Let‘ go Working: Rinder lenken mit Hirn und Verstand
Working Equitation – ein Sport, der vor zehn Jahren noch in Deutschland relativ unbekannt war, erfreut sich zunehmender Beliebtheit.
Nahezu jedermann weiß heute, dass diese Pferdesportart auf die Arbeitsreitweise südeuropäischer Rinderhirten zurückgeht. Im 17. Jahrhundert gelangte die Reitweise der spanischen, portugiesischen und französischen Rinderhirten nach Amerika. Dort entstand daraus bei der Arbeit mit den großen Rinderherden das Western-Reiten.
Die Arbeit der Rinderhirten – das ist es, was bei dieser Art des Reitens im Vordergrund steht. Dazu gehört ein Pferd, das extrem gehorsam, nervenstark, zuverlässig, schnell, wendig und durchlässig sein muss. Diese Eigenschaften werden bei Working Equitation-Turnieren in der Dressur, dem Trail und dem Speed-Trail überprüft. Doch auch die Arbeit am und mit dem Rind gehört fest in das Programm des Working Equitation. Hier werden Vertrauen zum Reiter, Gehorsam und Gelassenheit auch in Engpass-Situationen, wie beispielsweise inmitten einer Rinderherde, überprüft.
„Mit Rindern arbeiten – das heißt aber nicht Rinder jagen“, erklärt Mitja Hinzpeter, der bei den Deutschen, Europäischen und Welt-Meisterschaften in der Rinderarbeit bereits den einen oder anderen Titel ‚abräumte‘. Er ist vom WED (Working Equitation Deutschland) anerkannter Trainer Rinderarbeit und hat damit das Recht, den so genannten ‚Rinderschein‘ auszustellen. Dieser ist die Voraussetzung für die Teilnahme an der Disziplin Rinderarbeit bei Working Equitation-Turnieren und gilt jeweils nur für ein festes Pferd-Reiter-Paar. Ende Februar traf ‚Stallgeflüster‘ die ‚Creme de la Creme‘ der Worker im eiskalten Taunus. Thomas Türmer, Mitja Hinzpeter, und Gernot Weber (alle drei nominiert für die Weltmeisterschaften im Mai 2018) führten hier einen Trainer-Lehrgang für Ausbilder in der Rinderarbeit durch, denn bislang gab es deutschlandweit nur etwa vierzehn Trainer, bei denen der ‚Rinderschein‘ erworben werden konnte.
‚Stallgeflüster‘ ließ es sich nicht nehmen und schaute den Profis – schließlich reiten auch die meisten fünf Trainerschein-Anwärter in der Masterclass – ein wenig über die Schulter. Anja Oetting, Lehrgangsteilnehmerin aus Leverkusen, erklärt uns dabei die Schritte und Ziele, die wir hier beobachten können. „Das wichtigste bei allem ist, dass sowohl in der Rinderherde als auch bei Reiter und Pferd absolute Ruhe herrscht. Wenn die Tiere aufgeregt sind, geht gar nichts.“ Deshalb lässt man die Rinder sich im Herdenverband sammeln – auf unbekanntem Terrain bevorzugen sie oft einen Platz in einer Ecke oder an der Begrenzung. „Das nennt man setteln“, erklärt die Leverkusenerin. „Im nächsten Schritt muss der Reiter lernen, die Herde in Ruhe zu umrunden, ohne dass bei seinem Pferd oder den Rindern Unruhe entsteht. Gelingt dies, lernt der Reiter die Herde im Schritt gerade zu durchqueren. Dabei öffnen die Rinder automatisch eine Gasse und schließen diese hinter dem Pferd. Auch dabei darf keinesfalls Unruhe entstehen.“
Erst nachdem dieser Teil der ‚Rinder-Ausbildung‘ gelungen ist, erhält der Reiter die Aufgabe, sich auf ein bestimmtes Rind in der Herde zu konzentrieren und dieses innerhalb des Herdenverbandes zu lenken. Auch diese Arbeit erfolgt im Schritt, denn hier, wie zuvor ist Hektik oder Aufregung mehr als unerwünscht. Schließlich ist es das Langfrist-Ziel, dieses bestimmte Tier aus der Herde zu separieren. „Und das gelingt nur, wenn Reiter, Rinder und Pferd ‚cool‘ bleiben. Denn sowohl das Pferd als auch das Rind merken oft sehr schnell, wer gemeint ist. Reiter und Pferd müssen sich bei dieser Arbeit auf das Rind konzentrieren, der Reiter muss lernen, das Rind zu ‚lesen‘, d.h. es so genau zu beobachten, dass er sieht, was es als nächstes tun wird. Die Schwierigkeit für den Trainer ist es dabei, Pferd, Reiter und Rind gleichzeitig zu beobachten und zu lenken, damit der Reiter es lernt, eine gute Position zwischen Rind und Herde zu finden, von der aus er das Rind aus der Distanz lenken kann, ohne dass Stress oder Hektik entstehen.“
Erst wenn diese Schritte erarbeitet sind, kommt die schwierigste Aufgabe: Das Rind muss nicht nur von der Herde separiert werden, sondern auch an einer bestimmten Stelle zum Halten gebracht werden. „Im Training übt man das meist in einer Ecke – beim Turnier wird ein Corral aufgebaut, in dem das Tier zum Halten kommen muss“.
Natürlich will ‚Stallgeflüster‘ zum Schluss noch wissen, was die häufigsten Fehler bei dieser Art von Arbeit sind. „Hektik und Stress“, lautet die Antwort der frischgebackenen Trainerin Rinderarbeit prompt. „Sowohl das Pferd merkt, wenn der Reiter hektisch wird, als auch die Rinder. Ein hektisches oder gestresstes Rind lässt sich aber nicht mehr lenken und dann muss die Arbeit abgebrochen werden.“ Alle fünf Lehrgangs-Teilnehmer, denen wir hier zugeschauten, haben ihren Trainer-Schein an diesen beiden eisigkalten Februar-Tagen bestanden – und wie ‚Stallgeflüster‘ meint, auch verdient. Denn Schrittarbeit und stehend eine Rinderherde zu beobachten, ist bei zweistelligen Minusgraden nicht unbedingt ein pures Vergnügen. Herzlichen Glückwunsch den neuen Trainern!
„Stallgeflüster“ / E. Stamm