Science of Motion oder: Reiten unter Berücksichtigung der Biomechanik des Pferdes
„Das Pferd möchte gehorchen und die Wünsche des Reiters umsetzen. Doch wenn die Balance fehlt, wird es immer seinen eigenen Körper schützen, bzw. dafür sorgen, dass es selbst in der Balance ist. Wir nennen das Ungehorsam – doch das Pferd schützt nur sich selbst. Und ich habe so manches Pferd gesehen, das Lektionen ausführte, nicht wegen seines Reiters, sondern trotz seines Reiters. “
Das waren die einleitenden Worte von Jean Luc Cornille zu seinem Lehrgang in Neu-Anspach im Taunus. Der Stundenplan an diesem Wochenende war voll: Morgens Theorie und danach die praktische Arbeit den Pferden. Die rund dreißig internationalen Teilnehmer kamen aus Deutschland, der Schweiz, Österreich, Belgien, Finnland, Italien und sogar aus Jordanien hatten zumeist ihre eigenen Pferde mitgebracht – wer das aus geografischen Gründen nicht schaffte, der hatte sich von Freunden ein Pferd geliehen oder kamen als Zuschauer.
Ihr Ziel: „Die Balance zu finden. Deshalb müssen wir das Pferd verstehen bzw. seinen Bewegungsapparat und das Zusammenspiel von Muskeln, Bändern etc. genau kennen lernen“, so Cornile, der heute in den USA lebt und gemeinsam mit Ärzten und Wissenschaftlern die Bewegung der Science of Motion initiiert hat. „Wichtig für den Reiter“, so Cornille, „ist es seine eigene Balance zu finden, ohne das Pferd zu stören oder aus dem Gleichgewicht zu bringen.“ Cornille nennt dies die „Neutrale Balance“ und weist eindringlich darauf hin, dass die Bewegung des Pferdes, die wir beim Reiten im Körper fühlen, nicht die Bewegung des Pferderückens ist, sondern die der Pferdebeine. „Wenn wir also auf dem Rücken des Pferdes dann noch unsere Muskulatur bewegen wollen, kann das Pferd dem nicht folgen. Entspannen wir unseren Rücken, entspannt auch das Pferd – wir müssen also absolut neutral in der Balance sitzen und dürfen das Tier nicht stören.“
Cornille kommt ursprünglich aus Frankreich, war Reitmeister in Saumur und zitiert gerne einmal in charmantem deutlich französisch gefärbten Englisch die Grundlagen der Reiterei nach de la Guérinière: „perfect nature with the aid oft the art (perfektioniere die Natur mit Hilfe der Kunst)“ – eine Haltung zum Pferd, die in der modernen Dressur leider häufig fehle, da man vergessen habe, wozu die Lektionen ursprünglich gedacht seien und die athletischen Übungen deshalb nicht korrekt geritten würden.
Nicht nur die in der Theorie vermittelten Fakten sind anstrengend an diesem Wochenende – auch die Ansprüche im praktischen Teil fordern die Teilnehmer ordentlich. Schließlich ist sich der Meister nicht zu fein, sich selbst auf ein Pferd zu setzten, wenn der Reiter nicht den gewünschten Effekt erzielt.
Doch trotz aller Anstrengungen: Der nächste Lehrgang mit Cornille im kommenden Jahr ist zwar noch nicht terminiert – aber bereits so gut wie ausgebucht.
„Stallgeflüster“ / E. Appenrodt