Zwischen Bocksprung und Berührungsangst – Wie Wildpferd Leo zögerlich Zutrauen gewinnt
22 Mustangs aus den USA landeten in der letzten Aprilwoche in Frankfurt.Ihr bislang einziger Kontakt zu den Menschen bestand darin, dass sie lernten, sich in engen Räumen transportieren zu lassen.
Teilweise auch das Anlegen des Halfters zu akzeptieren (s. letzte Ausgabe von ‚Stallgeflüster‘). Inzwischen sind die Tiere bundesweit auf unterschiedliche Trainer verteilt. Dort werden sie auf das Mustang Makeover in Aachen am ersten August-Wochenende vorbereitet. Eines, mittlerweile Stübbens Leo genannt, landete bei Luuk Teunissen. Stallgeflüster-Redakteurin Elke Stamm begleitet die beiden bei ihrer spannenden Arbeit.Liederbach, 16. Mai 2018 – Wer in einen Reitstall fährt, hat automatisch das Bild eines ‚normalen‘ Pferdes vor Augen, das mehr oder minder friedlich aus seiner Box schaut. Doch diese Vorstellung schminkt uns Teunissen sofort ab: Der Mustang steht nicht in einer Box. „Das kennt er noch nicht und erträgt das wahrscheinlich auch nicht“, stellt Teunissen fest. Er hat, abseits vom Geschehen der großen Reitanlage, ein wenig versteckt hinter einer Boxen-Reihe einen Paddock eingerichtet. Hier wohnt der Mustang übergangsweise auf einer ausreichend großen Fläche, auf der er sich gut bewegen kann.
Er ist ein kleines, fast könnte man sagen, stämmiges Pferd. Auf ca. 1,52 m Stockmaß schätzt ihn sein Trainer. „Genauer messen konnten wir ihn noch nicht, er muss erst lernen, die menschliche Berührung zu ertragen“, erklärt uns Teunissen. Ein wenig stolz erzählt er, dass Stübbens Leo – so heißt das ‚blonde‘ Pferd mittlerweile – bereits einen Schmiede-Termin hatte. „Natürlich sind noch nicht alle Hufe gemacht – der Schmied kommt in der nächsten Woche noch einmal. Schließlich muss er das Hufe geben auch erst einmal lernen.“
Während dessen steht Leo ganz ruhig und scheinbar entspannt auf seinem Paddock. Doch wer genau hinschaut, merkt rasch, dass diesem Pferd nichts, aber auch gar nichts, entgeht. Doch an bestimmte Abläufe in der Zivilisation hat er sich bereits gewöhnt und weiß, dass da keine Gefahr droht. So bleibt er auch brav stehen, als sein Trainer sich mit dem Halfter nähert. Nicht gerade begeistert, aber doch brav, lässt er es sich anlegen, denn er hat die Vorbereitungen für seinen Ausflug in den Roundpen der Anlage genauestens beobachtet.
„Wir fahren ihn derzeit noch mit dem Anhänger dort hin, denn die Anlage liegt in direkter Nähe einer Autobahn. Und wenn er sich aus irgendeinem Grund losreißt, wäre das nicht sehr schön. Problemlos und ohne jeden Widerstand besteigt der Wallach den Anhänger. „Der ist schon häufiger Transporter gefahren als so manches Sportpferd“, merkt Teunissen an. „Der jetzt etwa siebenjährige Wallach hat sehr lange Zeit in den USA in freier Wildbahn gelebt und wurde erst relativ spät eingefangen und in eine der dortigen Auffangstationen gebracht. Von dort aus kam er in eine Quarantäne-Station bevor er die Reise nach Deutschland antreten durfte, um nur einige wenige Stationen seines Lebens mit Menschen zu nennen.“
Die Reitanlage auf der ‚Stallgeflüster‘ heute zu Gast ist, verfügt neben dem offenen Roundpen auch über eine überdachte Longier-Halle – Glück für uns. Denn derzeit wird überall auf der Anlage gebaut und renoviert. Am ursprünglich als Trainingsplatz vorgesehenen Roundpen taucht gleichzeitig mit uns ein Baustellenfahrzeug auf, das an den Wegen arbeiten muss. Also entscheidet sich Luuk Teunissen, den Wallach nebenan, in der Longier-Halle zu arbeiten. „Er ist heute erst zum zweiten Mal in dieser überdachten Halle“, berichtet der Trainer. Zu bemerken ist das allerdings am Pferd nicht. Das stört sich weder an dem ohrenbetäubenden Baustellenlärm, noch am Dach über unseren Köpfen. Und auch die Redakteurin von ‚Stallgeflüster‘, die während der ersten Arbeitseinheit an der Longe in der Halle fotografieren darf, wird vollkommen ignoriert. Die volle Aufmerksamkeit des Mustangs gilt Luuk Teunissen zu dem er ganz offensichtlich schon eine Bindung aufgebaut hat.
„Ein wenig unsicher ist er noch“, meint Teunissen, der die Arbeit mit Streicheleinheiten – zunächst an Kopf und Hals – beginnt. Wer die beiden beobachtet, sieht, dass der Wallach die Hand teilweise schon mal zu genießen beginnt, sich aber noch nicht sicher ist, ob er das wirklich gut findet. Dann geht’s an die Trab-Arbeit. Wenn ich nicht wüsste, dass das Pferd erst seit knapp drei Wochen hier ist, würde ich sagen, dass es Cavalettis und Stangen schon immer kannte. Rechte Hand, linke Hand – gar kein Problem. Lediglich beim Umdrehen oder treiben kommt es noch mal zu leichten Kommunikations-Turbulenzen, die mit dem einen oder anderen unwilligen Bocksprung quittiert werden. Auch das Wegschicken bei Fehlern findet der Mustang nicht gut.
„Ein wenig steif und ein bisschen zu dünn ist er noch“, kommentiert Teunissen das Pferd. Bis er geritten werden kann, muss er zunächst noch einen Osteopathie-Termin haben. Denn die Quarantäne-Zeit und der Flug haben seine Beweglichkeit ein wenig eingeschränkt. Und ein Pferd kann man erst dann vernünftig anreiten, wenn es seine vollständige Mobilität hat. Sonst führt das zu nichts Gutem. Aber bis zu diesem Termin muss sich der Wallach anfassen lassen, ohne dass der Osteopath gefährdet wird.“ Doch bei Geschwindigkeit, mit der dieses Pferd zu lernen scheint, kann das aus unserer Sicht nicht mehr allzu lange dauern. Denn in der Arbeit ohne Longe akzeptiert er bereits das Auflegen einer Decke, folgt Luuk Teunissen auch ohne Longe auf dem Fuß und scheut sich nicht, als dieser ihn mit einem mit raschelnden Plastik-Teilen versehenen Stock abstreicht.
Schon jetzt, beim Abschied von Trainer und Pferd freuen wir uns auf unseren nächsten Besuch bei den Beiden. Mal sehen, was Leo bis dahin noch so alles gelernt hat.
Mustang Leo erstmals unter Leuten
Es ist ein heißer Tag, die Sonne sticht. Luuk Teunissen überlegt, wie er das geplante Programm möglichst schonend für Wildpferd Leo einrichten kann. Schließlich sind Dutzende Neugierige angereist, um zu staunen, was der Mustang aus dem Wilden Westen Amerikas von seinem Trainer Luuk Teunissen in fünf Wochen gelernt hat. Stallgeflüster-Redakteurin Elke Stamm war dabei – und musste wie alle Zaungäste nach der Schau in verschiedenen Lautstärken klatschen. Weil Applaus für Leo etwas völlig Neues ist – und er fürs Mustang Makeover in Aachen dafür gewappnet sein muss.
Liederbach, 3. Juni 2018 – Der überaus gepflegte Dressurplatz, auf dem ein Roundpen eigens für die Vorführung aufgebaut wurde, liegt mitten in der Mittagssonne. Luuk bittet seine Praktikantin, einen Eimer Wasser bereit zu stellen, damit er den Mustang zwischendurch ein wenig abkühlen kann.
Dann geht er und holt Leo. Der kann inzwischen selbst über den Hof laufen, ohne dass er sich und andere gefährdet. Relativ cool betritt er den Roundpen und Luuk erklärt und demonstriert noch einmal all die Dinge, die das ehemals wilde Pferd vor fünf Wochen noch nicht kannte und konnte. Leo erträgt inzwischen eine Bürste, gibt die Hufe und lässt sich problemlos Gamaschen und Sattel anlegen. Ein gewisses Misstrauen ist noch immer spürbar – aber wen wundert das, schließlich ist Leo bereits sieben Jahre alt und war lange Zeit seines Lebens in freier Wildbahn auf sich selbst gestellt.
Luuk arbeitet das Pferd derzeit gesattelt an der Doppel-Longe. Auch eine Trense trägt der Mustang inzwischen – die kommt
allerdings noch nicht zum Einsatz, longiert wird noch am Halfter. Brav absolviert Leo das Programm, Wendungen, rückwärts, dann wieder vorwärts und erneut Wendungen und Richtungswechsel. Wie bereits bei unserem letzten Besuch hat er alles im Blick, interessiert sich aber kaum für seine offensichtlich nicht bedrohliche Umwelt. Erst als Luuk mit einer Reiter-Attrappe seinen Rücken belastet, wird sein Unbehagen deutlich. Doch auch das erträgt er brav und sein Trainer belohnt ihn, in dem er das ‚Ding‘ im richtigen Augenblick entfernt.
„Ob ich ihn in Aachen unter dem Sattel zeigen kann, weiß ich nicht“, erklärt Luuk den Zuschauern, „wir werden sehen, wie weit wir bis dahin gekommen sind.“ Falschen Ehrgeiz gibt es hier offensichtlich nicht, hier richtet sich alles nach dem Ausbildungsstand des Tieres. Zum Schluss, nachdem noch einige Gelassenheitsübungen mit Ball und Fahne absolviert sind, bittet der Trainer das Publikum um Unterstützung: Applaus, wie er wohl in Aachen zu erwarten sein wird, kennt das Pferd natürlich auch nicht. Und so klatschen die Zuschauer dann auf Kommando – mal lauter, mal leiser… Und beim Schluss-Applaus, der sich nicht auf Kommando einstellt, hat sich Leo offenbar fast daran gewöhnt.
In der nächsten Ausgabe lesen Sie, wie sich Leo auf seinem harten Weg in die ‚Zivilisation‘ weiter entwickelt.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm