Ein echtes ‚Pferdemädchen‘ schafft es nach ganz oben – trotz Behinderung
„Der Hermann und ich, wir passen wie Arsch auf Eimer“, das sagt eine, die im Jahr 2020 mit ihrem Pferd in Schildau Deutsche Meisterin der Einspänner, Para, wurde.
Ivonne Hellenbrand entdeckte ihre Zuneigung zu Pferden schon mit sechs Jahren und war ein ‚echtes‘ Pferdemädchen, obwohl in ihrer Familie definitiv niemand etwas mit diesen Tieren zu tun hatte.
In Thüringen geboren, konnte sie einen Teil ihrer Kinderzeit im Stall verbringen. “Wir haben geputzt, gefegt, den Stall sauber gehalten. Dafür durften wir dann trocken reiten oder so einmal drauf sitzen. An ein eigenes Pferd, so wie das viele Kinder heute oft haben, war gar nicht zu denken. Ich war schon überaus glücklich, wenn ich auf etwas sitzen durfte, was nach Pferd aussah.“
1989 wurde dieser Kindheitsteil Geschichte. Die Eltern waren mit damals 11jährigen über Deutsche Botschaft in Prag nach Westdeutschland geflohen. „Und hier“, so erinnert sich Hellenbrand, „war alles komplett anders. Kinder können grausam sein. Ich habe bis heute, so denke ich, eine andere Einstellung zu Flüchtlingen – egal woher sie kommen – als die meisten anderen, die nie eine Flucht und die damit verbundene ‚neue‘ Welt erlebt haben.“ Doch auch hier im Westen dand sich ein Reitstall, der dem Kind über diese schwierige Umstellung hinweg half. Pferde verhalten sich immer gleich, egal ob im ‚Osten‘ oder ‚Westen‘.
Mit sechzehn begann die junge Dame ihre Ausbildung als Pferdewirtin und hatte das Glück im dritten Lehrjahr auf das Landgestüt Zweibrücken wechseln zu können. Sie ritt Lehrgänge u.a. bei Dr. Klimke, bereitete die Hengste berühmter Reiter und Züchter auf die Leistungsprüfungen vor und lernte dabei eine Menge. Auch erste Berührungen mit dem Fahrsport entstanden hier. „Bis heute verstehe ich nicht, was Menschen an einem etwas strafferem Umgangston beim Reitunterricht auszusetzen haben. Schließlich kommt doch die Ansage des Reitlehrers in dem Augenblick, wo etwas umgesetzt werden muss, und zwar sofort. Fünf Meter später bringt eine solche Korrektur nichts mehr – weder dem Reiter noch dem Pferd. Klar, dass bei der Größe einer Reithalle der Ton etwas lauter ist. Schließlich versteht man sonst nichts.“
Zu ihrem ersten eigenen Pferd kam die junge Bereiterin wie die ‚Jungfrau zum Kind‘. Eine Bekannte hatte sich einen vierjährigen Haflinger auf einer Koppel ausgesucht und um Rat beim Kauf und der Ausbildung gebeten. „Ich hatte ihr geraten, ein etwas älteres, bereits ausgebildetes Pferd zu kaufen. Aber sie hatte sich in den vierjährigen Wallach verliebt. Und so kam, was kommen musste. Nach einiger Zeit wollte sie das Pferd nicht mehr. Ich hatte bereits über ein halbes Jahr mit ihm gearbeitet. In dieser Zeit wächst man zusammen. Und so blieb er dann zunächst bei mir. Heute lebt Nils in der Schweiz und ist noch immer topfit“, freut sie sich.
