Das Mädchen und der Tarpan – Carolin und Addo bringen alle zum Staunen
Carolin Schenk und ihr Tarpan Addo verblüffen Punktrichter und Zuschauer: Die 13-jährige Schülerin aus Greifenstein reitet mit ihrem kleinen Wildpferd erfolgreich bei Turnieren im vorderen Feld mit.
Der robuste, zähe Addo bietet seinen eleganten Reitpferd-Konkurrenten dabei ordentlich Paroli. Das Besondere: Carolin, die seit sechs Jahren reitet, hat ihren Tarpan selbst ausgebildet!
Addo ist wie alle seine heute lebenden Artgenossen eine Rückzüchtung, die seit den 1930er Jahren durch die Kreuzung von Koniks und Dülmener Pferden mit Przewalskipferden entstanden ist. Der Tarpan, der als Urform unseres Hauspferdes gilt, ist seit Ende des 19. Jahrhunderts ausgestorben. Er lebte in Wäldern und Steppen in Eurasien. Die meisten Tarpans sind heute nur noch in kleineren Herden in Wildtierparks zu bewundern, zum Beispiel am Edersee und bei Weilburg. Ein Tarpan in Privatbesitz, das gibt es nicht so oft. Addo, der ein ganz besonderes Exemplar ist, hat seit einigen Jahren bei Familie Schenk in Greifenstein ein liebevolles Zuhause gefunden. Und in Carolin eine Reiterin, die mit ihm durch dick und dünn geht.
Wie alles begann? Vor vier Jahren kam Addo mit schlimmen Verletzungen in den Reitstall nach Greifenstein. Eine Tierärztin hatte ihn als Patient mitgebracht. „Als sich die Besitzer nicht mehr meldeten, habe ich angefangen, ihn zu reiten,“ erzählt Carolin, die damals erst zwei Jahre im Sattel saß. Sie sagt das so lässig und selbstverständlich, als sei es etwas ganz gewöhnliches, ein Wildpferd zum Reit-Pony auszubilden. Aber: Ein Tarpan gilt zwar als genügsames und gutmütiges Pferd, kann aber auch sehr eigenwillig sein und ist eigentlich nicht für den Reitsport vorgesehen. Doch das zierliche Mädchen und der robuste Tarpan verstanden sich und fanden nach und nach zusammen: „Zu Anfang war Addo noch roh, doch dann lief er immer besser“. Mittlerweile sind beide ein Dream-Team und sorgen nicht nur bei Turnieren für Staunen.
Addo ist von Kopf bis Huf ein typischer Tarpan: Robust, Stockmaß 1,30m, mausgraues dichtes, raues Sommerfell, große Augen, kleine Ohren. Die Nüsternpartie dunkel, ebenso der Schweif und die fallende Mähne. Die Beine ab dem Karpalgelenk an der Vorderseite der Röhren und im Fesselbereich schwarz mit Tigerung an den Gelenken. Auf dem Rücken ein perfekter Aalstrich.
Das Unglaubliche: Addo, der Wildpferd-Urahn, verhält sich wie ein Turnierpferd! Gelassen steht er in der Stallgasse und lässt sich von Carolin satteln. Er mag Menschen, das spürt Stallgeflüster-Redakteurin Elke Stamm bei ihrem Besuch sofort. Kaum hat Addo einen Keks im Maul, fängt er sofort nach Herzenslust zu Flehmen an. Wer das Wildpferd und seine junge Reiterin beobachtet, kann kaum glauben, dass hier „nur“ ein Tarpan ausgebildet und geritten wird: Addo ist ein überaus elegantes Reitpony, das mit seinen sportlich gezogenen Artgenossen locker mithalten kann.
Natürlich reitet die Gymnasiastin mit ihren 13 Jahren noch keine großen Prüfungen. Doch Carolin und ihr ungewöhnliches Reitpferd stechen bei Turnieren aus der Masse absolut hervor. Die Wertnoten der Richter in A*und A** bewegen sich im Bereich von 6,6 und besser, bei Dressurreiterwettbewerben punkten die beiden auch schon mal mit 7.
Im Springen überzeugen Ross und Reiterin ebenso: In Affolderbach sprangen sie im Springreiterwettbewerb auf den 2. Platz, in Ruttershausen immerhin auf Rang 6. Doch die sportliche und talentierte Carolin hat noch viel größere Ziele, beispielsweise die Wertung für das hessische Jugendchampionat Kl. A und eine Chance beim PSJ-Cup. Langfristig will Carolin mit Addo auch in der Klasse L starten. Respekt: Im Vierkampf mischt die leidenschaftliche Joggerin mit ihrem Tarpan ebenfalls schon mit.
Carolin über ihr kleines, außergewöhnliches Pferd: „Addo hat seinen eigenen Kopf, möchte sich ab und zu durchsetzen. Aber er ist auch sehr willig und lauffreudig, arbeitet gerne mit und lernt sehr schnell neue Lektionen hinzu“. Wenn Addo könnte, würde er über seine junge Reiterin vielleicht Folgendes sagen: „Hätte nie gedacht, dass ich tollpatschiger Tarpan mal bei Turnieren starten werde. Das hab‘ ich meiner Reiterin Carolin verdanken, für die ich mich ganz doll anstrenge.
Wir geben beide alles, wollen unsere Ziele erreichen. Ich bin mir ganz sicher: Meine Urahnen wären stolz auf mich!“