Das Vlaams Paard – Renaissance einer (verloren geglaubten) Pferderasse
Wer an belgische Kaltblutpferde-Rassen denkt, dem kommen Brabanter oder Ardenner in den Sinn.Das Vlaams Paard kennt außer einigen Kaltblut-Experten kaum jemand. Kein Wunder, denn bis 2005 existierte diese alte flämische Pferde-Rasse bereits seit dem Jahr 1886 nicht mehr. Ihr Verschwinden und ihre Wiedergeburt ist fast schon Stoff für einen Krimi.
‚Stallgeflüster‘ wurde mit dieser Rasse erstmals im Corona-Sommer des vergangenen Jahres konfrontiert. Eine Fuhrhalterin zählte die bei ihr im Stall vorhandenen Kaltblutrassen auf – darunter Vlaams Paard. „Hä?“ – hessisches Fragewort mit zwei Buchstaben – lautete die verständnislose Antwort der ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin, die dies hörte. Auch in der Redaktion war besagtes hessisches Fragewort die erste Reaktion auf diese Rasse. Als Journalisten schätzen wir es so gar nicht, wenn wir Wissenslücken haben, die zu füllen nicht einfach ist. Also machten wir uns an die Arbeit, fragten ‚Tante Google‘ und ‚Wikipedia‘ – zunächst allerdings mit mäßigem Erfolg.
Doch dann fanden sich nach und nach die belgischen Internetseiten und gaben die Geschichte dieser imposanten Pferderasse preis – und mehr noch: Es gelang ‚Stallgeflüster‘ ein Gespräch mit dem Sohn des Mannes zu führen, der diese Pferde in Nordamerika, nahe der kanadischen Grenze aufspürte und wieder zurück in ihre ursprüngliche Heimat, nach Belgien, brachte.
„Roger Talpe (70) ist gelernter Hufbeschlagschmied und war schon als Kind ein begeisterter Reiter. Als Schmied und Pferdefan stellte er bei vielen seiner vierbeinigen Klienten Maukebefall fest und erinnerte sich, dass in seiner Jugend die Arbeitspferde der Bauern anders gewesen waren als heute. Auch von den legendären flämischen Pferden hatte er gehört und gelesen. Sie waren vor allem vom elften bis zum fünfzehnten Jahrhundert bei Adel und Klerus besonders beliebt. Ihre Größe, Ausdauer, Stärke und Wendigkeit machte sie zu den idealen Kriegspferden für Ritter“, erzählt Sohn Jürgen Talpe, der heute Vlaams Paards züchtet.
Auch im übrigen Europa waren die flämischen Pferde äußerst gefragt und beliebt. Heinrich VIII (1491-1547) importierte sie nach England, andere Könige und Fürsten nutzten diese als ‚größte Pferderasse Europas‘ (Internationale Pferdeschau 1885, München) gerühmten Tiere zur Ausstattung ihrer Heere und Veredler eigener Rassen. Nachdem die Kriegsführung sich jedoch geändert hatte, verloren die großen Pferde hier ihre Bedeutung. Sie kamen regional zum Einsatz In der Landwirtschaft, zum Ziehen von Binnenschiffen etc. In den Jahren von 1886 bis 1888 war ihre Zahl stark zurückgegangen. Hatte das belgische Zuchtbuch bis dahin noch drei Rasse-Kategorien gezählt, Flämische Pferde, Brabanter und Ardenner, wurden die Flämischen Pferde 1886 kurzerhand aus dem Zuchtbuch gestrichen, brabantisches und belgisches Zugpferd wurden zu Synonymen und das ardennische Zugpferd behielt seinen Namen.
Zum gleichen Zeitpunkt als das Flämische Pferd aus dem belgischen Zuchtbuch verschwand, wurden jedoch eine Reihe belgischer Pferde in die USA exportiert. Dort gründete sich 1887 die ‚American Association of Importers and Breeders of Belgian Draft Horses‘ mit Mitgründern aus Indiana, Illinois und Missouri. Sie dokumentierten Abstammung und Herkunft der Kaltblüter in den USA. Doch waren nicht nur Pferde aus Belgien in die USA gekommen, sondern auch eine Reihe Flamen, die dort ihr Glück versuchen wollten und ihre Pferde mitbrachten.
Besonderer Beliebtheit erfreuten sich die europäischen Arbeitspferde sehr bald vor allem bei den Amischen. Ihnen verbietet ihre Religion die Anschaffung moderner Technik, wie Elektrizität, Fernsehen, Internet oder Auto. Wie vor vielen hundert Jahren leben diese Gemeinschaften noch heute. Ihre Fortbewegungsmittel sind nach wie vor Kutschen mit Pferden. Und im Norden Amerikas finden sich einige größere Gemeinschaften, die das Flämische Pferd schätzten und über die Jahrhunderte weiter züchteten.
Doch zurück zu Roger Talpe, der zunächst von dieser Entwicklung im fernen Amerika nichts wusste. „Er suchte nach einem Pferd, das das so ähnlich war, wie einige der Tiere, die er noch in seiner Kindheit gekannt hatte, kreuzte Brabanter mit französischen Arbeitspferde-Rassen – allerdings ohne den gewünschten Erfolg. Doch dann wollte es der Zufall, dass er einen Bekannten traf. Der erzählte ihm, dass die Amischen in den USA belgische Pferde haben, die sie ‚Old Flamish Horse‘ nennen.“
Gemeinsam mit einigen Gleichgesinnten, die ebenfalls den Untergang dieser Pferderasse bedauerten, machte er sich sachkundig, nahm Kontakt in die USA auf und startete 1992 höchstpersönlich in die Grenzregion von Kanada und den USA. „Schließlich wollte er sich persönlich von dem überzeugen, was er gehört hatte“, erzählt uns der Sohn. „Und das, was er sah, beeindruckte ihn sehr. Ganz anders als die anderen, modernen belgischen Kaltblutrassen sahen diese Pferde aus. Sie beeindruckten ihn sehr. So sehr, dass er den damals zweijährigen Hengst Norfolk Duke in sein Herz schloss und ihn am liebsten mitgenommen hätte, um die Zucht in Belgien wieder zu beleben.“
Dies geschah dann tatsächlich. Im März 1993 landete Norfolk Duke tatsächlich in Belgien und kam auf den Hof der Talpes in Komen. Anfang 1994 kamen dann einige Stuten an, der Verein, der sich für das Vlaams Paard eingesetzt hatte, wurde zum Züchterverband und im Jahr 2005 schließlich wurde die Rasse offiziell wieder als ‚Het Vlaams Paard‘ anerkannt.
Mittlerweile gibt es wieder eine Reihe dieser großen flämischen Pferde – sie sind inzwischen auch wieder in Deutschland zu finden. Schließlich haben die blonden Riesen (fast alle sind Füchse mit heller Mähne) eine Besonderheit, die man bei anderen Kaltblütern kaum findet: Sie haben fast gar keinen Fesselbehang, sind deshalb auch weniger Mauke-anfällig als ihre schweren europäischen Artgenossen.
Und noch etwas betont Jürgen Talpe: „Bei den Amischen werden sie zur täglichen Arbeit eingesetzt. Da findet seit vielen Jahren eine natürliche Selektion statt.“
„Stallgeflüster“ / E. Stamm