nicht für Couch-Potatoes.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm