Jens Hilbert und seine Lieblingsstute Guess. Wir sind die Lady Gaga des Reitsports
Jens Hilbert ist der schillerndste Paradiesvogel im Reitsport. Als Amateur unter den Profis reitet der erfolgreiche Unternehmer internationale Weltranglistenspringen. Seit diesem Sommer zählt er zu den 2000 besten Springreitern der Welt.
Besuch bei einem Reiter, der überall auffällt. Der Pferde-Truck vor der Reitanlage in Groß-Gerau sticht sofort ins Auge: Darauf Hilbert, strahlend und überlebensgroß, umrahmt von Schauspielerin Mariella Ahrens, Noch-Tennisspieler-Gattin Lilly Becker und Top-Model Kim Hnizdo. “hairfree“ steht daneben – die Promi-Damen werben für Hilberts Enthaarungs-Imperium und sind gute Freundinnen von ihm. Dahinter, auf dem Anhänger lacht der Firmenchef in Siegerpose im rosa Anzug. “Lebe deine Träume, sonst tut es keiner“ steht da.
Als Jens Hilbert aus der Reithalle kommt, trägt er Basecap, kurze Stiefel, schwarzen Rolli und Reiterhosen. „Es gibt den Unternehmer-Jens, den Red-Carpet-Jens und den Stall-Jens,“ sagt er. „Und alle bin ich.“ Hilbert bittet zum Interview in den imposanten Truck, in dem fünf Pferde mit allem Pipapo zu Turnieren transportiert werden können. Hingucker in der Sofa-Ecke: Das Kissen, von dem Jens Hilbert und sein Trainer Hugo Simon den Besucher anstrahlen. Hilbert lacht: „Das Kissen ist übrig aus einem sehr verrückten Geschenk an die Weltikone, meinen Trainer Hugo Simon. Dieser Mann hat alles im Leben erreicht und hat auch alles. Da musste ich mir etwas Besonderes überlegen, um ihn zu überraschen. Ich hab‘ ihm dann Pferdebettwäsche mit Bildern seiner beiden Erfolgspferde anfertigen lassen und aus Spaß noch ein Kissen mit mir und ihm gedruckt. Die Überraschung ist gelungen, seitdem schläft er nur noch mit seinen beiden Pferden E.T. und Apricot D. im Bettchen.“
Wie kommt Amateur Hilbert an den Erfolgstrainer Simon? „Vor eineinhalb Jahren hat Hugo Simon mich auf einem Turnier angesprochen. Er fragte, was für ein verrückter Typ ich bin. Ich antwortete, ‚danke gleichfalls‘! Wir haben eine Probe-Reitstunde vereinbart. Während dieser Stunde habe ich geheult, weil Hugo ziemlich hart an die Buletten geht. Und eine Woche später habe ich die ersten Weltranglistenpunkte meines Lebens gesammelt. Hat sich also gelohnt, mal zu heulen!“
Zweimal monatlich trainiert er seitdem mit Simon, hat zusätzlich noch einen Dressurreitlehrer. Für die großen Hürden auf dem Turnier und im Training hilft ab und an ein Schlückchen vom Trainer-eigenen „Forever-Young-Hugo-Simon-Schnaps“, den Hilbert immer in einem Flachmann in der Jacke dabeihat: „Den spuck ich dann aber wieder aus, das ist nur wegen dem Adrenalin.“
Hugo Simon ist Hilberts großes Vorbild. „Ein One-In-A-Million-Reiter. Abnormal stark im Reiten. Und der angstfreiste, mental stärkste Mensch den ich kenne. Nur mit diesem Glauben, dieser Stärke und diesem Willen kannst du das schnellste Stechen gewinnen. Und nur wenn die Symbiose mit dem Pferd stimmt, kann man die großen Hürden und Wassergräben anreiten.“ Mentale Stärke ist für Hilbert der Schlüssel zum Erfolg. Eine Stunde vorm Wettkampf geht er ins Mentaltraining, konzentriert sich auf das Wichtigste: „Hand tief, Nicht Klemmen am Knie, Atmen nicht vergessen, Glaub an dich, Kämpf wie ein Löwe!“ Für das, was ihm als Amateur unter den Weltstars an Routine fehlt, hat Hilbert einen Spickzettel.
Seine 12-jährige Lieblingsstute Guess ist aus der Kaderschmiede von Paul Schockemöhle, wie alle Pferde in Hilberts Stall: Im Schnitt besitzt der Amateurreiter vier bis fünf Pferde, Youngster und zwei bis drei Pferde für die S-Springen. Guess hat der exzentrische Selfmade-Millionär jetzt zwei Jahre, mit ihr ist er unter die weltbesten 2000 gekommen.
Aber aller Anfang ist schwer: Denn als Guess zu Hilbert kam, mussten zwei Mann sie festhalten, damit Hilbert auf seine „crazy Stute“, wie er sagt, aufsteigen konnte. Heute sind sie unzertrennlich: „Guess kämpft für mich mehr als für jeden Reiter, der jemals bei ihr im Sattel war. Weil sie weiß, dass ich es gut meine mit ihr. Weil ich mich um sie kümmere, sie wie eine Königin, wie die absolute Nr.1, behandele. Wir kämpfen miteinander, wir lieben uns. Auch weil sie genauso verrückt ist wie ich.“
So verrückt wie er – geht das überhaupt? Und wie! Guess fällt bei jedem Turnier auf, bereits auf dem Vorbereitungsplatz. Sie springt durch die Gegend, schnickt mit dem Kopf und mit dem Schweif, tritt nach allen Ecken und Enden. Jens lacht: “Eine ganz verrückte, komplizierte Frau, und dann noch ich bunter Vogel obendrauf. Wenn ich fehlerfrei springe, kann ich nicht cool bleiben. Ich freue mich wie verrückt und flippe völlig aus. Meine Guess und ich, wir sind die Lady Gaga des Reitsports!“
Bei den Deutschen Meisterschaften im Juni in Balve waren sie im schwersten Springen im Großen Preis platziert. Denkbar knapp sind sie an der Qualifikation der World Equestrian Games vorbeigeschliddert: „Wenn ich im März in Portugal beim Großen Preis einen Zeitfehler weniger gehabt hätte, wäre ich qualifiziert gewesen. Das ist doch großartig für jemanden, der eine Firma leitet, ein Coaching-Zentrum hat und auf den Roten Teppichen unterwegs ist,“ sagt der Amateurreiter nicht ohne Stolz. Umso stolzer macht es ihn, weil er 10 Jahre, von 2003 bis 2013, mit dem Reiten auf Leistungssport-Ebene ausgesetzt hatte. In dieser Zeit hat er sein hairfree-Imperium aufgebaut, das heute mit 400 Mitarbeitern an 75 Standorten in Deutschland, Österreich und der Schweiz tätig ist. Drei bis maximal viermal die Woche trainiert er, zwischen Firma und Seminaren, die er als Erfolgscoach hält, TV-Auftritten und Events.
Der Unternehmer schafft das, weil die Pferde ihm alles bedeuten: „Sie sind mein Zufluchtsort seit ich denken kann.“ Geboren in einem 600-Seelen-Dorf im Odenwald, wurde Jens wegen seines Andersseins schon als Kind gehänselt und ausgegrenzt: Ein Junge, der anstatt mit dem Fußball lieber mit Puppen gespielt hat. „Du bist anders, du bist doof, du bist ein Mädchen, du bist schwul – das hab‘ ich jeden Tag in der Schule gehört. Wenn ich dann mittags zu den Pferden kam, war ich glücklich. Es gibt nichts Ehrlicheres als die Beziehung zu Pferden. Denen ist es egal ob man schwarz oder gelb oder schwul ist oder einen Pickel auf der Nase hat. Die Pferde kommen in letzter Instanz immer noch auf Platz 1, vor den Menschen. Sie spüren mein Seelenleben. Ob ich depri bin oder Selbstzweifel habe, sie stellen sich darauf ein.“
Hilberts unglaubliche Reiterkarriere fing mit Shetlandpony Lotti an, das seine Eltern vorm Schlachter gerettet hatten: „Da war ich etwa 3, und Lotti hat mich jeden Tag mindestens zweimal abgeworfen.“ Danach gab’s Reitstunden und ein größeres Pony, mit dem der kleine Jens die ersten Reitwettbewerbe gewann. Mit dem ersten Großpferd ritt er Juniorencups, Dietmar Gugler wurde auf sein Talent aufmerksam und förderte ihn.
Hilbert liebt diesen verrückten Sport, das Lotterleben mit seiner Entourage in den Stallzelten, seinen Truck, in dem fünf Pferde auf höchstem Luxus zu den Turnieren kutschiert werden und er sein Bett abends elektronisch runterlässt. Sein größter Pferde-Traum? „Olympische Spiele reiten, oder eine Weltmeisterschaft. Beim Reitturnier im Central Park mitten in New York starten. Leider veranstaltet das aber Donald Trump, und dessen Fan bin ich nicht mehr,“ sagt Jens Hilbert.
„Stallgeflüster“ / K. Pohl