Pferderennen – mal ganz anders ….
Kaltblutpferde – wer mag sie nicht. Noch immer üben die ‚dicken‘ Helfer des Menschen eine besondere Faszination aus – und das mit zunehmender Tendenz. Dass die Schwergewichte nicht nur ziehen und arbeiten können, hat sich mehr und mehr in den Köpfen von Pferdeliebhabern durchgesetzt.
Dem entsprechend haben sich seit einigen Jahren auch Kaltblutrennen als Zuschauer-Attraktion in Deutschland etabliert.
Ein Kaltblutrennen, das sich nicht erst ‚etablieren‘ musste, sondern seit vielen Jahrhunderten zu guter alter Tradition am Pfingstfest gehört, ist das Kranzreiten in Förste. Deshalb hat sich ‚Stallgeflüster‘ in diesem Jahr auf den Weg ins niedersächsische Osterode am Harz gemacht, um vor Ort einmal näher für Sie zu schauen.
Förste ist ein schmucker Ort, der sich zu Pfingsten ordentlich herausgeputzt hat. An vielen Häusern wehen Fahnen: Die niedersächsische Landesfahne und – natürlich die Förster Fahne. Bereits hier werden wir auf das Event zu dem wir gekommen sind, vorbereitet. Denn das Förster Wappen auf diesen Hoheitszeichen zeigt auf silbernem Grund einen mit goldener Trense gezäumten Pferdekopf, der einen grünen, mit rotweißer Schleife verzierten Birkenkranz um den Hals trägt.
Um 13.30 Uhr soll das Rennen auf der ‚Jagewiese‘ starten. Natürlich ist ‚Stallgeflüster‘ schon ein wenig früher vor Ort. Schließlich muss man sich umschauen, und den Ort des Geschehens besichtigen. Die ‚Jagewiese‘ ist schnell gefunden – ein wenig, aber nicht zu weit außerhalb des Ortes. Wer sich hier etwas Besonderes vorgestellt hat, ist enttäuscht. Eine ganz normale Wiese, heute oval abgezäunt, so dass ein ‚Rennkurs‘ deutlich wird.
Obwohl wir bereits früh dran sind – hier herrscht noch friedliche Stille – sind doch bereits zwei Pferdeanhänger da. Der eine kommt aus dem rund 40 Kilometer entfernten Ort Lammspringe, der andere aus dem ca. 80 Kilometer entfernten Duingen bei Hildesheim. Die Pferde, alle vier keine Kaltblüter, grasen friedlich auf ihren abgesteckten Paddocks. Jessica Wertheim, die die über 80 Kilometer auf sich genommen hat, kommt hier aus der Gegend und ist das Rennen bereits früher schon geritten. Für Nicole Selke dagegen, ist es das erste Mal. Sie hat durch Bekannte davon gehört – jetzt ist ihr Pferd so weit, dass sie mit ihm starten kann.
Am Straßenrand, zwischen dem wunderschönen kleinen Teich mit seinen Schwänen, Enten und Blesshühnern, sind inzwischen die Vorbereitungsarbeiten nahezu abgeschlossen: Ein Anhänger als Meldestelle steht da, ein Zelt ist aufgebaut, um Zuschauer mit Getränken, heißen Würstchen und Kaffee und Kuchen zu versorgen. Nicht zu vergessen: Auch ein Eisstand hat an diesem heißen Mai-Tag seinen Weg hierher gefunden.
An dem Wagen, der die Technik (Lautsprecher, Mikrofone etc.) für das Rennen enthält, treffen wir auf Lajos Pestalic, Vorsitzender der Reitsportgemeinschaft Förste und Umgebung sowie Ulrich Haase, der sich bestens in der Geschichte des Ortes auskennt und auch Plattdeutsch übersetzen kann. Die beiden erklären uns die Geschichte dieser Veranstaltung, die nach Überlieferungen auf die Zeit Heinrich I. (Heinrich der Vogler) um das Jahr 900 zurückreichen soll. Die ältesten schriftlichen Belege für diese Veranstaltung, die wohl auf mittelalterliche Wehrtüchtigkeitsprüfungen zurückgeht, sind doch immerhin 450 Jahre alt.
Pestalic und Haase erzählen, dass das Kranzreiten zwar ein wesentlicher Bestandteil des Pfingstfestes in Förste ist, jedoch nicht alles. Ausgerichtet wird das Fest von zwei in jedem Jahr neu gewählten ‚Schaffern‘. Das sind zwei Junggesellen aus dem Dorf, einer von ihnen ein Bauern-Schaffer, der andere ein Köthner- (Arbeiter-) Schaffer. Nur, wer bereits ein Kranzreiten mitgeritten war, durfte der Tradition folgend ein ‚Schaffer‘ werden. Jedes Jahr am Ende des Pfingstfestes werden sie nach alten überlieferten Bräuchen neu gewählt. Dazu gehört u.a. der Einzug der Schaffer und Jagejungen auf dem Festplatz mit Kapelle sowie das Aufsagen des alten plattdeutschen Spruchs mit dem die neuen Schaffer bekannt gegeben werden.
Doch zurück zum Rennen auf der Jagewiese. Denn inzwischen sind von den rund 1800 Einwohnern Förstes – gefühlt – alle hier versammelt. Hinzu kommen noch Gäste und Angehörige von Reitern aus anderen Orten. Da kommt auch schon die Kapelle. Sie ist mit den diesjährigen an ihren Hüten mit Birkenkranz zu erkennenden Schaffern, den Jagejungen und den Förster-Reitern am Gasthaus ‚Zum schwarzen Bären‘ zu ihrem Umzug durch das Dorf gestartet und bringt alle hier auf die Jagewiese. Doch ziehen sich die Förster-Reiter zunächst noch zurück – sie lassen den Gast-Reitern den Vortritt. Denn: Geritten wird in getrennten Feldern, aufgeteilt nach Art und Größe der Pferde. Da gibt es in diesem Jahr zwei Felder für Gäste mit Kaltblütern, je eines für Gäste mit Ponys, Kleinpferden und Großpferden. Erst dann starten die Förster Traditionsfelder für Ponys und Kaltblut. Während die Gäste im Sattel reiten dürfen, reiten die Förster ohne Sattel auf dem blanken Pferderücken. Lediglich ein Haltegurt ist mittlerweile erlaubt. Auch die Kleidung ist vorgeschrieben: Man trägt den ‚Jagekittel‘, ein weißes, weit geschnittenes Hemd aus Leinen, das in so mancher Familie von Generation zu Generation vererbt wurde. Gespannt verfolgen die Zuschauer die einzelnen Rennen bei denen es erst in zweiter Linie um den Gewinn eines Pokals geht. Im Vordergrund steht hier eine ganz andere Ehrung: Ein Birkenkranz für den siegreichen Reiter und einen für sein Pferd. Da ist richtig Action angesagt, sowohl bei den Ponys als auch den größeren Pferden. So manch einer, der beispielsweise mit einem Araber gestartet ist, dreht auch noch eine Ehrenrunde, bevor er sein Pferd wieder bremsen kann.
Spektakulär: der Ritt der Traditionsfelder. Schon bei den Ponys, geritten von Kindern und Jugendlichen in ihren weiten Jagekitteln bleibt kein Auge trocken. Als dann die schweren Kaltblüter zum Rennen starten, können wir uns gut in die Zeit der Bauernkriege zurückversetzen. Die wehenden weißen Kittel, die geballte Kraft der Pferde – ein mehr als beeindruckendes Bild, das sich hier dem Zuschauer bietet.
Schließlich sind alle Rennen vorbei. Eine Disqualifizierung hatte es zum Leidwesen aller gegeben – die Reiterin eines Shire-Horses, das mühelos seine Artgenossen hatte ‚im Regen stehen lassen‘, hatte nicht gelesen, dass Gerten oder Sporen bei dieser Veranstaltung strikt untersagt sind.
Und so plötzlich sich der Platz um die Jagewiese mit Menschen gefüllt hatte, so schnell war es auch schon wieder leer. Noch während wir Journalisten uns die Ergebnislisten anschauten, waren alle verschwunden – in Richtung Festplatz zum weiteren Feiern…
„Stallgeflüster“ / E. Stamm