Zuverlässige Partner für Freizeit und Sport: Die weißen Pferde der Camargue
Bereits in der Juni/Juli-Ausgabe 2020 stellte ‚Stallgeflüster‘ diese besondere Pferderasse ausführlich vor.Man trifft die ‚weißen Pferde‘ in Deutschland nicht allzu häufig – es sei denn, man ist Working-Equitation-Fan oder beschäftigt sich mit Mountain Games. Denn überall da, wo es im Sport auf Geschicklichkeit, Wendigkeit und Tempo ankommt, finden sich Camargue-Pferde auf den vorderen Plätzen.
Die Besonderheit dieser Tiere liegt nicht nur in ihrer Rasse begründet, sondern auch in ihrer Aufzucht. Ebenso, wie in Frankreich in den weiten Salzwiesen und Sümpfen der Camargue, werden die Pferde auch hier in Deutschland im Herdenverband gehalten, gedeckt und geboren. Da man diese Tiere in Deutschland als „Otto-Normal-Reiter“ eher selten trifft oder leicht mit ihren Brüdern und Schwestern aus Portugal und Spanien verwechselt, beschloss ‚Stallgeflüster‘ sich selbst vor Ort ein Bild von einem Camargue-Gestüt zu machen und besuchte Raphaela Rohm in Wesel.
Rohm ist seit mehr als zwanzig Jahren vom ‚Camargue-Virus‘ besessen und hat eine kleine, aber feine Zucht auf ihrem direkt an der Issel gelegenen Gestüt aufgebaut. Ein wenig diffizil ist die Anfahrt an die Issel auf der Gestüts-Seite schon. Zwar hatte uns Raphaela bereits am Telefon gesagt, dass die Brücke, die man am Gestüt überqueren muss, um es zu erreichen, seit einem Jahr wegen einer Überschwemmung nicht mehr existiert und uns auch den alternativen Weg über eine andere Brücke beschrieben. Doch alle guten Hinweise helfen manchmal nicht, wenn der Fahrer seinem elektronischen Wegweiser zu sehr glaubt…
Nachdem wir schließlich das Flüsschen Issel glücklich überquert hatten, standen wir auch prompt vor dem Gestüt. Ein alter, liebevoll hergerichteter traditioneller westfälischer Bauernhof ist es, der jetzt die weißen Pferde beherbergt. Bereits bei der Ankunft ist nicht zu übersehen, wo wir sind. Die Türen und Tore sind sorgfältig verschlossen und dennoch fühlen wir uns nicht ausgeschlossen, denn hinter den Gittern begrüßt uns schon mit freudigem Gebell ein Rudel Hunde.
Ein weiterer Hund kommt aus der Haustür zum Vorschein und sagt uns noch vor seiner Chefin ‚Guten Tag‘ – sehr vornehm und zurückhaltend, ein Collie älteren Semesters, der sich mit dem ‚jungen Gemüse‘ auf dem Grundstück nicht mehr so wirklich abgeben will.
Schließlich kommt auch die Hausherrin zum Zug, kann uns begrüßen und den älteren Herrn genauer vorstellen. Raphaela ist ein wenig müde und verschnupft – sie hatte eine Nachtwache im Stall. Dann geht’s direkt durch den großen Aufenthalts- und Besprechungsraum nach draußen zu den Pferden. Doch halt, nicht ohne, dass wir die acht Hunde auf dem Hof erst einmal ausführlich begrüßen müssen. Denn die haben schon gewartet, dass sie endlich ihre Streicheleinheiten bekommen, freuen sich riesig über Besuch und nutzen die Abwechslung gleich mal für ein paar ausgelassene Spielchen.
Doch dann entlässt uns die Meute gutmütig zu unserem eigentlichen Anliegen, den Pferden. Zunächst stellt uns Raphaela ihren Juoal vor, der in der vergangenen Nacht ein wenig Kolik-Anzeichen hatte und deshalb heute in der Box steht. Freudig begrüßt auch er uns, untersucht die fremden Menschen aufs genaueste und lässt sich gern bewundern. Ein hübsches Pferd, und dass er seinen eigenen Charakter hat, bleibt nicht verborgen. „Wir haben ihn für meinen Sohn gekauft. Der fällt nämlich gerne mal vom Pferd und da brauchten wir einen zuverlässigen Aufpasser“, erzählt sie uns. „Ich selbst hatte für mich Jouvas gekauft, ein Traum von einem Pferd.“ Auch ihn lernen wir gleich kennen – und glauben kaum, dass beide Hengste tatsächlich schon 25 Jahre alt sein sollen. Erst recht nicht dann, als Juoal aus seiner Boxenruhe entlassen wird und endlich seinen Pflichten draußen auf der Koppel beim Nachwuchs nachkommen darf. „Wir halten unsere Pferde immer in kleinen Herden, da lernen die Kleinen von den Großen. Sie spielen auch einmal zusammen, aber trotzdem zeigen die Älteren, wie Jouvas oder Joual den Kleinen, was richtig ist, oder falsch. Ich denke, es ist wichtig, dass die Pferde im Sozialverband der Herde ihr Benehmen lernen.“
Im Sozialverband leben auch die Stuten. Sie haben im Winter einen großen Laufstall, der zur Koppel hin offen ist. Im Stall treffen wir zunächst nur auf eine von ihnen – das dauert aber nicht lange. Kaum haben wir versucht, sie kennen zu lernen, kommt im Eiltempo auch schon die nächste, um zu sehen, was es interessantes Neues gibt. Schließlich haben sich sechs oder sieben Stuten in der Box versammelt und schauen sich höchst interessiert die Menschen da draußen an, lassen sich auch mal gnädig streicheln, nachdem sie sie einer ausgiebigen Nasenprüfung unterzogen und die fremden Zweibeiner als ‚akzeptabel‘ eingestuft haben.
‚Wie die Alten sungen, so pfeifen auch die Jungen‘, stellen wir fest, als wir uns die Fohlen anschauen. ‚Menschen, toll‘, so möchte man die Pferde-Sprache übersetzen. Denn auch die Kleinen kommen sofort und das Schnupper-Streichel-Prozedere nimmt erneut seinen Lauf. Während dessen spielen die Hunde weiterhin ausgelassen auf den Koppeln, einer der beiden Setter apportiert ein Handtuch, das Raphaela schließlich und endlich aus dem Schlamm zieht – weder die Pferde noch die Hunde stören sich aneinander.
Zum Abschluss unseres Rundgangs dürfen wir noch einem ausgesprochen hohen Herrn ‚Guten Tag‘ wünschen. Er steht hoheitlich auf der Koppel und beobachtet ‚seine‘ Stutenherde, der er sich souverän in absoluter Schönheit präsentiert. Wir lenken ihn zwar ab, aber auch zu uns kommt er gelassen, sich seiner Schönheit voll bewusst, um ein wenig herablassend unsere Komplimente und Streicheleinheiten entgegen zu nehmen: Einer von Raphaela Rohms fünf Deckhengsten.
„Unsere Pferde haben Charakter“, erzählt Raphaela im Anschluss an unseren Rundgang im dem liebevoll eingerichteten Besprechungsraum bei einer heißen Tasse Tee. „Mit Gewalt kann man bei einem Camargue-Pferd nicht viel erreichen, dafür aber mit Einfühlungsvermögen und Verständnis. Bringt man ihnen das entgegen, sind sie die zuverlässigsten Partner überhaupt. Das beste Beispiel dafür sind die Erfolge, die Anna Liemann, unsere Mitarbeiterin, im vergangenen Jahr bei der Wintermühlen Trophy in der Working Equitation Klasse M erreicht hat: Mit unserem Hengst Uranus belegte sie Platz vier und mit Ulfano Platz fünf. Sie reitet mit Gefühl, kennt die Pferde in und auswendig. Sie fordert, aber sie überfordert sie nicht. Von einem Camargue Pferd wird in seiner Heimat, Südfrankreich, selbständiges Arbeiten gefordert. Und das tun diese Pferde.“
„Generell wirken und sind unsere Pferde sehr gelassen. Allerdings: Wenn es ums Ganze geht, dann sind sie sofort da. Und das mit vollem Herzen und Einsatz. Selbst meine alten Herren werden, wenn’s um die Arbeit geht, gerne noch mal richtig lustig“, berichtet die Züchterin aus Erfahrung bei ihren Einsätzen bei Shows und Messen in Deutschland und Holland. Ob es solche in diesem Jahr noch geben wird weiß sie nicht – die derzeitige Lage spricht nicht dafür. Dennoch fehlen sie Raphaela nicht allzu sehr. „Ich liebe es, draußen auf der Koppel inmitten meiner Pferde zu sitzen und die Ruhe und Gelassenheit, die sie verströmen, zu genießen.“
„Stallgeflüster“ / E. Stamm