Pferde-Idyll in Andalusien Die wunderbare Geschichte von Silvia, Edina und Franziska
Ein Herz für arme Tiere hatte Silvia Willers schon immer. Aber mehr als 15 Kilo wog bisher keins
Dann verliebte sich die Frankfurter Aussteigerin in Südspanien in die ausgesetzte Andalusier-Stute Edina. Ein wahres Pferde-Märchen mit Happy End.
In Silvias Finca in Andalusien haben derzeit drei kleine streunende Hunde ein liebevolles Zuhause gefunden, für herrenlose Katzen gibt’s immer einen gefüllten Fressnapf. Seitdem Silvia Willers vor rund 20 Jahren der Hektik der Großstadt den Rücken gekehrt hat, ist aus der ehemaligen Kommunikations-Expertin eine spanische Landfrau geworden, mit einer kleinen Mango-Plantage und vielen Oliven-, Zitronen- und Feigenbäumen. Ihr Leben im romantischen Hinterland von Malaga änderte sich jedoch komplett, als sie vor sechs Jahren die ausgesetzte Stute Edina adoptierte. Seitdem ist nichts mehr wie es war – und Silvias Tage so spannend, anstrengend und erfüllt wie nie zuvor.
Die Auswanderin sitzt frühmorgens neben ihrer Koppel, schnippelt Äpfel, Birnen und Möhren in zwei Schüsseln, streut Kraftfutter drüber: „Ich weiß, es müsste nicht sein, aber ich schneide alles klein, weil es liebevoller ist,“ sagt sie. Von der Koppel blinzeln Edina und Franziska in freudiger Erwartung übern Zaun, schnauben und scharren mit den Hufen: „Die Fütterung der Pferde, das ist eine Wissenschaft für sich,“ sagt Silvia. Sie lacht: „Außer den Kraftpaketen der Brauerei beim Festumzug in Frankfurt hatte ich ja in meinem Leben noch nie Pferde gesehen. Seit sechs Jahren aber lerne ich jeden Tag dazu, werde immer sicherer im Umgang mit ihnen.“
Alles begann, als die engagierte Tierschützerin einen Hilferuf bei Facebook las: In einem Flussbett bei Marbella, in ihrer Nähe, lebe eine Herde ausgesetzter Pferde, halb verhungert und komplett sich selbst überlassen. Seit der Wirtschaftskrise können sich viele Spanier ihre Pferde nicht mehr leisten, setzen sie in der Wildnis aus. Privatleute versorgen sie mit Futter und Wasser. Die Guardia Civil, die spanische Polizei, sei gerade dabei, die Tiere einzufangen, zum Schlachter zu bringen. Der dringende Aufruf: Adoptieren Sie ein Pferd, retten Sie es vorm Tod!
Silvia sprach mit Julia, die einen großen Pferdehof im Hinterland betreibt. Sie war spontan einverstanden ein Pferd zu holen, es in ihrem Stall einzustellen. Als sie am Stichtag am Ort des Geschehens ankam, waren noch vier weiße Stuten übrig. Silvia: „Die jungen, braunen und dreifarbigen Pferde waren bereits bei Tierfreunden untergekommen. Die älteren weißen Stuten wollte keiner, die sind hier nicht mehr in Mode. So bekam ich die Leitstute, nannte sie Edina Jul del Rio Real.“ Sie strahlt: „Wenn sie schon so arm war, sollte sie wenigstens einen beeindruckenden Namen haben!“ Im Februar 2012 kam die etwa 11-jährige Edina in ihre neue Heimat zu Julia – wo Silvia sie einstellen konnte.
Von Julia wurde Edina an ein Halfter gewöhnt und longiert. So oft es ging, besuchte Silvia ihr Adoptiv-Pferd in seinem neuen Zuhause, ging mit ihm spazieren. Genauer: Edina ging mit Silvia, denn die Stute bestimmte wo’s langgeht! Silvia dachte nicht im Traum daran, dass sie, die völlig Pferde-Ahnungslose, zwei Jahre später für Edina einen Stall samt Reitplatz auf ihrem Grundstück bauen würde: „Ich hatte keine Beziehung zu Edina. Sie war so scheu, ließ sich von mir nicht anfassen. Ich wusste nicht, was es bedeutet, wenn sie mir ihr Hinterteil zu dreht, nämlich: Hau ab! Ich wusste auch nicht, dass ein Pferd Zuwendung braucht, Gespräche, Liebeseinheiten, wie ein Hund. Ich wusste nicht wie Pferde sind. Heute weiß ich: Pferde sind Persönlichkeiten.“
Edina war furchtbar dürr, ein Hungerpferd. Sie wurde gefüttert und gefüttert, nahm aber nicht zu. Was zu dem Zeitpunkt keiner wusste: Edina war im 1. Monat trächtig! Mit dem Futter versorgte die Natur erstmal das ungeborene Fohlen im Mutterleib. Auch der Tierarzt wusste keinen Rat – bis die ersten Tröpfchen aus dem Euter kamen. Im November wurde Franziska, genannt Franz, geboren. Silvia: „Julia und ich haben tage- und nächtelang gelauert, wollten bei der Geburt dabei sein. Aber Edina hat gewartet, bis sie allein war. Am Morgen stand dann Franziska da und hat die Wand abgeleckt. Die Kleine war so süß, sie war dann natürlich sofort auch mein Pferd!“ Nun hatte sie also zwei Pferde. Und null Plan davon. Franziska ist übrigens nach Franz von Assisi benannt, dem Schutzheiligen der Tiere.
Als Franziska nach einem halben Jahr abgesetzt wurde, brachte Silvia sie in einer Pferdepension in einem anderen Stall unter. In Andalusien werden die Fohlen mit sechs Monaten von der Stute getrennt. Die Trennung verkraftete Edina vorerst nicht: Sie bekam eine Euterentzündung und schwere Koliken. Silvia: „Ich bin hingefahren und mit ihr stundenlang im Kreis gelaufen. Da baute sich erstmals eine Beziehung zwischen uns auf. Ich traute mich auch langsam, mit ihr zu schmusen. Und ich beschloss: Ich bringe Edina und Franziska wieder zusammen!“
Nach einem halben Jahr war’s soweit. Auf dem Pferdehof der dänischen Reitlehrerin Eva-Maria fanden beide Stuten eine neue Heimat, sahen sich auf der Koppel wieder. Silvia: „Edina hatte als ehemalige Leitstute inzwischen zwei Fohlen angenommen. Und Franziska hat ihrer Mutter bei der ersten Begegnung spontan eine verbraten. Ich denke, sie erkannten sich, wissen aber nicht, dass sie Mutter und Tochter sind.“
Noch immer konnte Silvia sich nicht vorstellen, ein Pferd zu halten, geschweige denn zu reiten.
Eva-Maria führte Silvia langsam an ihre Stuten heran. Wenn man ein Pferd hat, soll man es auch reiten, so ihre Überzeugung. Keiner wusste, was Edina erlebt hat, ob sie jemals geritten wurde, ob sie ausgebildet ist. Bei Eva-Maria auf dem Hof wurde das mit viel Geduld und Liebe getestet: Erst nur mit Sattel, dann ritt ein geschultes Pferdemädchen auf Edinas Rücken, als ‚toter Indianer.‘ Und siehe da: Edina ließ sich reiten. Silvia, mittlerweile hoffnungslos verliebt in ihre Pferde, beschloss, sie auszubilden und zu sich zur Finca zu holen: „Zwei Pferde in Vollpension mit Ausbildung, das kostet auch in Andalusien monatlich einen vierstelligen Betrag. Ich stellte mir vor wie schön es wäre, sie bei mir zu haben und nicht immer eine Stunde zu fahren, um sie zu sehen. Ich dachte, ich baue einen Unterstand und lasse sie bei mir auf dem Grundstück laufen.“
Wer sieht, was aus dieser Idee geworden ist, traut seinen Augen kaum: Ein weiß getünchter Stall mit zwei Boxen schmiegt sich an eine Felswand, davor stapeln sich Strohballen. Darunter ein Reitplatz, in Spanien Picadero genannt, umrahmt von knorrigen Olivenbäumen. Zu Füßen der Berge glitzert das Mittelmeer, Fischerboote schaukeln hin und her. Bei klarem Wetter flimmert Afrikas Küste am Horizont. Grillen zirpen, die andalusische Sonne taucht die Landschaft in ein zauberhaftes weich-warmes Licht. In dem ganzen Idyll trappeln Edina und Franziska herum, wirbeln Staubwölkchen auf. Zweimal wöchentlich kommt Ausbilderin Geli, dann ist Reitschule angesagt.
Bis Silvia Edina reiten konnte, war es ein harter Weg. „Normalerweise nimmt man ein erfahrenes Pferd und einen unerfahrenen Reiter, oder umgekehrt. Aber wir beide, Edina und ich, wussten nichts. Wir haben dann alles von Geli gelernt.“ Die aus Österreiche kommende Trainerin Angelika Riegerbauer lebt ebenfalls in Andalusien. In puncto Ausbildung sind die beiden Pferdefrauen auf einer Wellenlänge: Keinen Zwang ausüben, kein Eisen im Maul. Das Pferd respektieren und als Gefährten sehen – viel spielen, Kommunikation und geduldige Bodenarbeit, mit dem Ziel, dem Tier, basierend auf Freiwilligkeit und Freude, Übungen der Hohen Schule beizubringen.
Als Silvia erstmals auf Edina ritt, war sie 60. Heute, mit 64, sagt sie: „Die Pferde haben meinem Leben einen neuen Sinn gegeben. Mangos oder Oliven könnte ich hängen und vergammeln lassen, wenn ich keine Lust hätte sie zu ernten. Die Pferde aber fordern und brauchen mich jeden Tag. Es ist unglaublich: Eine Pferdebeziehung wirkt sich auch auf Menschenbeziehungen aus. Man ändert sich, wenn man mit Pferden zusammen ist, wird aufmerksamer und achtsamer. Wenn man nämlich nicht aufpasst, fällt man auf die Nase.“
Geli erkannte auch, dass Silvia anfangs viel zu viel fütterte. Die Neu-Pferde-Besitzerin hatte sich im Internet schlau gemacht: „Da steht so ein Mist drin,“ ärgert sie sich. „Drei Kilo Kraftfutter am Tag! Edina und Franz sind fett und träge geworden. Aber ich wusste ja noch nichts übers Füttern!“ Geli verordnete Sport und erstellte einen Ernährungsplan. Heute sind Edina und Franziska kräftig und muskulös, und abgesehen von Franziskas Sommer-Ekzem, das nun zum Glück fast abgeklungen ist, topfit, frech und quietschfidel. Und besonders Franziska ist ziemlich verfressen.
Vor Kurzem hatte Edina sich bei einer Übungsrunde auf dem Picadero erschreckt und Silvia minutenlang in Sitznot gebracht. Pferd und Reiterin hatten heftiges Herzklopfen und Edina schämte sich danach offensichtlich. Silvia beruhigte sie mit Worten, vielen Küsschen auf die Samtnase und Umarmungen – dann ging’s fröhlich weiter, wenn auch mit ordentlichen Hämatomen an Silvias Schenkeln. Glücklich und nicht ohne Stolz lächelt sie: „Es war unglaublich. Mein Pferd hat mich nicht abgeworfen. Wir beide, Edina und ich, haben es geschafft.“
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„Stallgeflüster“ / K. Pohl