Das nächste Pferd, auch ein Haflinger, war schon ein um einiges geplanterer Kauf. „Steiermark stand auf einer Stutenkoppel und war ein Kohlfuchs. Das hatte natürlich was,“ erinnert sie sich. Aber auch dieser Hengst hatte so einige Macken. „Er bockte beim Aufsteigen wie ein Rodeo-Pferd und ich bin zunächst ein halbes Jahr lang in einer Ecke aufgestiegen und habe bei null mit diesem Pferd begonnen. Nach rund zwei Jahren feiner und geduldiger Ausbildung war er ein tolles Pferd.“
Beruflich hatte sich Ivonne Hellenbrand mittlerweile umorientiert. „Der Beruf als Pferdewirtin und mobile Reitlehrerin, den ich eine Weile ausgeübt habe, erfüllten mich nicht mehr. Ich hatte mir viele Dinge so ganz anders vorgestellt. Für die Pferde längere Ausbildungszeiträume, die ihnen mehr Zeit für ihre Entwicklung lassen, bei den Menschen mehr Begeisterung für das Pferd als Partner. Doch es finden sich heute kaum noch Pferdemädchen, so wie wir es waren. Stattdessen haben viele schon in jungen Jahren ihre eigenen Pferde und wollen hauptsächlich Erfolge sehen. Das hat mich sehr traurig gemacht und mich dazu gebracht, mich umzuorientieren.“
„Im Februar 2011 hatte ich dann einen Haushaltsunfall. Ich rutschte im Wohnzimmer aus und brach mir eigentlich nur den Fuß. Doch das erkannte niemand und so entwickelte sich die Krankheit, die mich schließlich in den Rollstuhl brachte. Da brauchte ich dann erst einmal Zeit für mich. Doch wozu hat man gute Freunde? Die Menschen, bei denen mein Haflinger Steiermark mittlerweile lebte, luden mich ein und sorgten dafür dass ich zunächst wieder Kutsche fahren konnte und mich dann vom Kutschbock aus zum ersten Mal wieder auf Steiermark setzte. Das war ein tolles Gefühl.“
„Doch all das, was heute ist, begann mit dem Hengst Mailänder. Mit ihm habe ich begonnen auszuprobieren was noch geht und wie es geht. Schließlich fühlte sich vom Rollstuhl aus alles anders an als zuvor und gemeinsam mit ihm habe ich mich dann so weit vorgetastet, dass wir sogar auf einen Platz auf dem Sieger-Treppchen gefahren sind. Mailänder wollte ich eigentlich bei der Europa-Meisterschaften in Mailand aus dem Sport verabschieden – doch leider kam uns sein viel zu früher, endgültiger Abschied von uns zuvor.“
„Kurz vor Mailänders Tod war Herman zu uns gekommen. Nach Mailänder fiel es mir zunächst schwer, ihn wirklich an mich ran zu lassen. Hinzu kam, er war damals nicht schön und auch nicht elegant, eher ein Bewegungslegastheniker. Aber er wollte. Schon nach der ersten Behandlung durch einen Physio-Therapeuten war er plötzlich ein ganz anderes Pferd und begann, sich schöner zu bewegen. Ich habe ihn, nachdem wir feststellten, dass er wohl einmal ein gebrochenes Zungenbein hatte, arbeitstechnisch komplett umgestellt, weg von der Hand, kein Ruckeln oder irgendetwas im Maul. Und so hat es dann nach drei Mal Bronze und zwei Mal Silber im Jahr 2020 endlich geklappt mit der Deutschen Meisterschaft. Eine tolle Leistung vor allem für Herman, der für das Laufen vor der Kutsche lebt.“
„Ich selbst hatte vor der Gelände-Strecke ein höllisches Lampenfieber. Denn Geländefahren ist nicht meine Spezialität. In der Dressur und im Kegel-Fahren auf ebener Fläche, sind wir meist deutlich besser. Im Gelände kann ich auf unebenen Wegen nicht so gut sitzen – aber mein Trainer Marco Freund hatte mir gut zugeredet, ich habe alles so gemacht, wie besprochen, und siehe da, es hat geklappt“, freut sich Ivonne Hellenbrand noch immer.
Die gebürtige Thüringerin lebt übrigens seit vielen Jahren im Saarland, trainiert in Hessen bei Marco Freund und startet für Rheinland-Pfalz. In diesem Bundesland fährt sie auch im ganz normalen Landeskader und hat sich mit Herman von der Klasse A nach S** international hochgefahren.
Da wünschen wir den beiden noch möglichst viele Jahre und Erfolge miteinander.
Wer mehr über Ivonne Hellenbrand wissen möchte, findet ihre Seite auf Facebook, Haflinger Fahrsport.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm