Fahrsport: Von den Spielen der Reichen und Schönen zum sportlichen Wettbewerb
Kutschfahrten zählen noch heute zu den beliebtesten Höhepunkten eines Ausfluges oder einer Besichtigungstour – sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen.
Da fühlt man sich in ein anderes Zeitalter hineinversetzt, in dem Pferde im Bereich Transport, Verkehr und Kommunikation noch die im wahrsten Sinn des Wortes ‚tragende Rolle‘ spielten.
Transport, Kommunikation (per Post) – das waren neben der Feldarbeit und dem Kriegseinsatz die Hauptaufgaben der Pferde des 19. Jahrhunderts. Mit der Erfindung des Motors wurden sie im Laufe der Zeit zunehmend weniger benötigt. Doch neben dem reinen Nutzen, den man aus der Kraft und Wendigkeit dieser Tiere zog, gehörte das Gefährt, das sie zogen, in so manchen Kreisen sehr bald zu den Prestige-Objekten der Reichen und Schönen – ähnlich wie heute des Deutschen liebstes Kind, das Auto. Je prachtvoller das Gefährt, desto einflussreicher musste der Mensch sein, dem es gehörte. Ein gutes Beispiel für die Prunkentfaltung mit diesen Fahrzeugen ist die Englische Staatskarosse Georgs IV. Sie ist 7,3 m lang, 3,70 m hoch, komplett vergoldet und wiegt vier Tonnen. Gezogen wurde sie von acht Pferden – allerdings nur im Schritt, wegen des Gewichts.
Neben der Prachtentfaltung übte auch die Faszination der Geschwindigkeit einen gewissen Reiz auf so manch einen, der es sich leisten konnte, aus. So wird als eines der frühen ‚sportlichen‘ Ereignisse im Fahren die Wette zweier englischer Lords in Newmarket überliefert. Sie setzten darauf, mit ihrem Vierspänner eine Distanz von 30 km in weniger als einer Stunde zurücklegen zu können und schafften dies auch – mit Vollblütern. In Deutschland waren sportliche Wettbewerbe mit Pferden Ende des 19. Jahrhunderts noch die Sportarten der Elite: Adel und Militär beherrschten hier die Szenerie. Dennoch wurde bereits 1897 in Berlin der Deutsche Sportverein gegründet. Sein Ziel war die Förderung des Sportes mit Pferden. Das fahren spielte dabei eine durchaus wichtige Rolle. Bereits 1899 gewann Benno Achenbach bei einem Turnier in Berlin die Vierspänner-Konkurrenz. Er hatte das Gespann-Fahren bei seinem englischen Lehrer, Edwin Howlett erlernt, war Chef des königlichen Marstalls Berlin und wurde 1910 von König Wilhelm II. für seine Verdienste um die Kutschfahrkunst geadelt. Von Achenbach (1861 – 1938) hatte das Ziel des möglichst pferdeschonenden, zweckmäßigen und sicheren Fahrens. Dazu führte er ein Fahrsystem mit teilweise standardisierter Ausstattung, wie beispielsweise der Achenbachleine ein. Seine Fahrlehre ging in die noch heute gültige Turnierordnung ein und wurde in vielen Ländern übernommen.
Georg Talbot war ein Aachener Großindustrieller und in seiner Freizeit dem Fahrsport eng verbunden. Er selbst fuhr Vierspänner und sorgte dafür, dass ab 1957 in Aachen der Geheimrat-Talbot-Preis ausgeschrieben wurde. Zu der Zeit bestand dieser Wettbewerb aus Gebrauchs- und Dressurprüfungen für Ein-, Zwei und Vierspänner. Noch 1969 scheiterte der Versuch, Fahren in das Olympische Programm aufzunehmen, allerdings nahm sich die FEI des Themas Fahren an und der britische Oberst Mike Anseil entwickelte ein Reglement für den Fahrsport. Bereits 1971 fand die erste Europameisterschaft für Viererzüge in Budapest statt, 1972 die erste Weltmeisterschaft in Münster und 1990 hielten die Vierspänner-Weltmeisterschaften ihren Einzug bei den World Equestrian Games.
Besuch bei Manfred Heinz
Einen Mann, der die Entwicklung des Fahrsports zum Teil noch selbst miterlebt- und gestaltet hat, besuchte ‚Stallgeflüster‘ bei sich zu Hause in Holzhausen. Manfred Heinz war aktiver Fahrer, Richter, erfolgreicher Ausbilder, Gründungsmitglied und langjähriger Vorsitzender des überregionalen Vereins zur Förderung des Fahrsports mit Pferden. Es scheint im Fahrsport kaum jemanden zu geben, den er nicht kennt. Wie es heutzutage im Fahrsport zugeht, das kann man bei jedem Fahrturnier erfahren – oder in den entsprechenden Prüfungsordnungen nachlesen. Von Manfred Heinz wollten wir ein wenig mehr über Traditionen und Veränderungen in diesem für die heutige Zeit recht aufwändigen Sport erfahren.
