Besuch bei „Pro (blind) Horse“
Bereits vor einigen Monaten besuchte Stallgeflüster eine Reiterin in Karben. Ihr Pferd Duck war erblindet und sie stellte sich diesem Problem. Unterstützung erhielt Susanne Förster vor allem von Ellen Drost.
Sie hat es sich mit der Initiative ‚Pro (blind) Horse’ zum Ziel gesetzt, Besitzer von blinden Pferden in ihrer täglichen Arbeit mit dem Tier zu unterstützen. Stallgeflüster besuchte die Buch-Autorin von „Das blinde Pferd, Haltung, Pflege und Arbeit“ in Lönberg-Niedershausen.
Hier auf einem Aussiedlerhof – so weit draußen im Feld, dass noch nicht einmal unser sonst so zuverlässiges Navi den Weg findet – leben Ellen Drosts Pferde. Es ist keine großartige Reitanlage – aber ein Hof mit viel Anteilnahme am aktuellen Geschehen. So ist es der Hausherr selbst, der uns auf den Feldwegen lotst, nachdem das Navi den Streik angesagt hatte, der Umgangston unter den Pferdebesitzern, die ihren Vierbeinern trotz schlechten Wetters ein paar Stunden Koppelauslauf ermöglichen, ist freundschaftlich. Auch wir werden sofort herzlich begrüßt und in den Stall begleitet.
Die 16jährige Tochter von Ellen ist gerade dabei, den Appaloosa Mighty zu putzen. Ihm sieht man seine Erblindung überhaupt nicht an. Doch Ellen stellt uns zunächst ihren ‚Neuzugang’, Castello, vor. Der 10jährige Araber trägt noch einen Kopfschutz damit er sich nicht stößt – eine Sachspende des Herstellers. „Diese Schutzmasken sind recht teuer, da bin ich sehr froh, dass uns der Hersteller unterstützt“, erzählt Ellen Drost. Mit der Orientierung in der Box kommt das ehemalige Zirkuspferd schon recht gut klar und begrüßt uns freundlich. Natürlich, die Tasche, in der sich immer Leckerlis befinden, entdeckt auch er sofort.
Kurz darauf ist Viviane, Ellens Tochter, mit den Reinigungsarbeiten an dem weißen Mighty fertig. Sie will ihn uns bei der täglichen Arbeit vorstellen. Dazu gehört als erstes, wie bei jedem Pferd, die Aufwärmphase im Schritt. Doch mit Mighty erfolgt diese Phase keineswegs im Sattel oder am Halfter. Er folgt Viviane völlig ohne Hilfsmittel kreuz und quer über den Reitplatz und verliert sie nicht ein einziges Mal. Danach wird angetrabt – wie gehabt, zu Fuß. Schließlich greift Viviane zur Trense – einen Sattel hat sie nicht mitgebracht. Ellen hilft ihrer Tochter auf den Rücken des Schimmels, und los geht’s. Schritt, Trab, Galopp – die übliche Arbeit eben, nichts besonderes, außer dass Mighty blind ist. Doch dann nimmt Viviane die Trense ab. Wer glaubt, dass damit das Tagwerk beendet ist, liegt falsch. Viviane reitet lustig ebenso wie vorher weiter. Ohne Zügel, ohne Sattel ist Mighty ebenso leichtrittig und lenkbar wie zuvor. Blindes Vertrauen – auf beiden Seiten.
In der Zwischenzeit hat Ellen den kleinen Araber für die Arbeit vorbereitet. „Castello ist noch nicht so lange da, wir arbeiten mit ihm noch viel an der Doppel-Longe“, erklärt sie uns. Mit viel Ruhe beginnt sie die Longenarbeit. Dass auch Mighty noch auf dem Platz ist, stört niemanden, weder die Pferde noch die Menschen. Und auch Castello macht einen ‚Prima-Job’. „Wenn er in der Ausbildung weiter ist, habe ich auch schon eine Reitbeteiligung für ihn gefunden, die etwas leichter ist als ich“, berichtet Ellen von ihren Zukunftsplänen für den Kleinen. Nach der Arbeit muss Castello in die Box – Mighty darf zu seinen Kumpels auf die Koppel und trabt vergnügt davon.
Wir Menschen wollen noch ein wenig miteinander reden und ziehen uns an diesem nasskalten Tag in das gemütlich warme Reiterstübchen zurück. Hier erzählt uns Ellen, wie alles begann und von ihren nächsten Projekten. Und sie hat noch einiges vor in diesem Jahr. Da ist zunächst einmal der Plan, einen professionellen Dokumentarfilm über die Arbeit mit blinden Pferden zu drehen. Wie sie darauf kam? Im Sommer 2016 erhielt sie bei der Equinale in Wien die Film-Preise für den besten Amateur-Film und Horse-Trainer. „Jetzt will ich versuchen, da etwas professionelles auf die Beine zu stellen. Denn es gibt immer noch sehr viele Menschen, die meinen, dass ein blindes Pferd nicht zu reiten ist und die Arbeit mit ihm nichts bringt. Und genau das stimmt nicht. Ein blindes Pferd gibt uns so viel wieder, das kann sich jemand der nie damit gearbeitet hat gar nicht vorstellen. Sicherlich braucht das viel Zeit, Geduld und Vertrauen. Man muss über seinen Schatten springen und menschliches Denken ablegen. Ein Pferd lebt im hier und jetzt. Es passt sich seiner Situation mit all seinen anderen Sinnen an und kann ein durchaus pferdegerechtes Leben führen, wenn man ihm in der ersten Zeit dabei richtig hilft.“
‚Die richtige Hilfe’, das ist auch der Grund, warum Ellen Drost ihr Buch schreiben wollte. Sie selbst hatte ein Pferd, das 10jährig periodische Augenentzündung bekam und drei Jahre später erblindete. Ellen Drost beschloss ihren Nantan, den sie von klein auf besaß, nicht einzuschläfern, sondern mit ihm zu arbeiten. „Und auch blind war er ein tolles Pferd, bis ins hohe Alter“, berichtet sie. „In diese Situation komme ja nicht nur ich allein, es gibt auch andere Menschen, deren Pferde erblinden. ‚Was machen die?’, fragte ich mich immer wieder und beschloss nach einigem Zögern das Buch zu schreiben.“ Mittlerweile hat Ellen Drost eine Internetseite (ellen-problindhorse.de), mit der sie betroffenen Pferdebesitzern helfen will, eine Facebook-Gruppe und ist mit Tochter Viviane regelmäßig auf den einschlägigen Pferdemessen vertreten, um aufzuklären und zu zeigen, was ein blindes Pferd zu leisten vermag. Da kann Stallgeflüster für das neueste Projekt nur noch viel Glück und Erfolg wünschen.
„Stallgeflüster“ / Elke Stamm