Eine Insel im Wandel der Zeit
Juist, Töwerland, Zauberinsel – das sind die Namen, mit denen die Ostfriesische Insel bezeichnet wird. Gehört es zu dem besonderen Zauber dieses Eilandes, dass viele seiner Kinder auch nach langen Jahren auf dem Festland hierher zurückkehren? Während unseres Besuchs auf Juist trafen wir Gerd Rinderhagen. Er wohnte 25 Jahre in Celle. Jetzt lebt er wieder in seinem Elternhaus auf der Insel und betreibt mit Ehefrau Irmgard das Haus Mayenburg.
Gerd Rinderhagen (75) ist bereits die dritte Generation der Familie, die die ehemalige Frühstückpension betreibt. Im Winter 2015 hat man umgebaut, damit das Haus auch die nächste Generation fortführen kann. Haus Mayenburg verfügt heute über einige hübsche, moderne Ferienwohnungen.
Allerdings hat sich der ältere Herr keineswegs auf die Insel zurückgezogen, um hier nur noch das Haus Mayenburg zu betreuen. Vor allem ist er politisch engagiert und aktiv. Seit 2006 gehört er dem Kreistag in Aurich an, ist Mitglied im Gemeinderat der Insel, stellvertretender Bürgermeister von Juist, Vorsitzender des Bauausschusses der Insel und ist in einer ganzen Reihe weiterer Ausschüsse vertreten.
‚Stallgeflüster’ interessiert in diesem Gespräch mit dem Herrn, der noch hier auf der Insel geboren ist, ganz besonders, was sich aus seiner Sicht hier verändert hat. Denn, wir fühlen uns hier um Jahrzehnte zurückversetzt, in die Zeit der Pferdefuhrwerke. So können wir natürlich nicht beurteilen, in wie weit sich die Insel tatsächlich gewandelt hat.
„Doch, da hat sich einiges getan“, weiß Rinderhagen zu erzählen. „Da ist zunächst einmal die Urlaubssaison. Derzeit geht die Haupt-Saison von April bis Ende Oktober. Früher war das nicht so. Die Saison dauerte in der Regel zwei bis zweieinhalb Monate, begann langsam Ende Mai und endete im Juli. Ich erinnere mich noch genau, meine Schwiegermutter in Celle hatte im September Geburtstag. Meine Mutter, die das Haus Mayenburg damals führte, kam regelmäßig im September zum Geburtstagsbesuch zu uns – heute unvorstellbar. Diese kurze Saison ging bis Ende der 70er Jahre und nach ihrem Ende versank die Insel dann wieder im Tiefschlaf.“
„Jetzt ist natürlich viel mehr hier los, das ist zum einen sehr schön, zum anderen haben wir hier auf der Insel deutlich weniger Zeit für einander. Das merkt man vor allem am Vereinsleben, das früher deutlich reger war.“ Auch die Zahl der Handwerksbetriebe sei zurückgegangen, erzählt der weißhaarige Herr. „Früher gab es hier fünf Bäckereien, heute nur noch eine. Fleischereien, früher zwei, gibt es inzwischen nicht mehr.“ Auch von den ehemals vier Bauunternehmen seien lediglich anderthalb übriggeblieben – einen Maler oder Schreiner (früher einmal vier) gibt es nicht mehr.
Das führt unser Gespräch zum Thema ‚Bauen auf der Insel’, denn schließlich kann Gerd Rinderhagen da auch aus eigener Erfahrung erzählen. Zunächst einmal berichtet er stolz, dass die Insel ihre Baustruktur während der letzten Jahre erhalten konnte. Dennoch: Außenbaustellen sind hier ausschließlich vom 1. Oktober bis 1. Mai erlaubt – also außerhalb der Saison. Alles Baumaterial wird vom Festland mit den Fährschiffen hier angeliefert – inklusive benötigter Möbel. „Schließlich können Sie keinem Versandhaus erklären, dass es hier auf die Insel liefern soll – die stellen das am Fährhafen ab.
Der Rest ist dann Ihre Sache“, erzählt er uns. Die Möblierung der Ferienwohnungen und des ebenso hübsch wie praktisch gestalteten Aufenthaltsraums mit atemberaubendem Strandblick hat Rinderhagen eigens in einer Fachschreinerei auf dem Festland passgenau fertigen lassen. „Das wurde dann mit Lkws zum Hafen gebracht, auf das Schiff geladen und hier angekommen, dann von den Pferdefuhrwerken in die Billstraße geliefert.“ Eine aufwändige Angelegenheit stellen wir fest. „Wäre es nicht einfacher für solche Fuhren E-Autos einzusetzen?“
Mit dieser Frage stechen regelrecht ins Wespennest. „Elektro-Autos wären eine Katastrophe für die Insel“, meint der ältere Herr. „Es gibt keine Chance solche Fahrzeuge für bestimmte Bereiche zu erlauben und für andere nicht. Ist erst einmal ein Bereich erlaubt, dann haben wir bald 30 bis 40 E-Autos auf Juist und das würde sich katastrophal auf die Gäste-Struktur auswirken. Und das wäre schlimm für Juist. Denn schließlich kommen die meisten Familien mit ihren Kindern hier auf die Insel weil es keine Autos gibt. Sie kommen oft extra der Pferde wegen – das haben Umfragen in früheren Jahren eindeutig belegt. Pferdefuhrwerke oder Kutschen hört man – E-Autos nicht. Die Kinder genießen hier extrem viel Freiheit – es besteht schließlich keine Gefahr, dass sie überfahren werden. Schade ist es nur, dass wir hier ausschließlich Fahrpferde haben und den Kindern oder Reiter-Erwachsenen keine Ponys oder Ausreitmöglichkeiten anbieten können. Das würde die Juist für eine Reihe von Menschen noch attraktiver machen,“ meint der Kreistagsabgeordnete.
Da kann man dem Töwerland nur wünschen, dass es so autofrei bleiben möge, wie es jetzt ist – und vielleicht findet sich ja ein Mensch mit genügend Vorstellungskraft, der es schafft, hier einen Reitstall zu eröffnen – für uns eine zauberhafte Vorstellung, denn der Blick auf die Landschaft schreit geradezu nach einem Ausritt.
„Stallgeflüster“ / E.St