Zunächst einmal befassten wir uns mit der korrekten Kleidung. Denn diese gibt es nicht nur beim Reiten im Turniersport, sondern auch beim Fahren. Und siehe da – schon etwas, was wir nicht wussten: Die Kleidung ist abhängig von der Anspannung. „Die klassische, in Deutschland verwendete Anspannung bei Ein-, Zwei- und Vierspännern, war die mit Kummet, die ursprünglich aus England kommt. Man nennt sie deshalb auch oft englische Anspannung“, erzählt uns Manfred Heinz. „Das Kummet wurde in der Regel mit Ketten an der Deichsel befestigt. Der Fahrer einer solchen Kutsche trug einen grauen Anzug, einen grauen Zylinder, braune Handschuhe und schwarze Schuhe mit dunklen Socken. Dazu kam eine Bockdecke, die verhindern sollte, dass Schmutz auf den Anzug oder die Schuhe spritzt. Sie war in den Farben des Wagens gehalten – bei der englischen Anspannung meist dunkel, z.B. in Pariser Blau, lackierte Kutschen.“
„Natürlich gab es auch früher schon einmal Abweichungen von dieser Kleiderordnung. So trug beispielsweise Prinz Philipp, ebenfalls ein ambitionierter Fahrer, einen schwarzen Zylinder, wenn er nicht seine eigenen, sondern die Pferde seiner Frau fuhr.“ Kein Ein-, Zwei- oder Vierspänner ohne Beifahrer. Der Vierspänner benötigt zwei Beifahrer, der Zweispänner lediglich einen. Sie erkennt man ebenfalls an ihrer Kleidung. „Die Beifahrer tragen einen schwarzen Frack, schwarzen Zylinder, braune Handschuhe und weiße Reithosen. Dazu schwarze Stiefel mit braunen Stulpen.“ Aufgabe des Beifahrers ist es, für ein gut geputztes, sauberer und ordentlich angespanntes Gespann zu sorgen. Darüber hinaus steht er bei den Pferden, so dass der Fahrer sicher aufsteigen kann. Die Beifahrer eines Vierspänners stehen vor den Vorderpferden und neben dem rechten Stangenpferd, der des Ein- und Zweispänners vor den Pferden.
Anders bei der ‚Ungarischen Anspannung‘, die wie der Name schon sagt, aus Ungarn kommt, das Land, das bei den ersten Europameisterschaften der Viererzüge 1971, in Budapest die meisten Starter stellte. „Bei dieser Anspannung handelt es sich um eine Brustblatt-Anspannung. Wenn die Fahrer Ungarn waren, trugen sie und ihre Beifahrer ihre farbenfrohen, bunten ungarischen Trachten. Die Pferdetypen in dieser Anspannung sind meist so genannte ‚Jukker-Typen‘, leichtere und wendigere Pferde als die schweren Warmblüter, die hier oft in der Kummet-Anspannung gefahren wurden. Fährt man bei uns in Deutschland ein solches Gespann, tragen sowohl Fahrer als auch Beifahrer einen so genannten Straßenanzug und einen weichen Hut.“
„Vor den Dressurprüfungen gab es in früheren Jahren eine so genannte Gespann-Kontrolle“, erinnert sich Heinz. „Da konnten insgesamt 50 Punkte zu erreicht werden. Geprüft und bewertet wurde 1. der Fahrer, Beifahrer und die Passagiere (Haltung, Anzug, Hut, Handschuhe, Peitschenhaltung, Behandlung der Pferde), 2. die Pferde (u.a. Kondition, Herausbringen, Zusammenpassen, Sauberkeit, Beschlag), 3. das Geschirr (Zustand, Sauberkeit und Höhe der Deichsel.) 5. der Gesamteindruck. Diese Punktzahl wurde der Wertnote in der Dressurprüfung zugerechnet.“
Apropos Gesamteindruck: Natürlich spielen hier auch die Farben der Pferde eine Rolle. „Ein Fuchs und ein Rappe passen nicht in ein Gespann“, erklärt uns Manfred Heinz. „Schimmel und Rappen passen ebenso gut zueinander wie Schimmel und Füchse. Diese spannt man dann überkreuz an – also immer ein Schimmel oder Rappe und Fuchs nebeneinander, das ganze versetzt.“
Nun noch ein wenig zum Turniergeschehen selbst: „In den 70er, 80er bis in die 90er Jahre hatten viele Reitturniere Fahrprüfungen mit ausgeschrieben. Da wurden dann die Kegel für das Hindernisfahren einfach zwischen den Sprüngen aufgestellt – das kann man sich heute kaum noch vorstellen. Und dennoch war dieses Hindernisfahren ein besonderes Highlight während des Turniers, denn danach ging es weiter mit Springen. Auch dass es größere Starterfelder in kleineren Vierspänner-Prüfungen gab, ist heute kaum noch vorstellbar. Bis in die 80er und 90er Jahre waren darüber hinaus auch oft Tandem-Prüfungen ausgeschrieben. Das ist deutlich schwieriger zu fahren als ein Vierspänner und wird oft nicht mehr ausgeschrieben.“ Natürlich hat sich auch die Prüfungsordnung an moderne Verhältnisse angepasst – das ist schließlich kein Wunder. Denn, Fahren ist ohnehin schon ein aufwändiger Sport, der auch erheblichen finanziellen Aufwand bedeutet. Da wundert es wenig, dass immer weniger Vierspänner-Fahrer Prüfungen nennen und sich die Turniere zumeist auf Ein- und Zweispänner konzentrieren. Dennoch muss man dankbar sein, dass der Fahrsport noch immer eine große Zahl von Liebhabern und talentierten Nachwuchsfahrern hat.“
‚Stallgeflüster‘ dankt Manfred Heinz für seine Erinnerungen an frühere Zeiten, die wie wir denken, nicht vergessen werden sollten, denn schließlich überliefern sie eine Tradition die wir Pferdeleute nicht vergessen sollten.
„Stallgeflüster“ / E. Appenrodt