Ein Traum wird Wirklichkeit
Rund eine Autobahnstunde von Bad Hersfeld entfernt liegt der thüringische Ort Crawinkel. Heute den meisten weitgehend unbekannt, lag der Ort in früheren Jahrhunderten an einer wichtigen Handelsroute: Zwischen der Bischofsstadt Erfurt und der Handelsmetropole Nürnberg.
Eine dieser Straßen führte von Arnstadt durch die Steiger Hohle nach Crawinkel. Sie war so schmal und steil, dass Fuhrwerke vormittags nur bergauf und nachmittags nur bergab fahren durften. Wer zu spät in Crawinkel ankam und weiter bergauf fahren wollte, hatte Pech und musste dort bis zum nächsten Tag warten um weiter bergauf fahren zu dürfen. Auch Landwirtschaftsmeister Heinz Bley gehört zu denen, die deren Weg immer einmal wieder durch das malerische Jonastal nach Crawinkel führte. Grund dafür waren allerdings in unserer modernen Zeit nicht die schmalen Straßen, sondern eine Autobahnsperrung.
Das Jonastal, das direkt an den Ort Crawinkel angrenzt und nur zehn Kilometer vom Wintersportzentrum Oberhof entfernt liegt, war ursprünglich eine Hecken-Kulturlandschaft, von der man heute große Teile wieder in ihrer natürlichen Schönheit erleben kann. Verantwortlich dafür zeichnet u.a. Heinz Bley. Der Landwirt aus Cloppenburg war nach der Wende nach Thüringen gekommen und hatte den Aufbau eines Milchviehbetriebes mit organisiert.
„Ich habe damals, als ich diese Gegend näher kennenlernte, gedacht, es wäre ein Traum, wenn man hier arbeiten könnte“, erzählt er ‚Stallgeflüster’. Ein Traum, der heute Wirklichkeit ist: Rund 150 Konik-Zuchtstuten, 130 Sportpferde-Zuchtstuten mit Fohlen, 500 Angus- und Galloway -sowie 35 Heckenrind-Mutterkühe, 100 Mutterschafe, 50 Ziegen und 18 Esel besiedeln heute etwa 2500 Hektar – eine Fläche, die in etwa 3.500 Fußballfeldern entspricht – auf dem Höhenplateau über 500 NN. Natur- und Landschaftsschutz, das sind die erklärten Ziele der Crawinkel Agrar GmbH, der die Flächen und Tiere gehören. Ihr Geschäftsführer ist Heinz Bley. Und der Besucher kann hier in einer überaus sehenswerten Landschaft schauen, soweit das Auge reicht.
‚Thüringeti’ so nennt sich das Projekt heute, entstand natürlich nicht an einem Tag – und es gehört eine Menge Mut und Vorstellungskraft dazu, ein solches Konzept umzusetzen. Doch Bley hatte sich in die Landschaft, in der die Firma Enercon aus Emden eigentlich einen Windpark einrichten wollte, verliebt. Als er hörte, dass die dortige Agrar GmbH, eine Nachfolgerin der ehemaligen LPG (Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft während der DDR) verkauft werden sollte, schlug er zu.
„Ein wirtschaftlicher landwirtschaftlicher Betrieb sollte es ursprünglich werden“, erzählt uns Bley von seinen Anfängen in Crawinkel. „Die Umsätze zu Beginn waren auch wirklich gut – allerdings fielen die Weihnachtsgeschenke nur sehr, sehr klein aus. Also haben wir uns darangemacht, zu analysieren, woran das liegt. Und natürlich stellten wir bald fest, dass wir auf dem Gelände sehr viele Biotope hatten, die nach § 18 des Thüringischen Naturschutz Gesetzes besonders strengen Schutz genießen. Hinzu kam die Heckenkulturlandschaft, die eine effiziente Bewirtschaftung mit großen landwirtschaftlichen Maschinen erheblich einschränkt.“
Bley nahm Kontakt zum thüringischen Landwirtschaftsministerium auf, dann zur Landesanstalt für Umwelt und Geologie. „Die Mitarbeiter dort gaben sich viel Mühe“, erzählt er weiter. „Zwei von ihnen kamen vorbei und machten erst einmal eine Bestandsaufnahme von den Naturschätzen, die bei uns vorhanden sind. Danach gaben sie uns eine Vorstellung davon, wie eine halb offene Weidelandschaft aussehen und bewirtschaftet werden könnte.“
„Ich habe eine Nacht darüber geschlafen – dann war die Entscheidung gefallen: 2002 wandelten wir das gesamte Ackerland in Grünflächen um.“ Und heute sieht man, dass sich die Entscheidung gelohnt hat. Die mittlerweile von ursprünglich 1200 Hektar auf 2500 Hektar angewachsene ‚Thüringeti’ verfügt über Steppenrasen, Keuper-, Muschelkalk- und Zechsteingebiete wie als Vorposten der Steppen Osteuropas und Westasiens in Mittel- und Nordost-Thüringen vorkamen.
Die sorgfältig geplante Weidewirtschaft bewahrt die Flächen vor Verbrachung und Verbuschung und sichert damit neben dem bemerkenswerten Landschaftsbild die Existenz vieler charakteristischer, hoch spezialisierter Tier- und Pflanzenarten. „Die Weide-Tiere sind Landschaftsgestalter“, erklärt Heiz Bley, der inzwischen nicht nur Geschäftsführer der Agrar GmbH ist, sondern auch Bürgermeister von Crawinkel. „Durch extensive Beweidung schaffen sie verschiedenste Strukturen – von ‚rasenartig’ abgefressenen Plätzen bis zu neuen Gehölzentwicklungen. Diese dienen anderen Tieren als Lebensquelle. Weidetiere fressen behutsam, nicht alle Pflanzen sind gleich beliebt. So entstehen verschiedenartige Lebensräume für eine Vielzahl von Tier- und Pflanzenarten. Das aktive Verhalten der Tiere schafft z. B. Sandbadestellen, Uferabbrüche, Weidewechsel und Kotplätze. Pflanzen, die nicht zum bevorzugten Nahrungsspektrum gehören, werden erst im Winter gefressen. Durchsetzungsschwache Arten können sich dadurch besser behaupten. Die Samenverbreitung vieler Pflanzen wird durch Weidetiere begünstigt. Kletten, Labkraut oder Trespen z. B. heften sich ans Fell und besiedeln so neue Orte.“
Eine solche Landschaft ist sehenswert – schließlich bekommt man das nicht überall geboten. Bley hat durchaus auch etwas für den Tourismus übrig – schließlich ist das gute Crawinkler Tradition. Ein Wegenetz rund um Crawinkel bietet für Wanderern, Mountainbikern und Reitern guten Einblick in diese bemerkenswerte Natur und Schautafeln informieren interessierte Besucher. Darüber hinausbietet die Agrar Crawinkel weitere Erfahrungsmöglichkeiten für diese besondere Kulturlandschaft an. Dazu gehören Kutsch- und Kremserfahrten, geführte Jeepsafaris oder aber geführte Wanderungen. Sogar einen original amerikanischen Schulbus kann man benutzen, um die Region zu erkunden.
Natürlich ist Bley nicht nur Landwirt und Bürgermeister, sondern auch durchaus vom Pferdevirus infiziert. Regelmäßig finden hier auf dem Gelände der Thüringeti Reitveranstaltungen, vor allem im Bereich Vielseitigkeit, statt. Schließlich kann man sich als Gelände-Reiter kaum eine schönere Umgebung wünschen, als diese leicht hügelige Steppenlandschaft des Jonatals.
„Stallgeflüster“ / E. Stamm
© Fotos: Archiv Bley