Sehen und gesehen werden
So könnte man getrost einen wesentlichen Teil des Dienstes bei der Polizei-Reiterstaffel Hannover beschreiben.
„Pferde haben eine andere Präsenz als ein Fahrrad oder Auto. Sie sind Sympathieträger. Wir werden auf unseren Streifen regelmäßig angesprochen und haben permanent direkten Kontakt zu den Leuten“, sagt Martin Koopmann, Leiter der Polizeireiterstaffel Hannover.
‚Stallgeflüster‘ hat ihn erneut um ein Gespräch gebeten, um ein wenig mehr aus dem Alltag eines berittenen Polizisten zu erfahren. Schließlich gehört diese Berufsgruppe zu den wenigen Menschen, für die das Pferd noch ein wesentlicher Faktor bei der Ausübung des Berufs ist.
„Regelmäßig jeden Morgen nach der Stallarbeit werden bei uns die Pferde gesattelt und dann geht’s auf Streife“, berichtet der Polizeihauptkommissar über den Tagesablauf eines berittenen Polizisten. „Zwar gibt es für die Arbeiten im Stall auch Pferdepflegerinnen, aber wenn alle anfassen, ist es einfacher.“ Die Stadt Hannover hat viele weitläufige Grünflächen und den größten Stadtwald Europas, die Eilenriede, aber auch im Stadtverkehr sind die ‚Berittenen‘ unterwegs. Das Ziel der Streifen sind meist Brennpunkte, wo es vermehrt zu Einbrüchen, Drogen- oder anderen Delikten kommt. „Die Dauer eines solchen Ritts ist unterschiedlich“, erzählt Koopmann. „Zwei bis sechs Stunden sind die übliche Zeit, sie variiert je nachdem, ob der Beamte eventuell noch ein weiteres Pferd reiten muss. Außerdem ist nach dem Reiten auch noch die übliche Büroarbeit angesagt. Am Ende des Tages putzen die Beamten ‚ihre‘ Pferde noch und bringen sie wieder in die Box – dann ist der Routine-Arbeitstag beendet.“
Natürlich gibt es für das Team neben dem Alltagsgeschäft noch weitere Aufgaben. Dazu gehören beispielsweise Abordnungen in spezielle Gebiete wie das Naturschutzgebiet in der Lüneburger Heide rund um Wilsede und auch das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue. Dort sind die abgeordneten Beamten dann für einen längeren Zeitraum mit ihren Pferden unterwegs, um die Rechte der Natur zu schützen. „Wenn man mit einem Pferd im Schritt im Gelände unterwegs ist, kann man ein relativ großes Gebiet hervorragend und vor allem gründlich beobachten. Das wäre mit einem Auto oder Fahrrad gar nicht möglich, denn die bieten nicht den Überblick, den wir vom Pferderücken aus haben.“
Doch nicht nur ‚gemütliche‘ Ritte in der Lüneburger Heide sind Bestandteil der Polizei-Arbeit mit Pferd. Auch viele große Festivals, wie beispielsweise das Hurricane-Festival in Scheeßel, das sich über fünf Tage erstreckt und zu dem 2017 rund 78.000 Besucher kamen, gehören in ihren Aufgabenbereich. „Wir kommen dort mit unseren Pferden inmitten der Zelte und Parkplätze hervorragend klar, sind weithin sichtbar und überaus wendig. So können wir in vielen Fällen den Besuchern bei der Orientierung helfen, Hilfskräfte koordinieren und auch dort, wo Hilfe benötigt wird, vor Ort sein. Immer wieder werden wir angesprochen – und es ist wirklich beeindruckend, wieviel Sympathie uns entgegengebracht wird“, berichtet Koopmann, dem man im Gespräch die Freude an seinem Beruf anmerkt. Generell scheinen Pferde bei Großveranstaltungen die geeigneten Partner bzw. Fortbewegungsmittel für die Ordnungshüter zu sein. Denn auch bei Fußballspielen, bei denen es Fan-Gruppen mit einem gewissen Konflikt-Potenzial gibt, sind sie an vorderster Front dabei. Zu ihren Aufgaben gehört das rasche Erkennen von Konfliktsituationen, diese möglichst schnell zu entschärfen, das Abschirmen, Trennen oder Lenken von Personen-Gruppen. „Mit dem Pferd ist man sehr wendig und kann schnell auch einmal größere Distanzen überwinden. Das ist für unsere nicht berittenen Kollegen teilweise eine äußerst hilfreiche Unterstützung, die sie sehr zu schätzen wissen. Und bei der Aufzählung unserer Aufgaben dürfen wir auch nicht Fahndungseinsätze zu Pferd vergessen. Uns ist es möglich, größere Geländeflächen relativ rasch zu durchsuchen. Wir haben einen besseren Überblick und können Hindernisse überwinden, die mit dem Auto oder auch zu Fuß so nicht zu bewältigen sind.“
Gute reiterliche Handwerker gefragt
„Reiten ist ein toller Sport. Man hat viele Möglichkeiten, kann springen, Dressurreiten, klassisch Barock, Gelände und vieles mehr. ‚Höher, schneller, weiter, feiner und noch elektrischer‘ darauf hat die Sport-Pferdezucht hingearbeitet. Doch das alles brauchen wir bei der Polizei gar nicht. Wir brauchen keine ‚Sport-Asse‘, sondern alltagstaugliche Gebrauchspferde, gesund, mit einer guten Portion Neugier und ausgeglichenem Temperament. Denn Polizeireiter sind keine Sport-Cracks sondern gehören zu den Gebrauchsreitern.
Da drängt sich doch die Frage auf: „Wie kommt man eigentlich zur Polizeireiterstaffel?“ Denn, für manchen Pferde-Fan hat ein solcher Beruf mit Sicherheit eine gewisse Anziehungskraft. Das schminkt uns Martin Koopmann allerdings sofort ab. „Der Beruf, den man wählt, ist Polizist, nicht Polizeireiter. Und jeder, der zur Polizei gehen will, muss den in den einzelnen Bundesländern etwas unterschiedlichen Ausbildungsweg durchlaufen.“ In Niedersachsen muss derjenige, der sich für den gehobenen Dienst bewirbt, zunächst ein dreijähriges Studium absolvieren. Im Anschluss geht es in der Regel in den polizeilichen Einzeldienst (Streife) und/oder eine gewisse Dienstdauer bei der Bereitschaftspolizei. Erst danach kann man sich bei speziellen Dienststellen melden bzw. bewerben.
Allerdings heißt eine solche Bewerbung noch längst nicht, dass man auch den ‚Job‘ bekommt. In der Reiterstaffel Hannover wird beispielsweise eine Hospitanz für fertig ausgebildete Kollegen angeboten. „Der Bewerber kommt aufs Pferd, ganz gleich, ob er über Vorkenntnisse im Reiten verfügt oder nicht“, berichtet Koopmann. „Dann wird eine Prognose erstellt. Denn Reiten ist eine Koordinationsaufgabe, die nicht jeder Mensch gleich gut lösen kann“, meint der Leiter des Reiterzuges.
