Kaltblüter haben einen schlechten Ruf: „Die fressen zu viel und machen alles kaputt“
„Kaltblüter haben ein paar Gehirnwindungen mehr“, konstatiert Joachim Müller, seit 22 Jahren Kaltblutzüchter bei Gießen. Rund dreizehn Rheinisch Deutsche ‚Schwergewichte‘ bevölkern den Pappelhof in Hüttenberg, dazu Ponys und weniger schwere Pferde, u.a. auch einige sogenannte Sportpferde, d.h. Warmblüter und sogar Araber.
„Wir halten die Pferde zwar in geschlechtlich getrennten Herden, aber nicht nach Rassen getrennt. Probleme hatten wir noch nie. Allerdings stellten wir fest, dass sich auf den Weiden von wenigen Ausnahmen abgesehen, die Warmblüter immer zu den Warmblütern gesellten, die Ponys zu den Ponys und die Kaltblüter zu den anderen Kalten. Pferde scheinen Rassisten zu sein.“
Doch während Pferde sich lediglich in der Gruppe völlig stressfrei lieber friedlich zu ihren Rassegenossen gesellen, sind Besitzer und häufig auch Stallbetreiber nicht ganz so entspannt: „Wie, ihr wollt ein Kaltblut zu unseren Sportpferden auf die Koppel stellen? Auf gar keinen Fall!“ Da kann der nichts böses ahnende Kaltblutbesitzer sein blaues Wunder erleben. Von Ausgrenzung im Stall über verbale Attacken bis hin zu Unterschriftensammlungen – das Spektrum der Aktionen von Sportpferdebesitzern gegen Kaltblut-Reiter ist breit.
Doch warum das Ganze? ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm fragte dazu in einigen Facebook-Gruppen nach und erfuhr, dass es nur wenige Kaltblut-Besitzer zu geben scheint, die noch keine Probleme hatten, eine Box zu mieten oder ihre Pferde in eine Nicht-Kaltblut-Herde zu stellen.
„Wir wurden sowohl abgewiesen weil Kaltblut. Dann durften wir 20 bis 35 € mehr im Monat zahlen. Auch normale Serviceleistungen mussten wir selbst machen, da das Stallpersonal Angst hatte (z.B auf Koppel bringen).
Gründe wurden uns genannt:
– sie fressen so viel
– sie machen so viel Mist
– die anderen Einsteller haben Angst um ihre Pferde
– Kaltis sind gefährlich
– sie demolieren alles
– sie brauchen so viel Platz
– sie demolieren den Boden auf Paddock und Weide
– wir haben Angst
– sie rennen alles und jeden über den Haufen
Also voll die Monster, was leider immer wieder durch komplett unerzogene Exemplare den Leuten bestätigt wird…“
„Ja, Kaltblüter sind anders als Warmblüter“, bestätigt uns auch Joachim Müller. „Allerdings ist ein erzogenes und vernünftig gearbeitetes Kaltblut im Handling genauso brav wie ein Warmblut. Dennoch, eine aus Paletten und Sperrholz gebaute Box ist sicher kein Platz für die ‚Dicken‘. Anders als ein Warmblut möchten sie sich auch mal jucken. Und, ja, dazu fällt ihnen eine Menge ein. Das kann die Tränke sein, die dazu genutzt wird, oder eine Boxenwand. Da ist es dann tatsächlich so, dass der Klügere nachgibt – und das ist dann schon mal die Wand oder dieTränke.“
„Hinzu kommt bei den Kalten ihre angeborene Intelligenz und Neugier. Ein Warmblut, das nicht ausgelastet ist, ‚befreit‘ sich durch buckeln, rennen etc. Ein Kaltblut muss das nicht so dringend haben, das entwickelt in seiner Langeweile dann eher eigene Ideen von dem, was man machen und sich mal anschauen könnte. Da wird dann solange gespielt, bis die automatische Futteranlage nachgibt oder man beobachtet, wie sich Türen bei bestimmten Pferden öffnen, wenn sie davor stehen – hier ist dann Geschwindigkeit und Kraft gefragt. Pech nur, dass der Platz hinter der Tür durch die man mit hindurch geschlüpft ist, bloß für ein Pferd reicht.“
Ja, Kaltblutpferde haben eine andere Mentalität als Warmblüter. Meist sind sie deutlich gelassener als diese und sie lernen schnell. Das heißt aber nicht, dass sie lediglich das Gewünschte lernen – sie lernen auch genauso schnell Dinge, die Menschen so gar nicht schätzen. Und das verursacht eine Menge Vorurteile.
Gleichzeitig ist es eben diese Lernfreude, die Ausgeglichenheit, die Ruhe und die absolute Ehrlichkeit und Arbeitsfreude, die uns Kaltblut-Besitzer täglich aufs Neue fasziniert und uns zu ihren Fans werden lässt – wenn sie denn eine ihnen angemessene Erziehung genossen haben.
„Stallgeflüster“ / E. Appenrodt