Weltmeisterin Pettra Engeländer -Zu Pferd mit Pfeil und Bogen
Ein Hof mit sechs Pferden, Reithalle und Boxen in der osthessischen Rhön.
In einem Jurtezelt auf der Weide lebt die Besitzerin, drumherum grast friedlich die Herde: Der Quarter Lucky, ein Buckskin, der Huzule Balamber, ein kleines Wildpferd aus den Karpaten. Ein Idyll in einem Naturschutzgebiet, wo man Graben, Reitplatz, Sättel und Zaumzeug vergebens sucht. Hier unterrichtet Pettra Engeländer Horse Aikido – eine Trainingsmethode, die sie mit entwickelt hat. Begegnung mit einer ganz und gar außergewöhnlichen Pferdefrau.
2000 erfüllte sich die Jägerstochter mit ungarischen Wurzeln, die bereits mit zwölf Jahren mit Pfeil und Bogen ritt, ihren langgehegten Traum und lebte monatelang mit einer Nomadenfamilie in der mongolischen Steppe. Eine Erfahrung, die ihr Leben und ihren Umgang mit Pferden entscheidend verändert hat: Die Kunst der Reitervölker in der modernen Welt wiederzubeleben, ist seitdem ihre Mission. Ihr Ziel: Die absolute Harmonie zwischen Menschen und Pferd.
„Fühlen und eine gute Raumwahrnehmung sind die Voraussetzung für Natural Horseback Archery.“
Würde man es nicht mit eigenen Augen sehen, man würde es nicht glauben: Mit entschlossenem Blick und in vollem Galopp prescht Pettra übers offene Feld, freihändig, mit Pfeil und Bogen, und trifft aus 100 Metern Entfernung ins Schwarze der Zielscheibe. Niemand macht ihr das nach – auch keine Männer, gegen die sie oft angetreten ist. Pettra Engeländer ist die unangefochtene „Weltmeisterin im Natural Horseback Archery“, dem authentischen Bogenschießen vom Pferd. Wie sie das geschafft hat? „Mit der Erfahrung meines ganzen bisherigen Lebens,“ antwortet sie ohne zu Zögern.
„Mein Pferd spürt, wie schnell es laufen muss, damit ich beim Bogenschießen treffen kann.“
Bereits im Alter von zwölf begann die Jägerstochter mit ungarischen Wurzeln mit dem berittenen Bogenschießen. Sie ist ausgebildete Tänzerin, war Performance-Künstlerin und Choreographin. 2010 begann sie, mit verschiedenen Kampfkunstmeistern zu trainieren, brachte diese Menschen ohne Pferdeerfahrung mit Pferden zusammen: „Ich spürte, dass bei ihnen eine Körper- und Raumwahrnehmung vorhanden war, die es ihnen vereinfachte, eine authentische und natürliche Kommunikation mit den Tieren aufzubauen.“ Ihre Vermutungen, dass die Bewegungskoordination und die Zentrierung eines Körpers ein essenzieller Punkt in der Kommunikation zwischen Mensch und Pferd ist, wurden bestätigt. Horse Aikido, erklärt uns die Großmeisterin, verbinde das Wissen, die Philosophie und Spiritualität der asiatischen Kampfkünste mit der Reitkunst. Hier liegt der Schlüssel ihres Erfolges im Natural Horseback Archery, der „Königsdisziplin der Kampfkünste“, die sie als Leistungssport 1999 in Deutschland und anderen europäischen Ländern begründet hat.
„Mein Pferd spürt, wie schnell es laufen muss, damit ich beim Bogenschießen treffen kann.“ Kann das sein? Ja, sagt Pettra. Möglich mache das eine ehrliche Kommunikation zwischen Reiterin und Pferd, die in der Schule des Horse Aikido vermittelt wird – eine Schule, die nur wenige Menschen weltweit ausüben: „Grundlage ist nicht Machtausübung, sondern die Freundschaft zwischen Mensch und Tier auf Augenhöhe. Wenn ich auf einem Pferd ohne Zügel im freien Gelände galoppiere, brauche ich eine besondere Verbindung. Sonst könnte ich das Pferd nicht lenken.“
In ihren Seminaren bringt Pettra den modernen Pferdemenschen das Bewusstsein der alten Reitervölker näher: „Im Fokus steht das gleichberechtigte Miteinander von allen Lebewesen. Erst der moderne Mensch hat sich über das Tier gestellt. Bei den Reitervölkern sind Menschen, Tiere, Pflanzen nicht getrennt. Der Baum, das Pferd, die Biene, der Mensch – alles ist verbunden, hat das gleiche Bewusstsein, die gleiche Intelligenz und Existenz. Nomaden-Kinder kümmern sich von klein auf um die Tierkinder, ob Pferd, Hund, Katze oder Ziege, so entsteht eine natürliche Verbindung. Die Nomaden verstehen sich als Hüter der Tiere.“
„Bei mir reiten Kinder wie in der Mongolei. Hier geht es nicht um das Funktionieren des Pferdes, sondern um das gleichwertige Miteinander aller Lebewesen.“
Ihre Augen leuchten, wenn sie von ihrer unschätzbaren Erfahrung erzählt: „Das erste, was junge Pferde dort zwei Jahre lang erleben, sind Kinder, die mit ihnen spielen – inmitten der Natur. Die Kinder reiten ohne Sattel und gebisslos, und sie reiten junge Hengste – etwas, was bei uns ja verpönt ist.“ Pettra Engeländer macht eine Pause und sagt nachdenklich: „Der Gegensatz zum Horsemanship, wo Pferde dominiert und dazu gebracht werden, zu gehorchen, könnte nicht größer sein. In der Mongolei konnte ich erleben, dass nicht das Dressieren von Bewegungsabläufen, sondern das gemeinsame Leben die Verbindung zwischen Mensch und Pferd herstellt.“ Die moderne Reiterei, glaubt Engeländer, verhindere durch sportlichen Ehrgeiz und das „Dressieren auf Teufel komm raus“, durch Sättel und Gebiss die natürliche Verbundenheit zwischen Mensch und Tier. „Man setzt sich drauf und das Pferd soll machen, was der Reiter will. Das ist keine Kommunikation mit dem Tier, das ist typisch Mensch,“ sagt sie kopfschüttelnd. Und geht noch weiter: „Der Sattel ist das eigentliche Problem. Die Menschen halten sich daran fest, dadurch verlieren sie die natürliche Balance. Ohne Sattel ist man aber in direktem Kontakt mit dem Pferd, die Kommunikation ist fließender, auch für Reitanfänger. Bei uns lernt man als erstes, das Pferd zu fühlen. Dieses Fühlen und eine gute Raumwahrnehmung sind die Voraussetzung für Natural Horseback Archery. Jeder, der eine gute und ehrliche Verbindung zum Pferd hat, kann es also lernen.“
In unserer modernen Welt ist ein solch geradezu romantisches Zusammenleben mit Pferden wohl kaum möglich, oder? „Bei mir schon!“ widerspricht Pettra. „Hier reiten Kinder wie in der Mongolei. Hier geht es nicht um das Funktionieren des Pferdes, sondern um das gleichwertige Miteinander aller Lebewesen. Sobald Kinder ankommen, die ewig bespaßt werden und wenig soziale Empathie zeigen, machen meine Pferde nicht mit. Oft werden Kinder dann sauer, treten, oder werden böse mit dem Tier. Wenn sie dann lernen, ihre Körper einzusetzen, so wie das Pferd ja auch mit seinem Körper kommuniziert, erleben sie wunderbare Momente der Verbundenheit.“
„Die Kinder reiten ohne Sattel und gebisslos, und sie reiten junge Hengste – etwas, was bei uns ja verpönt ist.“
Für den Einsteigerkurs, so Pettra, seien keine Vorkenntnisse erforderlich: Beim Horse Aikido geht es darum, wie beim Aikido, vorhandene Energie zu leiten und zu wandeln. Wie in einer Kampfkunstschule lernt man, mit sich selbst klarzukommen, mit allem was da ist: Angst, Zorn, Freude, was auch immer. Aus Sicht der Kampfkunst mit Pferden umzugehen, ist einzigartig und wird nur von etwa 50 Menschen weltweit praktiziert. Pettra Engeländers großes Ziel ist es, die Pferdewelt vom natürlichen Umgang mit Pferden zu überzeugen. Ohne Zwang, ohne Horsemanship, Sattel und Gebiss, betont aber: „Die Dressur an sich ist etwas Wunderbares, und ich arbeite auch mit einem Bereiter der Wiener Hofreitschule zusammen. Als Tänzerin sehe ich manche Pferde als Tänzer, die sich zeigen wollen, was in der Antike der Ursprung der Dressur war und für die Ausbildung der Pferde im Kampf benutzt wurde.“
„Aus Sicht der Kampfkunst mit Pferden umzugehen, ist einzigartig und wird nur von etwa 50 Menschen weltweit praktiziert.“
Pettra zwinkert: „Ich bin ja großer Star Wars Fan., wo es Gut und Böse gibt. Und wir sind sozusagen die Jedi-Ritter. Jeder Pferdemensch, der sich berufen fühlt, das Gute aufrecht zu erhalten, ist bei uns gut aufgehoben.“ Die mongolische Botschaft hat sie schon überzeugt: Sobald sie deren Förderung erhalten hat, will Pettra ein kleines Jurten- Camp auf ihrem Hof errichten. Darin können die Reitschüler wie die mongolischen Nomaden leben und übernachten. Mit den Pferden drumherum.
www.horsebackarchery.com
„Stallgeflüster“ / K. Pohl