Wer in Hospitanz und Prognose gut bestanden hat und in der Staffel aufgenommen wird, muss jetzt noch einmal für ein halbes bis ein Jahr lernen. Zur Ausbildung gehören selbstverständlich das Dressurreiten und das Springen. „Bei letzterem geht es bei uns jedoch nicht darum möglichst hoch zu springen, sondern um den Mut und Willen des Reiters ein Hindernis, meist ein festes, zu überwinden. Auch bei der Dressurreiterei geht es nicht um eine möglichst hohe Klasse sondern um die Sicherheit in der Beherrschung des Pferdes. Unsere Reiter haben meist A-Niveau.“ Neben der praktischen Ausbildung wird natürlich Theorie gelernt, so wie jeder Reiter das muss. Zusätzlich lernen die jungen Beamten das Longieren und müssen auch Grundkenntnisse in der Schmiede erwerben. Dann erfolgt eine Prüfung, in allen Bereichen, bei denen der Beamte nachweisen muss, dass er ein „selbständig denkender und handelnder Reiter ist, der sein Pferd gut und sicher zu führen weiß.“
Polizeipferde fallen nicht vom Himmel
Jedes Mitglied der Reiterstaffel hat ein ihm zugewiesenes festes Dienstpferd. Das allerdings kann von Zeit zu Zeit wechseln. Denn auch bei der Polizei gilt die alte bewährte Reiterregel: Erfahrenes Pferd für jungen Reiter, erfahrener Reiter für junges Pferd. So erhalten die ‚Neuankömmlinge‘ im Team eben ein zuverlässiges, diensterfahrenes Pferd, während die ‚älteren‘ sich oftmals der Ausbildung des vierbeinigen Nachwuchses widmen müssen. Denn ‚echtes‘ Polizeipferd zu werden, ist auch nicht ganz leicht.
Bevor ein Pferd den Weg zur näheren in Augenscheinnahme bei der Polizei findet, gibt es Auswahlkriterien, die zu erfüllen sind. Zunächst einmal spielt das Geschlecht eine Rolle. Es muss ein Wallach sein, Stuten würden Unruhe stiften. Das Alter sollte idealerweise zwischen vier und sechs Jahren liegen, das Stockmaß bei einer Mindestgröße von 1,65 m. Das Temperament sollte ruhig und entspannt sein, vor allem im Umgang mit neuen Dingen. Besonderer Wert wird auf die Qualität der Hufe gelegt – der Hufschmied hat neben der tierärztlichen AKU ein entscheidendes Wort bei der Auswahl eines Dienstpferdes mitzureden. Besonders wichtig ist Koopmann der Ausbildungsstand: „Pferde, die zu uns kommen, müssen nicht schon Schirme und Fahnen kennen oder durch Feuer laufen können. Das lehren wir sie lieber selbst.“ Dennoch, einmal angenommen, ist der jeweilige Kandidat noch immer kein Polizeipferd. Jetzt folgt hier – genau so wie bei den Reitern – erst einmal die Ausbildung. Strikt nach dem alten reiterlichen Grundsatz ‚vom Leichten zum Schweren‘. Dazu gehören zunächst Dressur, Springen und natürlich das Gelände. Erste Begegnungen mit zunächst erst einem Auto, dann mehreren etc. Dabei erhält der Nachwuchs immer seelisch-moralische Unterstützung durch ein älteres erfahrenes Tier, mit dem er gemeinsam unterwegs ist.
„Pferde sind Fluchttiere,“ erläutert Koopmann. „Wir gewöhnen sie durch unterschiedliche optische und akustische Reize im Wechsel nach und nach daran, ihren Stress ohne Flucht abzubauen. Natürlich gibt es auch ganz selten Tiere, die dies mental nicht schaffen. Sie müssen dann leider wieder abgegeben werden.“
Etwa ein Jahr dauert die Ausbildung der Nachwuchs-Vierbeiner. Dann gibt es auch für sie eine Prüfung in den unterschiedlichen Bereichen. Dazu gehört hier auch eine interne Fremdreiterprüfung, denn schließlich muss ein Dienstpferd auch unter einem anderen Kollegen einsatzfähig sein, wenn der zuständige Reiter einmal krank ist oder Urlaub hat. Erst nach bestandener Prüfung ist ein Pferd dann ein ‚richtiges‘ Polizeipferd, das mit spätestens zwanzig Jahren in den wohlverdienten Ruhestand auf der Weide treten darf.“
Derzeit zählt die Polizeireiterstaffel Hannover durchschnittlich 32 Pferde und 40 Beamtinnen.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm