Shetty Pumuckel – Ein Winzling kommt ganz groß raus
Als Carola Weidemann ihren Pumuckel das erste Mal sah, war sie schockiert: „Ich hatte noch nie ein so kleines Pferd gesehen,“
sagt die langjährige Ausbilderin und Reitlehrerin aus dem Dorf Breckerfeld im Sauerland. Heute, zwei Jahre später, ist das Mini-Shetland-Pony der Star in ihrem Reitstall – und ein absoluter Glücksfall.
Vor zwei Jahren hatte ein Bekannter die erfahrene Pferdefrau angerufen, weil er mit dem kleinen Pony nach dessen Geburt überfordert war. „Als ich in den Stall kam und in die Box guckte, habe ich das Fohlen erst gar nicht gesehen,“ erinnert sie sich. „Es lag ganz eng geduckt an der Schiebetür und war so winzig! Ich bin wieder gefahren und sagte, darüber müsse ich erstmal nachdenken.“ Ein paar Tage später fasst sie sich ein Herz und holt den Winzling ab: „Ich habe dieses Pony auf den Arm genommen auf den Beifahrersitz gesetzt. Bei der dreistündigen Fahrt kamen mir Zweifel, ich dachte immer wieder: Jetzt hast du einen Fehler gemacht! Als ich es dann zuhause aus dem Auto hob, fragte mein Mann ungläubig: ‚Was ist das denn für ein Muck? Dem hat man ja die Beine abgesägt!‘ Meine Kinder waren sofort begeistert von seinem roten Fell und der wilden Mähne, und so haben wir ihn Pumuckel getauft.“
„Hunde sind skeptisch,
schnüffeln an ihm rum
und kriegen das nicht
eingeordnet.“
Gerade mal 35 Kilo und 50 Zentimeter hoch: Pumuckel ist nur halb so groß wie normale Shetland-Ponys. Grund für den Zwergenwuchs ist ein genetischer Defekt: „Keine Krankheit, sondern eine Laune der Natur,“ erklärt Weidemann. Pumuckel ist kleinwüchsig, aber kerngesund.“ Sechs Shettys leben auf Carolas Hof, plus acht Pensionspferde, ihr eigener Westfale Ron-Sheer und einige Pflegehunde. Die Ponys bildet Carola Weidemann zu Therapiepferden aus und besucht mit ihnen Seniorenheime und Hospize, um Menschen glücklich zu machen. Auch bei Kindern ist der Kleinste natürlich ein großer Star.
Zwei bis drei Ponys nimmt Carola Weidemann zu den Therapiestunden mit – während der Fahrt sitzt Pumuckel angeschnallt auf dem Beifahrersitz in ihrem Geländewagen. Im Heim angekommen, lockt er mit seiner Knuffigkeit die Senioren schnell aus der Reserve: „Er ist sozusagen der Türöffner,“ lächelt Carola. „Die alten Menschen sind völlig begeistert, wenn Pumuckel aus dem Fahrstuhl tritt oder die Tür hereinkommt. Es ist so wunderbar zu sehen, wie dieses Mini-Pony den alten Menschen ein Lachen ins Gesicht zaubert. Das ist ja die Generation, die noch mit Landwirtschaft gelebt hat, mit Ziegen, Schafen und Pferden, und die das Land nach dem Krieg mit Hilfe von Tieren wieder aufgebaut hat.“
„Pumuckel ist zwar
kleinwüchsig, aber
kerngesund.“
Dieser Nachkriegsgeneration etwas zurückzugeben, ist die Intention der Therapie-Arbeit von Weidemann mit ihren Shettys. „Diese Menschen haben früher mit Ponys im Garten gearbeitet, kamen auf der Flucht mit Pferdekutschen aus den Ostgebieten, nutzten Pferde im Bergbau. Wir treffen auch Menschen, die früher selber Pferde gezüchtet haben. Wenn man bei all diesen Begegnungen erlebt, wie viel Emotionen und auch Zuversicht geweckt wird, wenn die Mini-Ponys zu Besuch kommen, das berührt zutiefst,“ erzählt Carola Weidemann.
Gerade Winzling Pumuckel ist es, der die Senioren mit einem wunderbar großen Kuschelfaktor beglückt: Kleiner als so mancher Hund, lässt er sich gerne in den Arm nehmen und berührt so die Menschen an Herz und Seele. Er liebt zudem Spaziergänge, begleitet die Alten am Rollator, am Stock oder im Rollstuhl. Shetland-Ponys, so Weidemann, sind ideale Therapiepferde, weil sie beste Voraussetzungen mitbringen: Eine kontaktfreudige Rasse, dem Menschen zugewandt und extrem geduldig. Die Ausbilderin: „Mit einem Hund können Sie solche Spaziergänge nicht machen, der läuft vorne weg oder bleibt stehen. Shettys hingegen passen sich der Situation an, können sich einfügen.“
„Ich habe noch nie ein
Pony erlebt, das derart
zugewandt und auf
Menschen bezogen ist.“
Die Ausbildung zum Therapiepony dauert zwei Jahre und beginnt mit kleinsten Übungen: „Ein Pony kann man nicht wie einen Hund mit Leckerlis locken. Ponys sind verfressen, besitzen kein Sättigungs-Gen. Sie würden anfangen zu beißen, wenn wir sie mit Leckerlis füttern,“ erläutert Carola Weidemann die anstrengende, mindestens zweijährige Ausbildung: „Das Training funktioniert nur mit viel Liebe und Geduld. Die Ponys müssen das, was sie tun sollen, gerne machen. Manche eignen sich mehr, andere weniger: Es kommt immer auf die Persönlichkeit des Tieres an. Pumuckel ist ein Ausnahmetalent, bringt alle Eigenschaften mit, die ein Therapiepony braucht. Ich habe noch nie ein Pony erlebt, das derart zugewandt und auf Menschen bezogen ist.“
Als einziges Pferd im Stall darf der kleine Promi sogar mit seinem Frauchen in der Küche frühstücken: „Als er vor zwei Jahren zu uns kam, war ja Winter. Und er war so klein wie ein Hund! Und da die Hunde auch reindurften, hab‘ ich Pumuckel es ebenfalls gestattet. Mein Mann hatte zuerst gesagt, das geht nicht, hat aber nach einigem Hin und Her schließlich zugestimmt.“ Ansonsten aber tobt Pumuckel, wenn er nicht gerade im Seniorenheim arbeitet, mit seinen Shetty-Kollegen über die Wiese: Mit Jay, dem gepunkteten kleinen Hengst. Meghan, die wegen Trächtigkeit gerade von ihrem Therapie-Job befreit ist. Der zierlichen, hellen Goldie und dem dunklen, dicken Lion. Von den großen Pferden auf dem Hof ist es nur das Warmblut Ron-Sheer mit seinen 1,76 Metern Stockmaß, der den Winzling akzeptiert: „Weil er ihn schon als Baby kennt. Alle anderen Ponys und Pferde würden Pumuckel wegen seiner Andersartigkeit beißen,“ weiß Carola Weidemann.
Mit Hunden sieht das anders aus. „Die meisten sind skeptisch, schnüffeln an ihm rum und kriegen das erstmal nicht eingeordnet, weil er ja ganz anders riecht,“ lacht Carola. „Pumuckel kennt das schon und bleibt gelassen. Sein geduldiger Blick sagt: ‚Macht ihr nur! Ich weiß ja, ihr seid alle nur neugierig.‘ Meist verlieren die Hunde dann schnell das Interesse.“
„Pumuckel liebt zudem
Spaziergänge, begleitet
die Alten am Rollator, am
Stock oder im Rollstuhl.“
Carola Weidemann hat ihren Kleinsten, der Großes leistet, bereits im Guinness-Buch der Rekorde angemeldet: „Da steht bisher ein Pferd mit 56,7 Zentimetern Schulterhöhe als kleinstes Pferd der Welt. Pumuckel ist mit seinen 50 Zentimetern ja deutlich kleiner. Die Guinness-Prüfungskommission kommt nächstes Jahr nach Breckerfeld, denn erst mit vier Jahren ist er ausgewachsen. Ehrlich gesagt glaube ich aber nicht, dass unser Kleinster noch wächst. Ich bin mir ziemlich sicher: Unser Pumuckel ist das kleinste Pferd der Welt.“
„Stallgeflüster“ / K. Pohl