Polocrosse – rasantes Mannschaftsspiel zu Pferd – und doch kein Polo
‚Stallgeflüster‘ sprach mit Anna von Schintling-Horny über diese in Deutschland recht unbekannte Sportart zu Pferd.
Die heute 24jährige erlernte das Spiel während ihrer Internatszeit in Irland. „Dort gehörte das zum ‚normalen‘ Nachmittagssport“, erzählt sie uns. Bei den Polocrosse-Europameisterschaften ritt sie zunächst für Irland und letztes Jahr für Deutschland.
Zunächst einmal wollen wir wissen, was Polocrosse vom ‚echten‘ Polo unterscheidet und wo es seinen Ursprung hat. Da gibt es für die passionierte Reiterin, die nicht nur im Polocrosse mit ihrer Mannschaft Erfolge vorweisen kann, sondern sich auch im Spring- und Dressursattel durchaus zu Hause fühlt, viel zu erzählen.
Ursprünglich kommt dieser Sport aus Australien. Dort wird er seit den 1930er Jahren ausgeübt und verbreitete sich über die Commonwealth-Länder. In Deutschland wurde er 2004 eingeführt.
„Der Hauptunterschied zum Polo ist der, dass wir für alle unsere Spiele nur ein Pferd einsetzen dürfen – ein Pferdewechsel ist nur dann erlaubt, wenn der Tierarzt das Tier aus Gesundheitsgründen aus dem Spiel nimmt. Außerdem reiten wir meist keine so genannten Polo-Ponys, sondern das Pferd, das wir gerade haben. Viele von uns reiten umtrainierte Rennpferde, Freunde von mir habe eine Stute, die früher Springen ging. Natürlich reiten einige auch Criollos. Deshalb sagt man über unseren Sport auch ‚Polocrosse ist the Polo of the Poor‘. Klar, es ist deutlich preiswerter, wenn man nicht mehrere Pferde braucht, um ihn ausüben zu können.“
Der zweite augenfällige Unterschied zum Polo ist der Schläger. „Wissen Sie, was ein Lacrosse ist?“, fragt Anna von Schintling-Horny ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm. Die kann nur etwas beschämt feststellen, dass sie das nicht weiß. Kein Wunder, denn Lacrosse, eine Mannschaftssportart mit Ball, verlor nach 1948 an Bedeutung und gilt als kanadischer Nationalsport – eine Disziplin, mit der man in Deutschland nicht unbedingt vertraut ist. Dennoch, der Name ‚Polocrosse‘ leitet sich u.a. von dem mit einem Netz versehenen Lacrosse-Schläger ab. In diesem Netz darf der weiche Gummi-Ball während des Spiels transportiert werden. Ziel der beiden Mannschaften ist es natürlich, den Ball zu bekommen und in das gegnerische Tor zu befördern. Den Weg eines Pferdes dabei zu kreuzen, ist allerdings strikt verboten.
Im Gegensatz zum Polo besteht eine Polocrosse-Mannschaft aus drei Spielern. Jeder von ihnen hat eine festgelegte Aufgabe und Bereiche in dem in drei Teile aufgeteilten 146,5 m langen und 55m breiten Spielfeld. So ist der Spieler mit der Nummer 1 der ‚Angreifer‘. Er darf in allen Bereichen des Spielfeldes agieren. Nummer 2 dagegen ist der Mittelfeldspieler und hat seinen Platz, wie der Name sagt, im Mittelfeld. Nummer 3 ist der ‚Verteidiger‘. Er darf sich gemeinsam mit dem gegnerischen ‚Angreifer‘ auch im Bereich des Tores betätigen.
Gespielt werden je nach Turnier drei bis vier Chukas à sechs Minuten. Nach jedem Chuka haben die Pferde sechs Minuten Pause. Kandaren bzw. zwei Zügel sind hier nicht erlaubt. „Die meisten von uns reiten auf Wassertrense“, berichtet Anna von Schintling-Horny. Auch Polo-Sättel werden nicht genutzt. „Sie bieten in unserem Sport nicht genügend Halt, denn wir lehnen uns deutlich weiter heraus als das beim Polospiel üblich ist. Darüber hinaus reiten wir auch schnellere Wendungen und Drehungen, bei denen wir mehr Halt im Sattel brauchen. Viele reiten ihre Dressur- oder Springsättel, ich selbst fühle mich in einem australischen Stocksaddle sehr wohl“, meint die erfahrene Spielerin und weist drauf hin, dass alle Pferde mit Vorderzeug geritten werden.
Ein weiteres interessantes Detail: Polo-Pferden werden die Mähne und der Schopf abgeschnitten – beim Polocrosse ausschließlich die Mähne. Auch der Schweif darf hier nicht getapt werden, sondern wird lediglich geflochten und nach oben eingeschlagen.
Die deutschen ‚Hochburgen‘ des Polocrosse sind in Mecklenburg-Vorpommern auf Gut Dalwitz, bei Hannover in Burgwedel und Burgdorf. Auch bei Bonn, in Königswinter, hat sich eine neue Gruppe unter dem Namen FunSport Reiten Rheinland e.V. etabliert.
Weltweit sind bei den Weltmeisterschaften (letztes Jahr in Australien) Südafrika und Australien die dominierenden Länder in diesem Sport. Bei den Europameisterschaften stellen Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Norwegen, England und Irland jeweils eine Mannschaft.
Derzeit arbeiten die Europäischen Polocrosse-Verbände an einem Konzept zur Aufstellung eines gemeinsamen Development-Teams (Nothern Hemesphere Quadrangula), das Chancen auf die Teilnahme an einer Weltmeisterschaft haben soll.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm