Pferde, Longhorns und Hobbyisten – Western-Feeling life
Ferien in der Corona-Zeit: Viele von uns bevorzugten statt weiter Reisen einen Urlaub in Deutschland.
So auch ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm. Uns zog es in den Harz. Hier findet man eine ursprüngliche, teilweise wildromantische Natur. Wandern beispielsweise – in vielen Kreisen völlig ‚out‘ – ist dort eine tolle Erfahrung, die den, der es wagt, viel sehen und erleben lässt. Doch auch anderes hat der Harz zu bieten: Deutschlands größte Western-Stadt, Pullman City liegt hier, nicht weit entfernt von der zum Weltkulturerbe zählenden Stadt Quedlinburg.
Eine Western Stadt – zunächst kaum vorstellbar. Vor unserem Besuch erwarten wir erst einmal eine Art Freizeitpark, so, wie wir diese Einrichtungen kennen. Dann aber die Überraschung: Schon am Eingang erhalten wir einen ‚Stadtplan‘, dem zu entnehmen ist, was es hier für Einkaufsmöglichkeiten gibt, wo uns welche Vorführungen erwarten und wo die verschiedenen Zeltlager, Blockhütten etc. zu finden sind.
Also auf zur Erkundungstour in einer Stadt, in der wir uns zurückversetzt fühlen in das Amerika der Jahre um 1840. Rechts und links der Main-Street Geschäfte, Saloons, die ‚National Bank‘ (nicht ganz zeitgetreu mit Geldautomat), ein Fotograf, ein Barber Shop und sogar ein Hotel. Staubig ist die Main-Street, so wie wir es aus vielen Western Filmen kennen. Das Publikum: Neben Touristen wandeln hier viele Cowboys, Indianer, Damen in langen Kleidern mit entsprechenden Hauben werden von Herren mit Zylinder begleitet. Vor dem einen oder anderen Geschäft in dem man u.a. diese historischen Outfits erwerben kann, ist ein Pferd angebunden und döst vor sich hin während es auf seinen Besitzer wartet. Kurzum: Eine richtige lebendige kleine Stadt, die ihren eigenen Rhythmus zu haben scheint.
Und der wird, wie wir schnell feststellen können, bestimmt von den Vorführungen, die hier täglich mehrmals stattfinden. Einige davon kann man in der großen Reithalle, der ‚Crazy Horse Show Arena‘, sehen, für andere, vor allem die wichtigste Show des Tages, wird die Main Street komplett gesperrt. Die ‚Great Wild West Show‘ führt die Zuschauer in anschaulichen Showbildern durch die Geschichte der Besiedlung des amerikanischen Kontinents. Beginnend bei der Expedition von Lewis und Clark stellen die Schaubilder die jeweiligen Etappen der Besiedlung vor. Die ersten Siedler-Trecks mit Planwagen, die riesigen Büffelherden (dargestellt von imponierenden Tieren), die Indianer, die Postkutsche, der Sezessionskrieg, die Tiertriebe von mehr als 20.000 Longhorns und nicht zu vergessen, die Zeit der Goldgräber. Humorvoll, unterhaltsam, aber nicht ohne den Anspruch ein wenig Geschichte zu vermitteln, bietet die Show eine Menge Action.
Die Akteure, die hier mit Lasso-Kunststücken aufwarten, die Longhorns und Büffel durch die Main-Street treiben, sind keine Unbekannten. Viele von ihnen sind professionelle Trick- und Show-Reiter. So zum Beispiel Miguel la Riata, der aus Tschechien stammt. Er war mit ‚Apassionata – der magische Traum‘ 2018 und 2019 auf Europatournee. „Die Sommer-Monate verbringe ich hier, solange Saison ist“, erzählt er uns und berichtet, dass er auch mit der neuen Show Moondwind wieder auf Tour gehen wird. Seine Pferde TNT mit dem er Apassionata ritt und Clint das Nachwuchspferd hat er dabei. Ein wenig, wie ein echter Cowboy. Natürlich schauen wir weiter, was es sonst noch in dieser Stadt zu erleben gibt. Da ist zum Beispiel für Geschichts-Interessierte der Nachbau eines indianischen Langhauses oder das Old West Museum mit Exponaten aus der Besiedlungszeit zu nennen. Auch der Blick in eine historische Schmiede oder in einen Schuhmacher-Laden ist möglich. Sogar ein Fort wurde hier nach historischem Vorbild errichtet. Ganz in der Nähe befinden sich die Trapper-Hütten und das so genannte Weißzeltlager in dem man sich fühlt, als sei man wirklich in die Zeit der Siedler gekommen.
Die historisch nachgebauten weißen Zelte gehören, so nennen sie sich selbst, Hobbyisten, die dort während der Ferien und an den Wochenenden in der Saison leben. Wir treffen dort auf Aaron und Nadine, sowie die beiden Töchter Maja (8) und Sophie (11). Neben der Feuerstelle dürfen wir auf einem mit Fell bedeckten Stuhl Platz nehmen und erfahren, wie man zu solch einem Hobby kommt. Denn Nadine und Aaron sind historisch gekleidet und leben hier ebenso wie die Menschen vor 200 Jahren in Amerika. „Wir sind oft hierhergekommen nach Pullman City. Zunächst nur als ganz ‚normale‘ Tagesbesucher. Wir haben dabei viele Menschen getroffen, uns unterhalten und dann wurde der Wunsch nicht nur Besucher, sondern Teil dieser Stadt zu werden immer stärker“, erzählt Aaron. „Die Western Stadt bietet uns die Möglichkeit hier so zu leben, wie das zu damaliger Zeit üblich war. Als Gegenleistung für unser Leben hier, nehmen wir als Statisten an den Vorführungen teil und beleben die Stadt. Touristen sind uns sehr willkommen, denn wir wollen ein wenig von der Kultur aus dieser Zeit weitervermitteln. Das ist auch das Ziel der anderen, die hier leben“, berichtet Nadine. Insgesamt gibt es hier zwölf Weißzelte, bewohnt von Familien, aber auch Singles. Sogar ein Tipi gehört dazu – in ihm wohnt eine Indianerin. „Und was sagen die Kinder dazu, wenn das Leben auf Kochstellen mit offenem Feuer und ohne Fernsehen reduziert wird?“, wollen wir wissen. „Die Kinder lieben es hier zu sein. Sie sind viel bei den Pferden, helfen dort auch teilweise im Stall mit und fühlen sich wie im Paradies. Schließlich gibt es hier täglich Neues zu sehen, zu erleben und zu tun. Und natürlich lernen sie dabei auch viel für ihr Leben. Nicht umsonst lautet das Motto der Stadt ‚Mit den Tieren zurück zur Natur‘.“
Aaron rät uns noch den Barbier zu besuchen. Er arbeitet mit Original-Werkzeugen und ‚Mann‘ erhält dort eine echte Nassrasur mit dem Messer. Auf dem Rückweg, vorbei an den Blockhütten, die an Ferien-Gäste vermietet werden, begegnen uns viele Kinder, die versuchen, das Motto ‚Mit den Tieren zurück zur Natur‘ auf dem Rücken eines der Pferde von der Pony-Ranch umzusetzen. Auch der Pony-Express überholt uns vollbesetzt. Wir gehen vorbei am Goldwäscher-Camp (auch es ist voll von Kindern, die sich hier im Goldwaschen üben und das eine oder andere Körnchen Katzengold finden) den Weg zurück zur Mainstreet Das war ein Langer, voller Tag in der Western-Stadt. Nicht besucht haben wir die Gehege mit den Longhorns und Büffeln, den Streichelzoo und auch für den Abenteuer-Spielplatz war keine Zeit. Schade, das heben wir uns für das nächste Mal auf.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm