Friedenstreck und Völkerverständigung: Mit Pferden nach Jerusalem
Mit dem Pferd nach Israel? Das klingt nach einer ziemlichen Schnaps-Idee.
Und doch, am 8. Oktober 2025 soll die Aktion tatsächlich starten. Wer die Geschichte Kennt und die Vorbereitungen beobachtet, der ist sich sicher: Der Treck nach Jerusalem wird sich in Bewegung setzen.
Die Zutaten zu solch einer Idee und einem Vorhaben: Ein engagierter Pfarrer, eine Glocke, Friedensbrot und einer Anzahl von Frauen und Männern, die so etwas ähnliches schon gemacht haben – wenn auch noch nicht ganz so weit.
‚Stallgeflüster‘ sprach mit Pfarrer Helmut Kautz, dem ‚Erfinder‘ des Friedenstrecks. Ab 2012 war Kautz Pfarrer in Brück, einem kleinen Städtchen in Brandenburg, südlich von Potsdam. Wer Kaltblutpferde liebt, dem ist der Name bekannt, denn Brück ist für diese Menschen nahezu gleichbedeutend wie Aachen für die Warmblutfans. ‚Titanen der Rennbahn‘ ist ein seit Jahren feststehender Termin für Kaltblutliebhaber, die dann die kleine Stadt erobern.
Doch Brück ist nicht nur die Kaltbluthochburg schlechthin, sondern hat auch eine ganz besondere Geschichte, die im Grunde die Idee entstehen ließ. Der Name Brück wird in Verbindung gebracht mit der flämischen Stadt Brügge. Und das nicht umsonst, denn die Siedlungspolitik der askanischen Markgrafen hatte viele Flamen in das Gebiet rund um Brügge gebracht. Dementsprechend erhielt das gesamte Gebiet, in dem die flämischen Dörfer beheimatet waren, in der ersten Hälfte des 19. Jh. den Namen Fläming.
Doch genug der Geschichte, zurück zur Idee des Trecks. Im Jahr 2009 feierte das Städtchen Brück sein 850jähriges Bestehen. Um die Erinnerung an die Entstehungsgeschichte wieder aufleben zu lassen, hatte der Kaltblut Zucht- und Sport-Verein die Idee den Treck von Brügge nach Brück noch einmal Wirklichkeit werden zu lassen. Unterstützt durch das Land Brandenburg fuhren also die Vereinsmitglieder den rund 800 Kilometer weiten Weg von Brügge nach Brück. Helmut Kautz, damals noch Pastor, war mit dabei.
Wieder zurück in Brück stellte man fest: Einige der Flamen waren gar nicht in Brandenburg geblieben, sondern entlang der alten Hellweg-Handelsroute weiter gezogen bis nach Weliki Nowgorod in Russland. Den ‚Titanen on Tour‘ kam der Gedanke, einen Treck zur Völkerverständigung in den Fußstapfen der Flamen zu organisieren. So startete am 18. Juli 2018 die erste Friedenstour mit einem Planwagen-Treck von Brück und Berlin über Polen, Kaliningrad, Litauen, Lettland, Estland nach Weliki Nowgorod bei St. Petersburg in Russland. Mehr als zwei Monate brauchten die acht Planwagen, vierzehn Pferde und zwei Mulis. Insgesamt legten sie 2.300 Kilometer zurück. Mit dabei: Eine eigens für die Tour gegossene Friedensglocke, die an jeder der 70 Stationen geläutet wurde.
Wie die Glocke auf das Fuhrwerk kam
„Glocken gelten als das Sinnbild der Harmonie. Man schreibt ihnen die Fähigkeit zu, durch ihr Geläut Himmel und Erde miteinander zu verbinden und vor bösen Geistern zu beschützen“, so kann man es in diversen Lexika nachlesen. Im Christentum ruft sie die Gläubigen zum Gebet, diente den Mönchen zur Gliederung ihrer Tage.
„Doch wie kommt man auf den Gedanken, eine Glocke auf einem Pferdewagen durch das Land zu fahren?“, fragt ‚Stallgeflüster‘ den Mit-Urheber dieser außergewöhnlichen Aktion, Pfarrer Kautz. Auch dies ist eine ungewöhnliche Geschichte, die zu erzählen sich lohnt.
„Die Sache mit der Glocke“, so Kautz, „ist eine spezielle Brücker Geschichte. Die Kirche dort hat nämlich die viert-älteste datierte Glocke Deutschlands. In den 70er Jahren wollte man alles modernisieren, also auch in der Kirche. Um die Glocke elektrisch läuten zu können, sägte man ihr damals, ohne groß nachzudenken, einfach die Krone ab. Um diese ‚Sünde‘ wieder gut zu machen, beschlossen wir 2011 diese Krone wieder anzuschweißen, damit die Glocke ihre alte Schönheit zurückerhält. Doch wenn eine Glocke erst einmal wieder auf dem Kirchturm hängt kann niemand sie sehen. Aber wir wollten sie gerne den Leuten zeigen. Und so kam uns die Idee, sie bei der Veranstaltung ‚Titanen der Rennbahn‘ auf einem Pferdewagen zu zeigen. Wir haben extra einen Glockenstuhl für den Pferdewagen gebaut und sie dann durch die Stadt gefahren, so dass jeder sie sehen konnte, bevor sie wieder auf dem Kirchturm verschwand.“ Ein wenig stolz ist der Pfarrer denn doch, denn mit dieser Fahrt feierte er gleichzeitig seine Amtseinführung.
Mit den Glocken hat es Kautz. Im Jahr 2011 grub man auf der Rennbahn ein Loch und goss eine weitere Glocke. Ihr Name: ‚Jesus ruft‘. So lag der Gedanke, eine Friedensglocke mit auf den Weg nach Russland zu nehmen, nicht allzu fern. Denn schließlich sollte die Fahrt der Völkerverständigung dienen.
Die dritte Zutat auf dem Treck: Das Friedensbrot
„Ein Zufall war es“, berichtet Kautz. „Auf der Berliner Woche trafen wir den Bäckermeister Karl-Dietmar Plentz, der sich für diese Friedensmission begeisterte und anbot, ein Friedensbrot zu backen. So kam es denn, dass Plentz einen Teil der Tour auf einem Pferdewagen mit Backofen teilnahm und für die Verpflegung sorgte und Brot verteilte.
„Dieser Russland-Treck hat uns alle viel gelehrt. Wir wurden mit unglaublicher Gastfreundschaft empfangen und bewirtet. Ich selbst traf eine alte Frau, die uns mit den Worten begrüßte: ‚Endlich seid ihr da. Das letzte Mal, als Deutsche hier waren, haben sie mein Haus zerstört und uns nichts übriggelassen.‘ Ich traf auch einen russischen Popen, der mich kurzerhand auf sein Moped mitnahm und mir seine Kirche zeigte. Dabei erklärte er mir, dass hier noch einige tote deutsche Soldaten liegen, die kein christliches Begräbnis hatten – ein Gedanke, der ihm sichtlich Sorgen bereitete“, berichtet Kautz von der Reise.
Doch den endgültigen Ausschlag für die Idee des Jerusalem-Trecks gab wohl die Aussage der Kulturbeauftragten der Stadt Weliki Nowgorod, die 1943 von Deutschen Truppen bis auf 60 Häuser völlig zerstört wurde. Sie sagte bei der Übergabe der Glocke am dortigen Kreml: „Pferde bringen den Frieden.“
„Unser Treck ist Volksdiplomatie. Wir fahren los und treffen Menschen, reden und feiern mit ihnen, so wie es gerade kommt. Das trägt den Versöhnungsgedanken weiter“, zieht Kautz Bilanz aus der Reise. „Mir wurde damals sofort klar, dass der Treck bis nach Jerusalem fahren muss. Leider wollte der Kaltblut Zucht- und Sport-Verein mit ‚Titanen der Rennbahn‘ an einer solchen weiteren Aktion nicht teilnehmen. Deshalb haben wir inzwischen einen weiteren Verein gegründet, den Verein ‚Friedensglocken e.V.‘“. Teilnehmer für die Jerusalem-Reise haben sich bereits gemeldet – sie trainieren sich und ihre Pferde jährlich auf zwei- bis dreiwöchigen Trecks. So z.B. in diesem Jahr auf dem Weg von Altenburg in Ostthüringen nach Ostwestfalen.
Immer dabei: Die – inzwischen für Jerusalem – neu gegossene Friedensglocke. Anders als früher, wo man in Kriegszeiten Glocken zur Herstellung von Waffen nutzte, wurde dieses Mal Kriegsschrott genutzt, um die Friedensglocke für Jerusalem herzustellen.
„Wir wissen, dass das ein schwieriger Treck durch viele Länder werden wird. Überall brauchen wir Unterstützung, Übernachtungsmöglichkeiten, Verpflegung für uns und die Pferde. Zu bieten haben wir nicht viel: Nur die Pferde, die Glocke und das Brot.“
„Stallgeflüster“ / E. Appenrodt