Wo Bruchteile von Sekunden und Instinkt über den Erfolg entscheiden: Berittenes Bogenschießen
Vor nur wenigen Wochen fanden in der Mongolei die Weltmeisterschaften im berittenen Bogenschießen statt.
Dort gehört dieser Sport traditionell zum allgemeinen Sportgeschehen, denn es ist eine Kampfkunst, deren mehr als 3000 Jahre Geschichte u.a. hier Ursprünge hat. Nach Europa kam es erst in den späten 90er Jahren und ist inzwischen in einigen Ländern als eine Sportart zu Pferd im Kommen. ‚Stallgeflüster‘ sprach mit einer der wenigen Reiterinnen, die diese Sportart hier in Deutschland ausüben und auch lehren.
„In Europa populär wurde das berittene Bogenschießen durch den Ungarn Lajos Kassai. Er hatte diese Sportart Ende der 80er/Anfang der 90er Jahre in der Mongolei kennen und lieben gelernt, brachte sie mit nach Europa und machte sie hier populär. Das lag nicht zuletzt an seinen spektakulären Erfolgen: Er ist bis heute unangefochtener Meister in dieser Disziplin,“ berichtet Cathy Field, die wir in Schriesheim trafen. Sie selbst kommt ursprünglich aus Großbritannien, hat dort Mounted Games geritten, Dressur-Turniere, Ritter-Turniere etc.
Heute zeigt sie die Kunst des Bogenschießens vom Pferd mit ihrer Mitstreiterin Silke Ehrenberger vor allem bei Show-auftritten als Show-Team Allegria, wie beispielsweise dem Landwirtschaftlichen Hauptfest in Stuttgart. Natürlich will ‚Stallgeflüster‘ zunächst einmal wissen, wie sie selbst zum Bogenschießen gekommen ist.
„Das ist eine ganz witzige Geschichte“, erzählt uns Cathy. Ich hatte auf das Turnier-Reiten irgendwann keine rechte Lust mehr und war in England schon die Royal Windsor Horse Show geritten. Da meldete sich ein Fernsehsender, der Reiter für ein Experiment suchte. Und zwar wollte dieser Sender nachweisen, dass die Erfindung des Steigbügels schlachtentscheidend für die Schlacht bei Hastings war.“ (Am 14. Oktober 1066 besiegten die französischen Normannen unter Wilhelm dem Eroberer die Angelsachsen unter ihrem König Harald II).
„Der Bildteppich von Bayeux (Normandie, Frankreich) ist eine historische Bilddarstellung der Schlacht und zeigt deutlich, dass die normannischen Krieger, die mit Steigbügeln ritten, die Schlacht gewannen, die Angelsachsen sie ohne jedoch verloren. ‚Das ist eine coole Idee‘ fand ich und nahm an diesem Experiment teil, bei dem der Druck am Roland (dem Ziel) jeweils bei Schüssen mit und ohne Steigbügel gemessen wurde. Übrigens haben auch dabei die Reiter mit Steigbügeln gewonnen.“
„Danach habe ich dann ernsthaft mit dem Bogenschießen begonnen. Mein Trainer hatte bei Kassei gelernt und als ich dann nach Deutschland kam, habe ich das allein fortgesetzt.“ Bedauerlich findet es Cathy, dass das berittene Bogenschießen in Deutschland nicht von der FN anerkannt ist. „Das bedeutet, dass es hier nur wenige Turniere gibt, d.h. in der Folge natürlich auch weniger Reiter und damit auch weniger Interesse.“
„Frankreich ist da auf einem ganz anderen Weg. Dort ist es von der Fédération française d’équitation anerkannt, wird gefördert und es gibt dort deutlich mehr Turniere. Natürlich hat Frankreich sogar eine Nationalmannschaft.“
Bogenschießen vom Pferd – schnell und intuitiv
Doch nun zum Handwerkszeug des Bogenschützen. Da ist zum einen der Bogen selbst. Anders als die Bögen der Schützen, die am Boden stehen, ist er sehr viel kürzer. „Auf dem Pferd würde man sich mit einem solchen Bogen nur selbst behindern oder ihn gar nicht spannen und schießen können“, erklärt uns Cathy. Sie selbst nutzt einen mongolischen Reiterbogen, der, betrachtet man ihn genau, mehrere Windungen hat. „Das erhöht die Reichweite“, erklärt die Schützin, die in Belgien bereits bei den Europa-Meisterschaften dabei war.
Weiteres wichtiges Zubehör ist der Köcher. In ihm werden die Pfeile möglichst griffbereit aufbewahrt, denn schließlich muss man sie schnell erreichen können. Die Unterbringung des Köchers ist unterschiedlich – manch einer befestigt ihn am Sattel, andere auf dem Rücken und wieder andere am eigenen Körper. „Wichtig ist es, dass man sein ‚Handwerkszeug‘ möglichst schnell erreicht, denn der Reiter hat weniger als drei Sekunden Zeit, den Pfeil zu ziehen, zu spannen und zu schießen.
Bei Turnieren hat man eine ca. 90 Meter lange, gerade Wettkampfbahn im Galopp (bei Kassai Wettkämpfen in einer Zeit von 20 Sekunden) zu absolvieren und muss das Ziel (bei Kassai-Wettkämpfen eine Zielscheibe mit einem Durchmesser von 90 cm in zwei Meter Höhe in der Mitte der Wettkampfbahn) von vorne, von der Seite und von hinten treffen. Ein genaues Zielen, wie am Boden, ist bei dieser Geschwindigkeit nicht möglich. Wir nennen das deshalb ‚Instinkt-Schießen‘“.
Neben guter Erreichbarkeit der Pfeile spielt auch deren Größe eine Rolle, erklärt uns Cathy und lässt ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm ein paar Pfeile abschießen. „Seltsam, trotz nachweislicher Unbegabtheit ein Ziel mit irgendetwas zu treffen, landen mehrere von Cathys Pfeilen punktgenau in dem aufgestellten Strohsack.“ Das waren jetzt die kürzeren Pfeile, die ich verwende, da ich nicht so groß bin und das ganze von Arm- und Pfeillänge her ja für mich gut händelbar sein muss.“ Dabei gibt sie mir ein paar andere, deutlich längere Pfeile und lässt mich auch diese abschießen. Selbst ich als blutiger Laie, spüre hier den Unterschied. Sie fliegen ganz anders und das Treffen ist schwieriger.
Cathy, die in Schriesheim mit ihrer Mitstreiterin Silke Ehrenberger regelmäßig trainiert und zwischen durch auch einmal einen kleinen Parcours aufbaut, schafft es mit ihrem mongolischen Bogen, in drei Minuten rund 29 Pfeile abzuschießen. Silke nutzt einen türkischen Bogen, der eine andere Technik erfordert, bei der mehr Wert auf Zeremonie gelegt wird. Damit schafft sie damit nicht ganz so viele Pfeile.
Neben der kriegerischen Ausrüstung werfen wir noch einmal einen Blick auf die Pferde. Die Zügel in den Händen zu halten, wenn man gleichzeitig den Pfeil zieht, ihn einfädelt, den Bogen spannt und schießt, ist nicht möglich. „Wir reiten ohne Zügel, die befestigen wir am Sattel, damit wir die Hände frei haben. Und viele, die Bogenschießen betreiben, reiten gleich ohne Gebisse,“ erzählt Cathy aus der Praxis. Da wünschen wir den beiden Damen noch viel Spaß in der Reithalle in Schriesheim mit ihren Pferden und einem tollen Sport.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm