Eng verwandt – und doch ganz anders: Esel und Pferd
Er galt und gilt noch heute als das Transport- und Reit-Tier der kleinen Leute, als treuer, geduldiger Helfer bei schwerer Arbeit, die Geschichte seiner Domestikation ist mindestens ebenso lang wie die des Pferdes – wenn nicht gar länger. Wovon wir sprechen? Wir sprechen von einem sehr engen Verwandten des Pferdes, dem Esel. Er ist mit diesem zwar verwandt – aber dennoch ganz anders.
Um diesen Unterschieden auf den Grund zu gehen und ein wenig mehr über diese aus Unwissenheit oft missverstandenen Familienmitglieder zu erfahren, besuchte ‚Stallgeflüster‘-Redakteurin Elke Stamm die Vorsitzende der Interessengemeinschaft für Esel und Mulifreunde in Deutschland e.V., Barbara Bank.
Die Interessengemeinschaft wurde 1988 gegründet und befasst sich mit Beratung und fachlich kompetenter Unterstützung von Esel-Haltern. Denn diese finden – anders als Pferde-Leute – kaum Literatur zu ihren Vierbeinern, geschweige denn verlässliche Zuchtbücher. „Auch wenn es um die Hufpflege geht, um eine qualifizierte Beurteilung, um Zubehör oder um die Nachzucht, stehen Eselbesitzer oft alleine da“, berichtet Barbara Bank. Ab 2012 entstand aus der Interessengemeinschaft ein, zunächst erst weiterer Verein, dann seit 2015 ein staatlich anerkannter Zuchtverband für Esel, der auch das Ursprungs-Zuchtbuch für den ‚Deutschen Esel‘ führt. Die Ziele des Verbandes: „Verantwortungsvolle Zucht, Erhaltung der Rasse und deren arteigener Merkmale, sowie der Gesundheit, der Leistungsfähigkeit und der Anpassung an unser Klima.“ Durch ein Zuchtbuch will der Verband „über Generationen auf Körperbau, Charakter und Gesundheit achten, sowie auf eine Aufzucht, die den Haltungsbedingungen hier in Deutschland entspricht, und so dem Esel ein artgerechtes Leben auch in Deutschland ermöglichen.“
Schon beim ersten Blick auf die Aufgaben und Ziele des Verbandes und der Interessengemeinschaft, sind wir mitten im Thema: Esel sind keine Pferde. Und sie sollten auch nicht mit diesen gehalten werden. Die Vorfahren des Grautiers stammen aus den steinigen, trockenen Wüsten- und Steppengebieten Afrikas. Dieser Umgebung sind u.a. auch ihre Hufe angepasst. „Die Hufe des Esels sind unempfindlicher gegen Abrieb als die des Pferdes, aber der Strahl ist deutlich größer“, erläutert Barbara Bank. „Das schafft bei unserem feuchten Klima natürlich extreme Probleme. Häufig gibt es Strahlfäule, oder Infektionen der weißen Linie.“
Nicht nur die Hufe der Verwandten unterscheiden sich. Auch der Knochenbau des Grautieres ist anders als der seines deutlich größeren und stärkeren Verwandten. „Häufig erleben wir es, dass Menschen zu uns kommen und auf einem Esel reiten wollen. Das haben sie auf Bildern gesehen und können nicht verstehen, wenn wir ihnen sagen, dass dies nicht möglich ist, ohne dem Tier Schaden zuzufügen. Der Rücken eines Esels ist proportional gesehen länger als der eines Pferdes und der Knochenbau eher zart. Aufgrund seiner Herkunft hat er ein anderes Bewegungsmuster als das Pferd. Die Bewegungen sind klein und schiebend. Damit kann er beispielsweise hervorragend Treppen steigen – aber keinen Reiter tragen. Das Gewicht, das man diesem ‚Lasttier‘ zumuten kann, liegt bei maximal 20 Prozent seines eigenen Gewichts, d.h. ein Esel, der 200 kg wiegt, sollte maximal nur 40 kg tragen. Doch viele Esel, vor allem die kleinen Rassen mit einer Größe von 80 cm bis 1,20 m, sind oft deutlich leichter – also zum Reiten für einen erwachsenen Menschen absolut nicht geeignet.“
Doch auch die so genannten Großesel, spezielle Züchtungen, vor allem aus Spanien und Frankreich, aber auch den USA, sind nicht unbedingt reittauglich. Häufig findet man hier Senkrücken oder Fehlstellungen der Gliedmaße – also auch er ist nicht das perfekte Reittier.
Da sich bei den Großeseln Rassen herausgebildet haben, deren Bestände mittlerweile gefährdet sind, werden Zuchttiere nur selten verkauft. Papiere für diese Tiere werden – bis auf den Poitou-Esel – lediglich in ihren Heimatländern ausgestellt. „Da jedoch 99 Prozent aller Esel keine Papiere haben, können auch Großesel ohne Papiere allerdings in das Stammbuch des Zuchtverbandes aufgenommen werden. Die Auswahlkriterien bzw. die Zuchtleistungsprüfungen sind jedoch überaus anspruchsvoll. Wir hoffen, dass wir so die Qualität der in Deutschland gezogenen Esel und Großesel langfristig verbessern können“.
Du sturer Esel?
Von den großen Eseln zurück zum kleinen aber feinen Unterschied zwischen Equus und Equus Asinus. Der findet sich nicht nur in Gebäude, Hufbeschaffenheit, der längeren Tragzeit oder der Ernährung (ein Esel benötigt sehr viel mehr faserhaltiges Futter als das Pferd und erkrankt leicht an Stoffwechselproblemen, wenn er zu energiereiche Nahrung aufnimmt). Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Verwandten ist ihr Charakter. Das Pferd ist ein Fluchttier. Der Esel nicht. „Das ist wohl einer der Hauptgründe, warum sich so viele Menschen von Eseln angezogen fühlen. Viele wollen gerne den Kontakt zu Pferden haben, fürchten sich allerdings vor deren oft plötzlichen Reaktionen“, erklärt sich Barbara Bank die steigende Affinität zum Esel. Auch sie selbst kam durch den Wunsch nach einem Pferd mit 14 Jahren zu ihrem ersten Esel – allerdings nicht, weil sie sich fürchtete, sondern weil der Esel gerade bei dem Händler stand, bei dem sie ein Pferd suchte. „Das war eine Entscheidung, die ich heute nicht mehr treffen würde.“
Im Gegensatz zum Pferd, das in Stress-Situationen zu sofortiger Flucht neigt, bleibt ein Esel bei Stress zunächst lieber einmal stehen. Eine Eigenschaft, die ihm den Ruf einer gewissen Sturheit einbrachte. Der Hintergrund für diese Verhaltensweise dürfte allerdings in dem ursprünglichen Lebensraum dieser Tiere zu finden sein: Gebirgiges, steiniges Gelände birgt bei überstürzter Flucht erhebliche Verletzungs- und Absturzrisiken. Da ist stehenbleiben sicherlich die bessere Variante. Die Starre, in die ein gestresster Esel verfällt, verstärkt sich dann oft mit zunehmendem Stress. „Allerdings kann auch ein Esel durchaus einmal losstürmen, wenn er dies für sinnvoll hält“, berichtet Bank.
Einen Esel reiten muss man nicht, dafür eignet er sich deutlich schlechter als ein Pferd. Doch, was tut man mit dem Grautier, schließlich ist es ein überaus intelligentes Wesen und braucht Beschäftigung. „Esel sind ideale Pack- und Trag-Tiere“, erklärt uns Barbara Bank. „Viele Menschen nehmen sie mit auf Wanderungen, sie sind liebevolle und geländegängige Begleiter. Aber natürlich können sie auch ziehen. Da muss man nur sehr genau aufpassen, dass das Geschirr passt. Denn der Platz zwischen Buggelenk und Halsansatz ist für ein Brustblattgeschirr häufig viel zu schmal, das Geschirr drückt dann entweder auf den Hals oder es scheuert am Gelenk.“ Die Haltung, Zucht, Pflege und Ausbildung von Eseln, das müssen wir nach diesem Gespräch feststellen, ist ebenso eine Wissenschaft für sich, wie die Haltung von Pferden. Die Interessengemeinschaft der Esel und Mulifreunde e.V. zählt derzeit rund 1.400 zweibeinige und etwa 4.500 vierbeinige Mitglieder in der Datenbank, davon auch einige im deutschsprachigen Ausland lebende. „Viele von ihnen nur deshalb, weil wir durch unsere Mitgliederzeitschrift, die ‚Esel-Post‘, eine der wenigen umfangreichen Zeitschriften für Esel-Liebhaber herausgeben.“ Insgesamt schätzt Bank die Zahl der in Deutschland lebenden Equi asini auf rund 20.000. Da wünscht ‚Stallgeflüster‘ dem rührigen Verein noch möglichst viele neue Mitglieder aus den Reihen der deutschen Esel-Halter und kündigt schon mal vorab einen Besuch bei einer der in diesem Sommer stattfindenden Eselleistungsprüfungen an.
Wer sich für Esel und Mulis näher interessiert, findet ausführliche Informationen und Beratungsangebote unter:
www.esel.org.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm